Fehlerhaftes Arbeitsverhältnis

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A bewirbt sich bei Supermarkt S als Kassierer. Auf Nachfrage behauptet er, keine Vorstrafen zu haben, obwohl er wegen Unterschlagung vorbestraft ist. A wird deshalb am 1.3 eingestellt. Am 1.5 erkrankt A, sodass er nicht arbeiten kann. Als S am 15.5 von As Vorstrafe erfährt, ficht S den Vertrag an und verweigert die Lohnfortzahlung.

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Einordnung des Falls

Fehlerhaftes Arbeitsverhältnis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A steht ein Anspruch auf Lohnfortzahlung zu, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 EFZG vorliegen.

Ja!

Ein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht, wenn (1) der Arbeitnehmer, (2) durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit (3) an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, (4) ohne dass ihn dafür ein Verschulden trifft (§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG). (5) Damit der Anspruch entsteht, muss das Arbeitsverhältnis zudem mindestens vier Wochen ununterbrochen bestanden haben (§ 3 Abs. 3 EFZG).A kann aufgrund seiner Erkrankung nicht arbeiten. Anhaltspunkte für ein Verschulden liegen nicht vor. Das Arbeitsverhältnis bestand auch länger als vier Wochen. Fraglich ist nur, ob A (noch) Arbeitnehmer ist.
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2. Wenn der zwischen S und A geschlossene Arbeitsvertrag aufgrund der Anfechtung rückwirkend vernichtet wurde, kann A keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung geltend machen.

Genau, so ist das!

Der Anspruch aus § 3 EFZG setzt ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraus. Sofern S (1) den Arbeitsvertrag wirksam angefochten hat und (2) die Anfechtung nach § 142 Abs. 1 BGB zurückwirkt, ist A am 1.5 kein Arbeitnehmer mehr. Er hat dann keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung aus § 3 Abs. 1 EFZG.

3. Eine arglistige Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) durch A scheidet als Anfechtungsgrund aus, da A seine Vorstrafe verschweigen durfte.

Nein, das trifft nicht zu!

Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt wurde, ist nach § 123 Abs. 1 BGB zur Anfechtung berechtigt. Über den Wortlaut des § 123 Abs. 1 BGB hinaus muss die Täuschung dabei auch widerrechtlich sein. Daran fehlt es, wenn der Arbeitnehmer zu einem Sachverhalt keine Angabe machen muss. Der Arbeitgeber darf allerdings nach Vorstrafen fragen, sofern diese einen Bezug zur Tätigkeit aufweisen.Da K als Kassierer mit Geld in Berührung kommt, durfte S zulässigerweise nach Strafttaten im Bereich der Vermögensdelikte fragen. Indem A hierzu falsche Angaben machte, hat er S widerrechtlich und arglistig getäuscht. Die Täuschung war auch kausal für den Abschluss des Vertrages. S steht deshalb ein Anfechtungsgrund nach § 123 Abs. 1 BGB zu.

4. Auch die weiteren Anfechtungsvoraussetzungen liegen vor.

Ja!

S hat gegenüber A die Anfechtung des Vertrages erklärt (§ 143 Abs. 1 BGB). Dies erfolgte auch innerhalb der Jahresfrist (§ 124 Abs. 1 BGB). Ein Ausschluss der Anfechtung könnte sich allenfalls aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben, wofür keine Anhaltspunkte ersichtlich sind. Damit liegen alle Voraussetzungen für eine Anfechtung vor.

5. Rechtsfolge von S' Anfechtung ist, dass der Vertrag von Beginn an (1.3) unwirksam ist (§ 142 Abs. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 BGB ist der angefochtene Vertrag von Beginn an unwirksam (ex tunc). Bei in Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnissen nimmt das BAG allerdings eine teleologische Reduktion der Nichtigkeitsfolge vor (Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis). Die Anfechtung soll in diesen Fällen ausnahmsweise nur mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) gelten. Begründet wird dies damit, dass es (1) kaum möglich sei, das Arbeitsverhältnis nach bereicherungsrechtlichen Regeln rückabzuwickeln (§§ 812 ff. BGB). (2) Zudem sei der Arbeitnehmer davor zu schützen, dass der Wert seiner Arbeitsleistung die vereinbarte Vergütung nicht erreiche (§ 818 Abs. 2 BGB).Indem A seine Tätigkeit als Kassierer aufgenommen hat, hat er das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt. S Anfechtung wirkt deshalb nicht auf den 1.3 zurück.

6. Muss S also den Lohn des A für den Zeitraum seiner Erkrankung (1.5-15.5) fortzahlen (§ 3 Abs. 1 EFZG)?

Nein, das trifft nicht zu!

Das BAG beschränkt die Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis auf das vertraglich geschuldete Entgelt. Sie gelte nicht in Fällen des gesetzlichen Lohnfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG. Da der Arbeitnehmer während seiner Erkrankung keine Arbeitsleistung erbringt, ergäben sich hier keine Probleme mit der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung. Auch sei der arglistig täuschende Arbeitnehmer insoweit nicht schutzwürdig. Die Anfechtung wirke hier also auf den Zeitpunkt zurück, ab dem der Arbeitnehmer nicht mehr arbeiteDa A ab dem 1.5. erkrankt ist, findet insoweit die Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis keine Anwendung. S' Anfechtung wirkt auf den 1.5 zurück. A ist damit kein Arbeitnehmer des S. Er hat für den Zeitraum 1.5-15.5 keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung aus § 3 Abs. 1 EFZG.
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