Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

Wiedereinsetzung bei Fristversäumnis wegen ungewöhnlich langen Postlaufs

Wiedereinsetzung bei Fristversäumnis wegen ungewöhnlich langen Postlaufs

23. November 2024

4,7(32.061 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A klagt gegen einen abgelehnten Asylantrag. Die Klagefrist endet am 01.06. Der Prozessbevollmächtigte P gibt die Klageschrift am 30.05. zur Post, sie geht aber erst am 06.06. beim VG ein. Das VG hält die Klage für verfristet. A begehrt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Diesen Fall lösen 72,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Wiedereinsetzung bei Fristversäumnis wegen ungewöhnlich langen Postlaufs

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Für die Klage des A gegen den ablehnenden Bescheid gilt die einmonatige Klagefrist (§ 74 Abs. 1 VwGO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Für asylrechtliche Streitigkeiten gilt die Sondervorschrift des § 74 Abs. 1 AsylG. Danach muss innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheids Klage erhoben werden. Insoweit wird die übliche Klagefrist im verwaltungsgerichtlichen Prozess (§ 74 Abs. 1 VwGO) also verkürzt. Dies ist Ausdruck der Konzentrationsmaxime und des Beschleunigungsgebotes im Asylverfahren.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Klage des A ist erst nach Ablauf der Klagefrist bei Gericht eingegangen und somit verfristet.

Ja, in der Tat!

Die Klagefrist wird nur durch rechtzeitige schriftliche Erhebung der Klage mittels Einreichung der Klageschrift oder mittels einer Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gewahrt (§ 81 Abs. 1 VwGO). Die Klage ist erst dann wirksam erhoben, wenn sie dem zuständigen Gericht zugegangen ist. Dies erfordert keine Kenntnisnahme, sondern dass die Erklärung in den Verfügungsbereich des Gerichts gelangt ist. Die Klage des A ist dem Gericht erst nach Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist (§ 74 Abs. 1 AsylG) zugegangen und somit verfristet.

3. Die Verfristung einer Klage ist unerheblich, wenn die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) vorliegen.

Ja!

Die Verfristung einer Klage ist nach § 60 VwGO unerheblich, wenn (1) die Fristversäumnis unverschuldet ist, (2) die entsprechenden Tatsachen glaubhaft sind und (3) der Wiedereinsetzungsantrag fristgemäß, d.h. innerhalb von 2 Wochen, gestellt worden ist. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) ermöglicht einen Eingriff in die Rechtskraft und beruht auf einer Abwägung des Gesetzgebers zwischen den Erfordernissen der Rechtssicherheit und den materiellen Prozessgrundrechten (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 103 Abs. 1 GG).

4. Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO liegt vor, wenn der Beteiligte die Frist vorsätzlich oder fahrlässig versäumt hat.

Genau, so ist das!

Während die vorsätzliche Fristversäumung in der gerichtlichen Praxis kaum eine Rolle spielt, ist die Frage nach der fahrlässigen Fristversäumung oft entscheidend. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist ein Fristversäumnis unverschuldet, wenn dem Betroffenen nach den gesamten Umständen kein Vorwurf daraus zu machen ist, dass er die Frist versäumt hat, ihm also die Einhaltung der Frist subjektiv nicht zumutbar war. Laut OVG dürfen die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung vor dem Hintergrund des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) aber grundsätzlich nicht überspannt werden (RdNr. 3).

5. Das Fristversäumnis ist unverschuldet, da nicht A selbst, sondern sein Prozessbevollmächtigter P die Klage eingereicht hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Dem Verschulden eines Beteiligten steht das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gleich (§ 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO) und wird ihm ohne Exkulpationsmöglichkeit zugerechnet. Gleiches gilt auch für den gesetzlichen Vertreter des Beteiligten (§ 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 51 Abs. 2 ZPO).

6. Die gewöhnliche Postlaufzeit einer Briefsendung beträgt zwei Werktage.

Ja!

Die Post hat sicherzustellen, dass an Werktagen aufgegebene Inlandssendungen im gesamten Bundesgebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80 % am ersten und zu 95 % am zweiten Werktag nach der Einlieferung ausgeliefert werden (vgl. § 2 Nr. 3 S. 1 Post-UniversaldienstleistungsVO). OVG: Diese Quoten lassen die Einhaltung der gewöhnlichen Postlaufzeit von zwei Werktagen erwarten. Ohne konkrete Anhaltspunkte müsse ein Rechtsmittelführer nicht mit Postlaufzeiten rechnen, die darüber hinausgehen und damit die Gefahr der Fristversäumung begründen (RdNr. 4).

7. Ungewöhnliche lange Postlaufzeiten, auf die der Beteiligte keinen Einfluss hat, dürfen ihm dennoch als Verschulden angerechnet werden.

Nein, das ist nicht der Fall!

OVG: Dem Bürger dürfen Verzögerungen der Briefbeförderung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden. Er dürfe darauf vertrauen, dass die für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten eingehalten werden. Ist dies nicht der Fall, dürfe dies dem Bürger, der darauf keinen Einfluss hat, nicht als Verschulden zur Last gelegt werden. „In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post zu geben, dass es nach deren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht erreichen kann“ (RdNr. 3).

8. A war ohne Verschulden an der Wahrung der Klagefrist (§ 74 Abs. 1 AsylG) verhindert.

Ja, in der Tat!

OVG: A durfte damit rechnen, dass seine am 30.05. eingeworfene Klageschrift spätestens zwei Werktage später, also am 01.06. beim zuständigen Gericht eingehen würde. Dies hätte die Klagefrist gewahrt. Die Vorinstanz (VG Düsseldorf) hatte angenommen, A habe die Klagefrist verschuldet nicht eingehalten, weil P die Klageschrift erst zwei Tage vor Fristablauf zur Post gegeben und nicht vorab per Fax abgesandt habe. Diese Rechtsauffassung habe laut OVG die durch das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gebotenen Sorgfaltsmaßstäbe überspannt (RdNr. 5). Somit ist dem A Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) zu gewähren.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen