Zivilrechtliche Nebengebiete
Arbeitsrecht
Begründung und Mängel des Arbeitsverhältnisses
Fehlerhaftes Arbeitsverhältnis
Fehlerhaftes Arbeitsverhältnis
3. Juli 2025
16 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A bewirbt sich bei Supermarkt S als Kassierer. Auf Nachfrage behauptet er, keine Vorstrafen zu haben, obwohl er wegen Unterschlagung vorbestraft ist. A wird deshalb am 1.3 eingestellt. Am 1.5 erkrankt A, sodass er nicht arbeiten kann. Als S am 15.5 von As Vorstrafe erfährt, ficht S den Vertrag an und verweigert die Lohnfortzahlung.
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Einordnung des Falls
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A steht ein Anspruch auf Lohnfortzahlung zu, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 EFZG vorliegen.
Ja!
2. Wenn der zwischen S und A geschlossene Arbeitsvertrag aufgrund der Anfechtung rückwirkend vernichtet wurde, kann A keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung geltend machen.
Genau, so ist das!
3. Eine arglistige Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) durch A scheidet als Anfechtungsgrund aus, da A seine Vorstrafe verschweigen durfte.
Nein, das trifft nicht zu!
4. Auch die weiteren Anfechtungsvoraussetzungen liegen vor.
Ja!
5. Rechtsfolge von S' Anfechtung ist, dass der Vertrag von Beginn an (1.3) unwirksam ist (§ 142 Abs. 1 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Muss S also den Lohn des A für den Zeitraum seiner Erkrankung (1.5-15.5) fortzahlen (§ 3 Abs. 1 EFZG)?
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Blackpanther
4.2.2023, 10:17:17
Wäre der Fall anders zu beurteilen, wenn eine Anfechtung nach §§ 119, 120 erfolgt?

Nora Mommsen
4.2.2023, 10:55:52
Hallo Blackpanther, danke für deine Frage. Die Modifikation der Anfechtung, sodass sie im Arbeitsrecht nur ex nunc Wirkung entfaltet gilt für alle Anfechtungründe gleichermaßen. Das würde also keinen Unterschied in den Rechtsfolgen machen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Blotgrim
7.5.2023, 15:24:50
Also nur dass ich es richtig verstanden habe. Man stellt bei Arbeitsverhältnissen in denen bereits eine Leistung erbracht wurde auf den letzten Arbeitstag ab? Könnte man es sich quasi so merken dass der Arbeitsvertrag ex tunc zum letzten Arbeitstag aufgelöst wird ? Kann man so natürlich nicht in der Klausur schreiben, aber ich finde es einfacher, als zu sagen ex nunc und dann nicht auf den 15.05 sondern 01.05 zu schauen

Carl Wagner
14.5.2023, 14:05:12
Vielen Dank für deine Frage Blotgrim! Grds wirkt jede Anfechtung ex tunc, § 142 I BGB. Das gilt auch bei Arbeitsverträgen, soweit diese noch nicht in Vollzug getreten sind (der AN noch nicht angefangen hat zu arbeiten). Soweit der AV in Vollzug getreten ist, ist nur noch eine Anfechtung mit ex nunc Wirkung möglich. Von dieser Regel beim in Vollzug gesetzten AV macht das BAG eine Ausnahme, wenn der AN schon vor der Anfechtung krank geschrieben ist: Die Anfechtung wirkt in solchen Fällen ex tunc (siehe ausführlich ErfK/Preis, 23. Aufl. 2023, BGB § 611a). Diese Rückwirkung auf den ersten Tag, wo nicht mehr gearbeitet wurde / das AV außer Funktion gesetzt wurde, gilt bei arglistiger
Täuschunggenerell, weil der Täuschende nicht schutzwürdig ist. (ErfK/Preis, 23. Aufl. 2023, BGB § 611a Rn. 396; MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2021, BGB § 142 Rn. 18) Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team
Tinki
16.4.2025, 09:35:56
@[Carl Wagner](209004) Es wird also nicht generell eine Ausnahme von der Lehre gemacht, wenn der AN arglistig getäuscht hat, richtig? Weil die Schwierigkeiten bzgl. Rückabwicklung nach §§ 812ff. bestehen bleiben? Dass der AN arglistig getäuscht hat, spielt also nur als "Stützargument" eine Rolle in dem vorliegenden Fall? Nach dem Motto "sowieso billig, weil..."? LG und vielen Dank!

Porenta
2.6.2024, 13:42:24
Hi, das mit der ex nunc Anfechtung leuchtet mir ein und auch die Rückausnahme, wenn der AN krank ist, da hier eine
bereicherungsrechtliche Rückabwicklung einfach ist. Zu meiner Frage: Wird von dieser Ausnahme also von der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei angefochtenen Arbeitsverträgen nur Gebrauch gemacht, wenn der letzte Arbeitstag ein Tag ist, an dem der AN krank ist, oder gilt die Ausnahme für Krankheitstage während des Arbeitsverhältnisses. In dem Fall gesprochen: Würde AN am 14. wieder zur Arbeit erscheinen und der Vertrag am 15. angefochten werden, müsste AG dann die kranken Tage bezahlen oder nicht? Liebe Grüße🦆

BigLebowski
28.7.2024, 17:02:10
Hi! MMn nach wäre es dogmatisch inkonsequent, die Rückabwicklung abzulehnen, wenn der AN am letzten Tag wieder da ist. Denn weiterhin ist die Abwicklung für den Krankheitszeitraum einfach(er) und der AN nicht schutzwürdig - schließlich hat er arglistig getäuscht, warum sollte man aufgrund eines Zufalls den AN doch privilegieren? Solange sich die Voraussetzungen für die Rückausnahme nicht grundlegend ändern oder irgendein abgespacter Sonderfall vorliegt, würde ich nicht davon abweichen, die EFZ zu verneinen. VG
Christian Quaritsch
23.10.2024, 10:06:13
Hier wäre es vielleicht noch hilfreich zu ergänzen, dass die Lehre von dem fehlerhaften Arbeitsverhältnis auch dann gilt, wenn der Bewerber bewusst
Tatsachenverschwiegen hat und dies zur Anfechtbarkeit der Willenserklärung aufgrund einer arglistigen
Täuschungführt (BAG NJW 84, 446). Denn man könnte auf den Gedanken kommen, dass der »täuschende Arbeitnehmer« bei einer Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB nicht schutzwürdig ist. Folgt man diesem Gedanken, käme auch eine Unwirksamkeit ex tunc in Betracht.

Major Tom(as)
23.1.2025, 18:49:14
Liebes Jurafuchs-Team, Hier schreibt ihr im Sachverhalt "auf Nachfrage" bzgl. "keine Vorstrafen". Das impliziert mE, dass der Arbeitgeber hier allgemein nach Vorstrafen gefragt hat. Dies wäre ja nicht zulässig. In der Lösung habt ihr dahingehend auch konkretisiert, dass nach Vorstrafen im Bereich der Vermögensdelikte gefragt werden darf - vielleicht kann man das im Sachverhalt anpassen? Bei einer pauschalen Frage dürfte der Arbeitnehmer mWn nach BAG nämlich zulässigerweise die Frage verneinen. Danke und LGs

Philip
23.6.2025, 16:34:30
Hey! Ich stimme dir zu, dass die Nachfrage nach Vorstrafen eine allgemeine Frage ist. Trotz dessen finde ich, dass sich diese allgemeine Frage in Bezug auf das zukünftige Arbeitsverhältnis auf Vermögensdelikte oder Delikte gegen die Person konkretisiert, dadurch, dass der Arbeitnehmer sowohl mit dem Geld des Arbeitgebers sowie mit ihm selbst/ Kunden oder Kollegen zu tun haben wird. Da finde ich es richtig zu sagen, dass der AN "klar Tisch" bezüglich seiner Verfehlungen machen sollte, obwohl die Frage allgemein gestellt ist. In dem Kontext ist es dem AG ja auch egal, ob sich der AN wegen Verkehrsdelikten strafbar gemacht hat. LG!

Major Tom(as)
23.6.2025, 17:08:30
Hey, das mag sein, dass das grds. für den Arbeitnehmer als konkretisiert wahrnehmbar ist (ich würde dir im "realen Leben" wohl auch zustimmen, dass man das grds. versteht), allerdings ist es seit 1958 ständige BAG-Rechtsprechung, dass ich, sobald mich jemand pauschal "nach Vorstrafen" fragt, lügen darf, selbst wenn ich subjektiv erkenne, dass es wohl nur auf meinen Job bezogen ist :) Der Arbeitgeber muss dies nach BAG ausdrücklich deutlich machen, auf welche Strafen sich die Frage bezieht. Vgl. nur (musste das Originalurteil von 1958 sein, weil wunderbar altmodisch formuliert :) ) "Nach Vorstrafen des Bewerbers darf in Personalbogen nicht einschränkungslos gefragt werden, schon um die Resozialisierung der Gestrauchelten nicht unnötig zu erschweren und den sich redlich um einen Arbeitsplatz bemühenden Vorbestraften nicht in unnötige Gewissenskonflikte zu bringen, die übrigens der Gewissenlose weniger als der Anständige haben wird. (...) Bei der Fragestellung muß auch zum Ausdruck kommen, daß Strafen, die der Tilgung oder der beschränkten Auskunft unterliegen, nicht mitgenannt zu werden brauchen. Wenn der Bewerber eine ihm sonach unzulässigerweise gestellte Frage nach Vorstrafen wahrheitswidrig verneint, so stellt das keine Arglist dar." (https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fzeits%2Fnjw%2F1958%2Fcont%2Fnjw.1958.516.2.htm&anchor=Y-200-GE-BAG-AZ-1AZR59456-D-1957-12-05)

Philip
23.6.2025, 17:15:11
Gut zu wissen, kannte das Urteil tatsächlich nicht. Dann stimme ich dir zu, dass man dahingehend den Sachverhalt anpassen kann, wobei hier (auch wenn nicht ganz richtig) wohl eher auf die Unterscheidung zwischen arbeitsbezogenen Vorstrafen und nicht arbeitsbezogenen Vorstrafen abgezielt wird!

Major Tom(as)
23.6.2025, 17:18:46
Okay, perfekt, wenn wir uns dann einig sind - wollte nur, dass hier niemand im Sachverhalt so "stolpert" wie ich :)