Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Schuldrecht AT
Gesamtschuld von Haftpflichtversicherer und gegnerischem Fahrzeughalter?
Gesamtschuld von Haftpflichtversicherer und gegnerischem Fahrzeughalter?
2. April 2025
16 Kommentare
4,6 ★ (31.192 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
H hält ein Kfz, das er an B sicherungsübereignet hat. Laut Sicherungsvertrag ist er zu notwendigen Reparaturen verpflichtet und tritt etwaige Schadensersatzansprüche an B ab. H hat einen unaufklärbaren Verkehrsunfall mit D, sodass die Haftungsquote in diesem Verhältnis 50/50 beträgt. D’s Versicherung V zahlt 100 % des Schadens an B. V verlangt Regress von H.
Diesen Fall lösen 64,9 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Gesamtschuld von Haftpflichtversicherer und gegnerischem Fahrzeughalter?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B konnte von V dem Grunde nach Schadensersatz verlangen (§§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 VVG, 1 PflVG).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. V haftet gegenüber B aber nicht für die volle Summe, weil die Haftung gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG zu quoteln ist.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Dieses Ergebnis ist über die analoge Anwendung von § 17 Abs. 3 S. 3 StVG zu korrigieren, sodass die Haftung dennoch zu quoteln ist.
Nein!
4. Der Anspruch des B ist gleichwohl zu kürzen, weil B sich das Mitverschulden des H anrechnen lassen muss (§ 9 StVG i.V.m. § 254 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
5. V kann aber H in Regress nehmen, wenn V und H infolge des Unfalls gesamtschuldnerisch gegenüber B für den Schaden haften.
Ja, in der Tat!
6. Damit zwischen V und H ein Gesamtschuldverhältnis besteht, muss auch H gegenüber B für den entstandenen Schaden haften.
Ja!
7. Auch H haftet gegenüber B für den am Fahrzeug entstandenen Schaden gemäß § 7 Abs. 1 StVG.
Nein, das ist nicht der Fall!
8. H haftet gegenüber B für den Schaden, weil er eine Pflicht aus dem Sicherungsvertrag verletzt hat (§ 280 Abs. 1 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
9. H hat sich aber kraft der „Reparaturklausel“ im Sicherungsvertrag gegenüber B verpflichtet, Schäden am Fahrzeug zu beheben bzw. beheben zu lassen.
Ja!
10. V und H haften gegenüber B für den Fahrzeugschaden als Gesamtschuldner (§§ 421ff. BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
11. V kann von H jedoch Ausgleich nach den Grundsätzen über die gestörte Gesamtschuld verlangen.
Nein, das trifft nicht zu!
12. V hat den Schaden allein zu tragen und kann von H keinen Regress verlangen.
Ja!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Method Man
1.9.2021, 08:01:47
Vielen Dank für diesen Fall! Eine Frage zur Haftung aus dem Sicherungsvertrag: Das Vermuten wird doch gem. § 280 I 2 BGB vermutet. Gilt diese Vermutung hier wegen der prozessualen Einkleidung (Inzidentfrage der Klage eines Dritten) nicht? Ich frage mich, ob der Sicherungsgeber gegenüber dem Sicherungsnehmer einwenden könnte, der Unfall sei "nicht aufzuklären". Müsste diese Unsicherheit nicht Risiko desjenigen sein, der die
Pflichtverletzungbegeht? Danke im Voraus 😀
Method Man
1.9.2021, 08:08:08
Nachtrag: Offenbar hat sich die Frage für den BGH gar nicht gestellt, weil er für die
Pflichtverletzungan eine Verletzungshandlung des Sicherungsgebers anknüpft (und die steht auch nicht fest). Nur falls jemand anderes auch darüber stolpert. :)

Lukas_Mengestu
15.12.2021, 11:57:27
Hallo Method Man, in der Tat muss man bei Schutz
pflichtverletzungen (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) mit der Vermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB etwas aufpassen. Zwar gilt diese auch hier, aber eben erst bei der Frage des Vertretenmüssens. Anders als bei
Leistungspflichten, wo die
Pflichtverletzungrelativ einfach zu bestimmen ist (Verzögerung; Schlechtleistung...) muss bei Schutz
pflichtverletzungen der Geschädigte nachweisen, (1) in welchem Umfang die Schutzpflicht bestand und (2) dass der Vertragspartner diese verletzt hat. Allein der Umstand, dass ein Beschädigung des Rechtsguts eingetreten ist, stellt indes noch keinen Beweis der Schutz
pflichtverletzungdar. Da hier der Unfall nicht aufgeklärt werden kann, liegt insoweit keine nachweisbare (Schutz-)
Pflichtverletzungvor und die Vermutung des Vertretenmüssens kommt nicht zum Einsatz. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Method Man
16.12.2021, 07:33:50
Danke, das war nochmal hilfreich.👍
Philipp Paasch
5.6.2022, 23:28:00
Die Frage ist aber dennoch gut. Und natürlich wird das Verschulden vermutet. 😋
Patrick
30.1.2022, 02:12:10
Da hier keine Gleichstufigkeit der Ansprüche gegeben ist und auch die
gestörte Gesamtschuldmangels Haftungstatbestand keine Anwendung findet, könnte man hinsichtlich des Reparaturanspruchs des B gegen H nicht von einem
Abtretungsanspruch des V gegen B aus § 255 BGB analog ausgehen?
Bienenschwarmverfolger
30.1.2022, 19:44:31
Interessanter Gedanke, ich glaube aber nicht. § 255 BGB wendet man ja meines Wissens (analog) an, um eine Überkompensation des Geschädigten zu verhindern: Der Geschädigte soll nicht den vollen
Schadensersatzkassieren und darüber hinaus auch noch weitere Ansprüche gegen Dritte haben. Dazu kommt es hier aber nicht, weil die Reparaturpflicht des H von vornherein nur nachrangig ist und entfällt, sobald B von einem Dritten Ersatz erhält. Es gibt also nach der Zahlung durch V gar keine Ansprüche mehr, die B an V antreten könnte. Andernfalls würde ein solcher Anspruch analog § 255 BGB dazu führen, dass im Ergebnis immer H für alle Schäden, die irgendein Dritter am Fahrzeug verursacht (und sich dadurch
schadensersatzpflichtig macht!), einstehen muss.

Panthenola
3.8.2022, 17:03:48
Ich fände es allgemein eine echt hilfreiche Ergänzung, wenn ihr zu den Rspr-Fällen noch Übungen einbauen könntet, wie man das in einer Klausur am Besten aufbauen würde. Mir würde das sehr helfen.

Lukas_Mengestu
3.8.2022, 18:06:57
Vielen Dank für Deinen Hinweis, Panthenola! Grundsätzlich sind unsere Rechtsprechungsfälle von der Struktur her so angelegt, dass man die angesprochenen Punkte auch in dieser Reihenfolge in der Klausur prüfen würde. Wir schauen aber gerne einmal, wie wir dies noch klarer darstellen können. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Panthenola
3.8.2022, 23:38:10
Ich finde auch grundsätzlich die Struktur schon gut. Aber man lernt ja mit Wiederholungen am Besten und am Ende der Fälle ein konkretes Schema mit Verortung der Probleme, fände ich noch ein bisschen übersichtlicher :)
enise
18.1.2023, 11:42:28
ich finde eine ordentliche Skizze wäre ganz hilfreich in der App, der Fall ist nicht wirklich unkompliziert in diesem Mehrpersonenverhältnis
enise
18.1.2023, 12:05:41
und kann es sein, dass bzgl. des Mitverschuldens gem. § 9 StVG nicht D sondern B gemeint ist? D ist nicht in Sachherrschaft über die verletzte Sache des B! Desweiteren wurde in den letzten Fragen § 7 StVO zitiert, ich vermute aber, dass StVG gemeint war :)

Nora Mommsen
18.1.2023, 18:34:44
Hallo enise, danke für das Feedback zur Zeichnung. Wir werden das für die nächsten Fälle mitnehmen und noch genauer schauen, wo eine genaue Skizze mehr Sinn macht. Es ist aber natürlich immer eine gute Klausurübung eine Sachverhaltsskizze möglichst präzise, übersichtlich und zügig zu erstellen. Die Erwähnung der StVO haben wir ebenso korrigiert wie den Buchstabendreher in Bezug auf das Mitverschulden :) Danke dir für die Hinweise! Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Steven
14.11.2024, 08:43:48
Hi, in der Aufgabenstellung ist die Rede davon, dass die Haftungsquote 50/50 betrage. Das ist jedoch nicht richtig. Das ist ja gerade der Witz an dem ganzen Fall, dass eine Zurechnung der Betriebsgefahr gegenüber dem nicht haltenden Sicherungseigentümer nicht in Betracht kommt, vgl. BGH VI ZR 125/16

Sebastian Schmitt
24.11.2024, 12:33:57
Hallo @Steven, vielen Dank für Deinen Hinweis. Ich kann verstehen, was Dich hier irritiert. Wie ich die gerichtlichen Entscheidungen verstehe, bezieht sich die Feststellung der Haftungsquote 50/50 allerdings nur auf das Verhältnis zwischen H und D, den beiden Unfallbeteiligten. Und insoweit ist sie vollkommen zutreffend, weil die gleich hohe Betriebsgefahr aufgrund der Unaufklärbarkeit des Unfalls den Ausschlag gibt. Sicherungsnehmer B muss sich diese Betriebsgefahr im Verhältnis zum Versicherer V nach der Entscheidung des BGH allerdings nicht entgegenhalten lassen, weil insoweit keine Zurechnungsnorm besteht. Etwas versteckt findet sich das auch im von Dir genannten Urteil des BGH, das unserem Fall vorausgeht: "Das AG Ludwigsburg [...] hat die Bekl. zur Zahlung auf Grundlage einer Haftungsverteilung von 50 zu 50 verurteilt. Auf die Berufung des Kl., der die Feststellung des AG Ludwigsburg, der Unfallhergang sei unaufklärbar, nicht angegriffen hat, hat das LG Stuttgart [...] die Bekl. zur vollständigen Zahlung fahrzeugbezogener
Schadenspositionen [...] verurteilt UND IM ÜBRIGEN DIE VOM AG LUDWIGSBURG ANGENOMMENE HAFTUNGSQUOTE BESTÄTIGT." (BGH NJW 2017, 2352, 2352). So sah es dann auch der BGH. Anders ausgedrückt: Nur deshalb, weil sich B eine Betriebsgefahr nicht entgegenhalten lassen muss, sie B nicht zurechenbar ist, heißt das nicht, dass es diese Betriebsgefahr nicht gab. Ohnehin kann man sich nur "etwas entgegenhalten lassen", ist einem nur dann "etwas zurechenbar", wenn es dieses etwas überhaupt gab. Hätten wir keine Betriebsgefahr des H, hätte es für Versicherer V auch von Anfang an nichts zu holen gegeben. Wir haben in der Sachverhaltsdarstellung eine minimale Ergänzung vorgenommen, um das (hoffentlich) klarzustellen. Davon abgesehen halte ich unsere Sachverhaltsdarstellung aber für richtig und möchte sie daher für den Moment so stehen lassen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Nele
31.3.2025, 10:33:26
Vielen Dank für die Aufbereitung dieser wichtigen und komplexen Entscheidung. Bei der Lösung des Falles kamen bei mir noch zwei Fragen auf. 1. H tritt seine Ansprüche an B ab. Daher hat B einen Anspruch aus Fahrzeug*halter*Haftung nach § 7 I StVG gegen V. Bei den Rechtsfolgen wird nun das quoteln gem. § 17 II, I StVG verneint, da B nicht Halter ist. Würde diese Norm aber nicht auch auf den Anspruch des B aus abgetretenen Recht Anwendung finden? Schließlich wird doch der Anspruch des H gegen D dem Grunde nach geprüft, der dann an B abgetreten wird. Oder habe ich da etwas falsch verstanden? 2. Im letztem Hinweiskasten wird auf die Rückgriffskondiktion des V gegen H aufmerksam gemacht. Würde hier auch ein Anspruch des V gegen H aus § 426 II 1 in Frage kommen, wenn eine Gleichstufigkeit der Ansprüche und damit eine Gesamtschuldnerschaft bejaht werden würde? Vielen Dank im Voraus!