Zurückbehaltungsrecht bei schleppende Zahlung

19. Mai 2025

12 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Hakuna Matata-GmbH (H) zahlt nur schleppend die Löhne ihrer Arbeitnehmer. Mitarbeiterin M hat das immer wieder beanstandet. Als erneut ein fälliger Lohnrückstand i.H.v. zwei Monatsgehältern aufgelaufen ist, insgesamt €1.000, verkündet sie, dass sie erst wieder arbeiten werde, wenn sie ihr Geld erhalte.

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Einordnung des Falls

Zurückbehaltungsrecht bei schleppende Zahlung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat M einen fälligen Anspruch auf die Auszahlung der zwei offenen Monatsgehälter i.H.v. €1.000?

Genau, so ist das!

Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers ist die Auszahlung der vertraglich vereinbarten Vergütung (§ 611a Abs. 2 BGB). Dabei ist der Arbeitnehmer vorleistungspflichtig (§ 614 BGB). M hat für ihre bereits erbrachten Tätigkeiten einen fälligen Anspruch auf Lohn aus § 611a Abs. 2 BGB.Die Vorleistungspflicht (§ 614 BGB) des Arbeitnehmers ist dispositiv. Sie kann also durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag abbedungen werden. In der Praxis ist es aber dennoch die Regel, dass der Lohn im Anschluss an die Tätigkeit zum Monatsende ausgezahlt wird.
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2. M kann die Arbeit verweigern, wenn ihr ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht.

Ja, in der Tat!

Im Ergebnis ins unstreitig, dass der Arbeitnehmer bei ausbleibender Zahlung der Vergütung ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht. Es ist allerdings umstritten, ob es aus § 273 Abs. 1 BGB (so die h.M., insbesondere das BAG) oder aus § 320 Abs. 1 BGB folgt. Für die h.M. spricht, dass Arbeitsleistung und Vergütung nur für den jeweiligen Monat im Synallagma, im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen (vgl. § 614 S. 2 BGB) und der Arbeitnehmer vorleistungspflichtig ist (§ 614 S. 1 BGB). Zahlt der Arbeitgeber also für einen bereits abgelaufenen Monat nicht, steht dem Arbeitnehmer zwar aus demselben rechtlichen (Arbeits-)Verhältnis ein Anspruch i.S.d. § 273 Abs. 1 BGB zu. Es fehlt insoweit aber an der Gegenseitigkeit des § 320 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Streit ist nicht nur rein akademischer Natur, denn nach § 273 Abs. 3 S. 1 BGB hat der Arbeitgeber eine Abwendungsbefugnis, die ihm nach § 320 Abs. 1 S. 3 BGB gerade nicht zusteht. Unabhängig von der vertretenen Ansicht steht M ein Leistungsverweigerungsrecht zu. M darf also die Arbeit verweigern.

3. Darf H die M wegen ihrer Arbeitsverweigerung (außer-)ordentlich kündigen?

Nein!

Im Falle einer unberechtigten Arbeitsverweigerungs könnte der Arbeitgeber ggfs. zur Kündigung berechtigt sein. Nach h.M. kann der Arbeitgeber jedoch grds. die geschuldete Leistung verweigern, wenn er aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat (§ 273 Abs. 1 BGB). Zwischen H und M besteht ein wirksamer (Arbeits-)Vertrag. Die Arbeitsleistung und die Vergütungspflicht sind wechelseitig und konnex, beruhen nämlich auf demselben rechtlichen Verhältnis. Der Anspruch der M auf Zahlung der Vergütung ist auch fällig und durchsetzbar (vgl. § 614 S. 2 BGB). Ausschlussgründe sind nicht ersichtlich. M steht somit ein Leistungsverweigerungsrecht zu (§ 273 Abs. 1 BGB). Dementsprechend liegt keine Pflichtverletzung vor und H ist es verwehrt, ihr Verhalten zu sanktionieren. Auch nach der a.A. hätte M hier ein Leistungsverweigerungsrecht, denn die Voraussetzungen des § 320 Abs. 1 S. 1 BGB liegen ebenfalls vor. Näheres zu den Anforderungen an eine wirksame Kündigung findest Du im Kapitel: Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Lord Denning

Lord Denning

8.7.2024, 14:34:21

Aber warum wird jetzt nicht § 614 als Ausschluss für § 320 angewendet? Der würde doch eigentlich § 614 ausschließen 🤔?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

2.4.2025, 19:31:51

Hallo @[Lord Denning](222886), ich bin nicht ganz sicher, ob ich Deinen Hinweis richtig verstehe, vielleicht möchtest Du das nochmal präzisieren. Möglicherweise irritiert Dich aber, dass die Vergütung nach Zeitabschnitten erfolgt (§ 614 S 2 BGB) und Du deshalb das Gegenseitigkeitsverhältnis iSd § 320 I 1 BGB nicht siehst? So geht es auch der hM, die deshalb über § 273 I BGB löst (aA eben § 320 I 1 BGB). Möglicherweise haben wir die hM bisher nicht genau genug herausgestellt, hierzu kamen mehrfach Rückfragen. Wir haben deshalb die Aufgabe jetzt dahingehend überarbeitet, hoffentlich ist es dadurch klarer geworden - sonst melde Dich gerne nochmal! Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

QUAR

Quarklo

28.8.2024, 14:07:18

Ich würde mir noch eine Aufgabe wünschen, in der detailliert auf die Abgrenzung zwischen §

326 II

und § 615 eingegangen wird und die verschiedenen Meinungen dargestellt werden Zudem wäre eine Aufgabe zur Problematik der Voraussetzung des

Annahmeverzug

s trotz

Unmöglichkeit

wünschenswert

Foxxy

Foxxy

31.8.2024, 11:15:27

Hallo Quarklo, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu unsere Lerninhalte entsprechend anpassen bzw. noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team


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