Drittanfechtung einer Baugenehmigung - Schwerpunkt: Klagebefugnis, Möglichkeits- & Schutznormtheorie


leicht

Diesen Fall lösen 90,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Bauherr B plant auf seinem Grundstück einen Wohnblock zu errichten und erhält dafür eine Baugenehmigung. Die Anwohner erhalten eine Ausfertigung der Genehmigung. Nachbar N fühlt sich durch das Vorhaben gestört und möchte dagegen vorgehen. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.

Einordnung des Falls

Drittanfechtung einer Baugenehmigung - Schwerpunkt: Klagebefugnis, Möglichkeits- & Schutznormtheorie

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Obwohl N nicht Adressat des Verwaltungsakts ist, könnte er durch die Baugenehmigung in einem seiner subjektiv-öffentlichen Rechte verletzt sein.

Ja!

Verwaltungsakte können Doppel- und Drittwirkung (§§ 80 Abs. 1 S. 2, 80a VwGO) haben. Auch hier ist die Klagebefugnis danach zu ermitteln, ob der Kläger möglicherweise in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (Möglichkeitstheorie). Dies setzt voraus, dass der Kläger die Verletzung eines geschützten Rechts geltend macht, das auch ihn schützt (Drittschutz). B wird durch die Baugenehmigung begünstigt, N aber belastet, da er sich in der Nutzung seines Grundstücks gestört fühlt.

2. Das Klagebegehren des N richtet sich auf die Aufhebung der Baugenehmigung. Die Anfechtungsklage ist statthaft.

Genau, so ist das!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO). N begehrt die Aufhebung der Baugenehmigung. Die Baugenehmigung ist ein Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG), der N belastet. Das Begehren des N richtet sich damit auf die Aufhebung eines ihn belastenden Verwaltungsakts. Dafür ist die Anfechtungsklage statthaft (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO).

3. N ist klagebefugt, weil er als Nachbar möglicherweise in einer baurechtlichen Norm mit drittschützender Wirkung verletzt ist.

Ja, in der Tat!

Der Kläger ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO), wenn er durch einen Verstoß gegen drittschützende Vorschriften möglicherweise in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt worden ist. Eine Norm ist drittschützend, wenn sie nicht nur Interessen der Allgemeinheit schützen soll, sondern zumindest auch den Interessen des Klägers zu dienen bestimmt ist (Schutznormtheorie). Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Vorschriften des Bauplanungsrecht (§§ 30, 34, 35 BauGB i.V.m. Rücksichtnahmegebot) verletzt sind. Diese können überwiegend auch dem Schutz der Interessen des Nachbarn dienen, also drittschützend sein. N ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).

4. N kann als Adressat der Baugenehmigung geltend machen, durch diese in einem seiner subjektiv-öffentlichen Rechte verletzt zu sein.

Nein!

Die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) beurteilt sich danach, ob der Kläger durch den angegriffenen Verwaltungsakt möglicherweise in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (sog. Möglichkeitstheorie). Ist der Kläger Adressat eines belastenden Verwaltungsakts, ergibt sich die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) auch ohne Sachvortrag aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) (sog. Adressatentheorie). N ist nicht Adressat des Verwaltungsakts (die Baugenehmigung für den Wohnblock). Die Adressatentheorie greift nicht.

Jurafuchs kostenlos testen


MCD

McD

18.11.2019, 11:59:24

Also dass 30, 34 und 35 drittschützend sind, ist in dieser Allgemeinheit für die Zwecke eines solchen Mini-Falls zwar vielleicht ausreichend und mangels weiterer Sachverhaltsangaben ist eine genauere Bestimmung ja auch gar nicht möglich, aber z.B. 35 ist im Gegenteil ja größtenteils gerade nicht drittschützend - wie auch bei 30 und 34 z.B. das Maß der Bebauung (von krassen Ausnahmen abgesehen).

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

5.1.2020, 12:06:09

Hallo McD, vielen Dank für Deinen Hinweis und sorry für die späte Rückmeldung. Du hast vollkommen Recht, die Darstellung ist hier etwas verkürzt, um die Funktionsweise der Klagebefugnis im Rahmen des VwGO-Kurses darzustellen. Dass es im Detail schwierig ist, die drittschützende Wirkung baurechtlicher Normen, insbesondere der §§ 30, 34, 35 BauGB i.V.m. dem Rücksichtnahmegebot, zu bestimmen, ist aber natürlich richtig, ebenso dass § 35 BauGB überwiegend nicht drittschützend ist. Deshalb haben wir die Aufgabe minimal angepasst, sodass nun erkennbar ist, dass die bauplanungsrechtlichen Vorschriften ÜBERWIEGEND drittschützend sein KÖNNEN. Dies so im Rahmen der Klagebefugnis zu schreiben, ist zulässig; eine weitere Behandlung bleibt dann der Begründetheit vorbehalten. Ich hoffe, das hilft. Herzlichen Dank und beste Grüße - Wendelin von Jurafuchs


© Jurafuchs 2024