Öffentliches Recht
VwGO
Anfechtungsklage
Schutznormtheorie: Klagebefugnis bei schwieriger Drittschutznorm
Schutznormtheorie: Klagebefugnis bei schwieriger Drittschutznorm
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
W wohnt in der Nähe des geplanten Kraftwerks K. Es ist abzusehen, dass K einen vorsorglichen Schadstoffgrenzwert, der dem langfristigen Klimaschutz dient, nicht wird einhalten können. W findet dies unerhört und klagt fristgemäß gegen die Betriebsgenehmigung.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Schutznormtheorie: Klagebefugnis bei schwieriger Drittschutznorm
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Das Klagebegehren des W ist auf die Beseitigung der Betriebsgenehmigung für K gerichtet. Die Anfechtungsklage ist statthaft.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. W könnte klagebefugt sein, wenn die Betriebsgenehmigung eine drittschützende Norm verletzt und diese ihn schützt.
Ja!
3. W ist klagebefugt, weil er geltend machen kann, durch einen Verstoß der Betriebsgenehmigung gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG in einem geschützten Recht verletzt zu sein.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. W ist klagebefugt, weil er geltend machen kann, durch einen Verstoß der Betriebsgenehmigung gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG in einem geschützten Recht verletzt zu sein.
Nein, das trifft nicht zu!
5. W kann als Adressat der Betriebsgenehmigung geltend machen, durch diese in einem seiner subjektiv-öffentlichen Rechte verletzt zu sein.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Henk
20.3.2020, 07:06:15
Die vorletzte Frage finde ich missverständlich. 5 I Nr. 1 BImschG ist auch drittschützend. Wenn W einen Verstoß geltend machen kann, dann ist er als in Der Nähe Wohnender doch klagebefugt. Die Frage war ja nicht, ob er sie geltend machen kann, sondern ob er klagebefugt ist, WENN er sie geltend (wenn die VSS vorliegen) macht. Vielleicht habe ich auch nur etwas missverstanden.
Sven
24.9.2020, 07:58:05
Richtig lesen! In der Frage steht nicht “WENN”, sondern “WEIL”. In diesem Fall liegt jedoch kein Verstoß gegen § 5 I Nr. 1 BImSchG vor.
ri
3.8.2021, 23:02:02
Ist das auch im Lichte der Entscheidung des BVerfG zur Klimaklage noch so zu sehen?
Ferdinand
4.8.2021, 12:52:14
M. E. ist nicht zu erwarten, dass die Entscheidungen de BVerfG zu den Klimaverfassungsbeschwerden nennenswerte Auswirkungen auf andere als die konkret entschiedene Konstellation haben wird. W müsste die Verletzung einer drittschützenden Norm geltend machen. An den Regelungen des BImSchG hat sich aber nichts geändert. Das BVerfG hat auch nicht etwa Art. 20a GG zu einem Grundrecht erhoben, sondern klargestellt, dass es sich um eine (rein objektive) Staatszielbestimmung handelt, daher kann W sich auch nicht hierauf berufen. Insgesamt halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass die neugeschöpfte Figur der „intertemporalen Freiheitssicherung“ aufgrund der spezifischen (verfassungsrechtlichen) Situation und der dogmatischen Besonderheiten in absehbarer Zeit Auswirkungen auf das einfache Recht zeigen wird.
ri
4.8.2021, 21:35:27
Danke für deine Einschätzung 👍
Isabell
11.9.2021, 11:27:30
Ändert das Umweltschutz-Urteil des BVerfG etwas an den oftmals nicht als individuelle Schutznorm ausgelegten Normen zum Umweltschutz?
Lukas_Mengestu
26.10.2021, 12:29:22
Hallo Isabell, ich würde mich hier Ferdinand (siehe Parallelthread) anschließen und dies im Ergebnis verneinen. Denn das BVerfG hat ja in dem Urteil auch noch einmal explizit klargestellt, dass Art. 20a GG gerade keine subjektiven Rechte enthält (RdNr. 112), sondern eine bloße Staatszielbestimmung darstellt. Einen interessanten Überblick über die Entscheidung und ihre Folgen findest Du auch bei Faßbender, Der Klima-Beschluss des BVerfG - Inhalte, Folgen und offene Fragen, NJW 2021, 2085. Beste grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Isabell
26.10.2021, 13:11:47
Super lieben Dank für die Fundstelle!
DeliktusMaximus
13.6.2023, 15:59:31
Es gibt demnach für W keine Möglichkeit, sich gegen das Kraftwerk zur Wehr zu setzen?
evanici
26.8.2023, 11:27:43
Scheitert der Drittschutz im Sinne der
Schutznormtheoriejetzt an der Erheblichkeit? Ich verstehe leider gar nicht, warum man mit dem Wortlaut den Drittschutz ablehnt, zumal ja explizit auch auf die Nachbarschaft im Normtext eingegangen wird…
ehemalige:r Nutzer:in
11.11.2023, 12:19:14
Hi evanici. So wie ich das verstanden habe, ist deine erste Aussage richtig. Grundsätzlich besteht Drittschutz, aber mit, wenn eine Erheblichkeitsschwelle überschritten wird. Dies ist hier wohl nicht der Fall, damit fällt der eigentlich mögliche Drittschutz in diesem konkreten Fall nicht. Lg Benny :)
Patrick4219
1.2.2024, 11:21:03
Der Drittschutz entfällt vorliegend weil vorliegend lediglich Vorsorgemaßnahmen nicht in ausreichendem Umfang getroffen werden. § 5 I Nr. 2 BImSchG ist für diese Einschlägig und enthält anders als § 5 I Nr. 1 BImSchG keinen Verweis auf die "Nachbarschaft". Bereits aus dem Wortlaut lässt sich daher entnehmen, dass Schutzzweck des § 5 I Nr. 2 BImSchG nicht der Nachbarschutz, also der Schutz des Einzelnen, ist. Vielmehr dient § 5 I Nr. 2 BImSchG primär dem Umweltschutz ("schädliche Umwelteinwirkungen") und damit dem Schutz der Allgemeinheit und gerade nicht dem Schutz von Individualinteressen.