+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
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Klassisches Klausurproblem
Ein Unbekannter stiehlt dem sehschwachen Opi O das Auto. Eine Woche später sieht O seinen Nachbarn N an dessen Auto. Da ruft er: "Sie haben mein Auto gestohlen!" In Wahrheit sieht das Auto des N dem Auto des O nur mehr oder weniger ähnlich. N fühlt sich angegriffen.
Einordnung des Falls
Ehrverletzung bei Tatsachenbehauptung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Es handelt sich um eine Tatsachenbehauptung.
Ja, in der Tat!
Die Beleidigung (§ 185 StGB) erfasst Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Betroffenen und Werturteile gegenüber dem Betroffenen oder Dritten. Denn für Werturteile gilt ausschließlich § 185 StGB (und nicht §§ 186, 187 StGB). Tatsachen sind Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. Werturteile sind Äußerungen, die durch Elemente subjektiver Überzeugung oder Meinung geprägt sind und deshalb nicht wahr oder unwahr, sondern je nach der persönlichen Überzeugung nur falsch oder richtig sein können (z.B. Meinungsäußerungen). Wenn eine Äußerung Tatsachen und Werturteile enthält, erfolgt die Abgrenzung nach dem überwiegenden Element.
Ob N das Auto des O gestohlen hat, ist keine Frage der persönlichen Überzeugung, sondern ein Geschehnis der Vergangenheit, welches bewiesen werden kann.
2. O hat die Tatsachenbehauptung über N kundgegeben.
Ja!
Eine Beleidigung als Tathandlung setzt die Kundgabe von Tatsachen oder Werturteilen voraus. Dabei kommen Äußerungen in jeder Form in Betracht, also mündliche oder schriftliche sowie etwa Gesten (Mittelfinger) und Symbole.
O hat mündlich geäußert, N habe sein Auto gestohlen.
3. Die durch O behauptete Tatsache hat ehrverletzenden Inhalt.
Genau, so ist das!
Eine Beleidigung setzt voraus, dass die Äußerung ehrverletzenden Inhalt hat. Verletzt wird die Ehre durch die Äußerung dann, wenn diese die eigene Nicht- oder Missachtung bzgl. eines erkennbar Betroffenen zum Ausdruck bringt. Nach h.M. wird der soziale Achtungsanspruch nur dann durch die Kundgabe der Tatsache selbst verletzt, wenn die Äußerung unverdientermaßen erfolgt. Dies ist nicht der Fall, wenn die Tatsache – für sich gesehen – wahr ist.
Die Tatsache ist unwahr und bezeichnet N als Dieb. Er wird also als Straftäter herabgewürdigt.
4. N ist ein taugliches Tatobjekt.
Ja, in der Tat!
Die Beleidigung (§ 185 StGB) setzt die passive Beleidigungsfähigkeit des Tatobjekts voraus. Beleidigungsfähig sind insbesondere alle lebenden natürlichen Personen als Ehrträger. Besondere Fallgruppen sind die Beleidigung eines Kollektivs als Kollektiv und die Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung.
N ist als Mensch eine natürliche Person.
5. O handelte vorsätzlich.
Nein!
Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der wenigstens in Form des dolus eventualis vorliegen muss. Eine besondere Kränkungsabsicht ist nicht erforderlich. Ausreichend ist deshalb das Bewusstsein, dass die Äußerung nach ihrem objektiven Erklärungswert einen beleidigenden Inhalt hat. Ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB) liegt vor, wenn der Täter irrtümlich annimmt, die behauptete Tatsache sei wahr. Denn die Unwahrheit der behaupteten Tatsache ist objektives Tatbestandsmerkmal der Beleidigung.
O ging irrig von der Wahrheit der Tatsache aus, handelte also unvorsätzlich hinsichtlich der unwahren Tatsachenbehauptung.