Absichtsprovokation
4. Juli 2025
18 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T provoziert O mit den Worten "Du dreckiger Hurensohn", um ihn verletzen zu können. O geht sofort auf T los und schlägt auf ihn ein. T wehrt sich mit einem Faustschlag.
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Einordnung des Falls
Absichtsprovokation
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. O hat den Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 I StGB) erfüllt, indem er auf T losgegangen ist und ihn sodann geschlagen hat.
Ja!
2. O ist aus Notwehr gerechtfertigt (§ 32 StGB), da er sich gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff auf seine Ehre wehrte.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. T befand sich in einer Notwehrlage, als O auf ihn losging. (§ 32 StGB).
Ja, in der Tat!
4. T's Faustschlag war eine zulässige Verteidigungshandlung und damit aus Notwehr gerechtfertigt (§ 32 StGB).
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
LisaMarie20
24.1.2021, 20:48:54
DJH
24.1.2021, 21:05:06
Jose
10.8.2021, 19:58:11
Wird eine vollständige Versagung des Notwehrrechts auch angenommen, wenn Schutzwehr also Ausweichen nicht möglich ist?

Lukas_Mengestu
1.12.2021, 11:24:42
Hallo Jose, ganz so weit geht der BGH dann doch nicht. Vielmehr urteilt er in ständiger Rechtsprechung, dass die
rechtswidrige und
schuldhafte, auch vorsätzliche Provokation der Notwerhlage dem Betroffenen das Notwehrrecht nicht vollständig und nicht zeitlich unbegrenzt nimmt. Doch werden an den Täter, der sich auf Notwehr berufen will, um so höhere Anforderungen im Hinblick auf die Vermeidung gefährlicher Konstellationen gestellt, je schwererr die
rechtswidrige und vorwerfbare Provokation der Notwehrlage wiegt. Wer die Notwehrlage provoziert hat, uss unter Umständen auf eine sichere erfolgsversprechende
Verteidigungverzichten und das Risiko hinnehmen, dass ein minder gefährliches Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgsschancen bietet (vgl. BGH NJW 1994, 871). Auch wenn ein Ausweichen und Flüchten aber gänzlich unmöglich ist, dürfte T hier somit wohl allenfalls Abwehrmaßnahmen (Schutzwehr) treffen und nicht direkt mit einem Faustschlag reagieren. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
16.3.2022, 16:17:53
Darf dem Begriff der “
Absichtsprovokation” eine subjektive Komponente entnommen werden? Muss der Täter sein Opfer also gerade in der Absicht provoziert haben, ihn mit einer vermeintlich gerechtfertigten Notwehrhandlung zu verletzten? Oder reicht eine objektiv bzw. aus Sicht des Opfers provokante Handlung aus, um das Notwehrrecht des Täters einzuschränken?

Lukas_Mengestu
17.3.2022, 11:14:05
Hallo QuiGonTim, bei der
Absichtsprovokationmuss es dem Täter subjektiv darauf ankommen, den Angriff zu provozieren. Sofern es dem Täter zwar nicht subjektiv darauf ankommt den Angriff zu provozieren, der Täter dies aber (unabsichtlich) objektiv vorwerfbar provozierte, kann die Notwehr dennoch eingeschränkt sein (Angriffsprovokation). Einigkeit herrscht dabei weitgehend, dass das Notwehrrecht eingeschränkt ist, wenn der Täter den Angriff durch
rechtswidriges Vorverhalten provozierte. Bei rechtmäßigem, aber sozialwidrigem Vorverhalten lehnt die hL dagegen eine Einschränkung ab, während der BGH (BGHSt 42, 97 - Herausekeln eines anderen Fahrgastes durch Zugluft der Fenster) auch hier das Notwehrrecht einschränkt (Überblick hierzu bei Perron/Eisele, Sch/Sch-StGB, 30.A. 2019, § 32 RdNr. 58). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Sniter
17.1.2023, 12:59:38
Liebes Jurafuchs-Team, ich weiß, dass man mit der Juristerei niemals "fertig" ist und man sich immer noch mehr Sonderfälle anschauen kann, aber vllt könntet Ihr noch einige Fälle zur unbeabsichtigten Provokation und zur Actio illicita in causa machen?

Lukas_Mengestu
18.1.2023, 13:10:12
Lieben Dank, Sniter. Das nehmen wir gerne noch mit auf :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

H. Schmidt von Church
21.5.2023, 12:24:44
Hallo zusammen, mit der Beleidigung und Notwehr ist es ja so eine Sache. Wenn die Beleidigung vom Beleidigten wahrgenommen wird, ist der Angriff auf die Ehre ja in der Regel schon beendet. Soweit ich mich erinnere kann sich etwas anderes ergeben, wenn es sich um Beleidigungstirade handelt. Also mehrere Beleidigungen direkt hintereinander ausgesprochen werden. Hier liegt es m.E. ähnlich. Ob eine Notwehrlage vorliegt, wird ex post beurteilt. Wir wissen, dass T den O provozieren wollte, damit er auf ihn losgeht. Können wir dadurch nicht annehmen, dass T noch weiter beleidgt hätte, wenn O nicht sofort auf ihn losgegangen wäre und somit ein weiterer (Beleidigungs-)Angriff unmittelbar bevorstand?

Lukas_Mengestu
23.5.2023, 10:39:24
Hallo H. Schmidt von Church, das lässt sich durchaus hören und vertreten. In der Klausur würde ich Dir an dieser Stelle allerdings raten, "klausurtaktisch" vorzugehen. Sofern Du hier bereits einen gerechtfertigten Angriff des O annehmen würdest, läge für T keine Notwehrlage vor, da es an einem "
rechtswidrigen" Angriff fehlen würde. Zur Problematik der
Absichtsprovokationund der dadurch eingeschränkten Notwehr kämst Du dann nicht mehr. Diese Prüfung würdest Du Dir also abschneiden bzw. diese nur hilfsgutachterlich prüfen. Insoweit empfiehlt es sich hier, nur von einer abgeschlossenen Beleidigung auszugehen und von dem Plan zu provozieren nicht direkt auf eine Beleidigungstirade zu schließen :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

eichhörnchen II
13.3.2025, 20:57:36
Ich habe gelernt, einer solchen
verteidigungsabsicht bedarf es entgegen der Auffassung der Rechtsprechung nicht. der Wortlaut des 32 „um“ … „zu“ bezieht sich demnach auf die Erforderlichkeit. Einen Motivationszusammenhang anzunehmen, würde Gefahr laufen gesinnungsstrafrecht zu etablieren. zudem verstößt es gegen den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Tb und Rechtfertigung hier eine Absicht zu verlangen, wenn im Tb etwa dolus eventualis gefordert ist.

eichhörnchen II
13.3.2025, 21:00:15
Ob das Notwehrrecht im Fall der
Absichtsprovokationdann entfällt oder nach der Dreistufentheorie einzuschränken ist, ist dann wieder ein anderer Streit. Könnt ihr mir sagen, wie ich in der (Examens) Klausur vorgehe? Ihr setzt ja hier eine
Verteidigungsabsicht voraus. Mein Prof hält das für contra legem.