Grundfall

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Aus Solidarität mit den Protesten im Iran hängt A von seinem Balkon in Deutschland eine Flagge. Baubehörde B erlässt einen schriftlichen Bescheid, wonach A „die bauliche Veränderung“ entfernen muss. Die Verfügung wird bestandskräftig. A hat die Flagge nicht entfernt.

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Einordnung des Falls

Grundfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Will B die Befolgung der Verfügung zwangsweise durchsetzen, muss sie hier § 3 VwVG beachten.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Vollstreckung von Geldforderungen richtet sich nach § 3 Abs. 2 und Abs. 3 VwVG. Die Vollstreckung von Verfügungen, die den Adressaten zur Vornahme einer Handlung, ein Unterlassen oder eine Duldung auffordern, richtet sich nach § 6 VwVG. Bei der Verfügung, die Flagge zu entfernen, handelt es sich um eine Aufforderung zu einem Handeln. Einschlägig ist daher § 6 VwVG.
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2. Vor der Einleitung des Vollstreckungsverfahrens muss B sich für ein Zwangsmittel nach § 9 VwVG entscheiden.

Ja!

Das VwVG kennt - wie die Landesverwaltungsvollstreckungsgesetze - drei Zwangsmittel: (1) die Ersatzvornahme, (2) das Zwangsgeld mit subsidiärer Zwangshaft und (3) den unmittelbaren Zwang. Die Auflistung der Zwangsmittel in § 9 VwVG ist abschließend - die Behörde darf nur die genannten Zwangsmittel anwenden. Welche Zwangsmittel eingesetzt werden sollen, liegt im Ermessen der Behörde. Die Auswahl muss aber unter Beachtung der Grundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit erfolgen (§ 9 Abs. 2 VwVG). B kann grundsätzlich frei entscheiden, welches Zwangsmittel gegen A eingesetzt werden soll. Es muss allerdings abgewogen werden, welches Zwangsmittel konkret erforderlich und verhältnismäßig ist.

3. In Betracht kommt zunächst die Ersatzvornahme. Dazu müsste die vorzunehmende Handlung „vertretbar“ sein.

Genau, so ist das!

Wird die Verpflichtung, eine Handlung vorzunehmen, deren Vornahme durch einen anderen möglich ist (= vertretbare Handlung), nicht erfüllt, so kann die Vollzugsbehörde einen anderen mit der Vornahme der Handlung auf Kosten des Pflichtigen beauftragen (Ersatzvornahme, § 10 VwVG). Ist eine Handlung unvertretbar, kommt als Zwangsmittel das Zwangsgeld nach § 11 VwVG in Betracht. Ein Zwangsgeld kann auch ausnahmsweise bei vertretbaren Handlungen verhängt werden, wenn die Ersatzvornahme untunlich ist, besonders, wenn der Pflichtige außerstande ist, die Kosten zu tragen, die aus der Ausführung durch einen anderen entstehen (§ 11 Abs. 1 Hs. 2 VwVG). Die Entfernung der Flagge am Balkon des A ist durch einen Dritten möglich. Zwar kann ein Dritter nicht ohne Weiteres durch As Wohnung auf den Balkon gelangen, allerdings kann die Flagge mit Hilfe einer Leiter oder eines Krans von außen entfernt werden.

4. Die Ersatzvornahme ist nicht erforderlich, daher sollte B ein Zwangsgeld androhen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Behörde hat bei der Wahl eines Zwangsmittels zunächst den Grundsatz der Erforderlichkeit zu beachten (§ 9 Abs. 2 VwVG). Ein Zwangsmittel ist dann erforderlich, wenn es das mildeste unter den zur Verfügung stehenden, gleich geeigneten Mitteln zur Erreichung des Zwecks des Grundverwaltungsakts ist. Die Ersatzvornahme von vertretbaren Handlungen führt in der Regel am zuverlässigsten dazu, dass der Zweck des Grundverwaltungsakts erreicht wird. Denn wird ein Zwangsgeld verhängt, ist damit noch nicht gesagt, dass der Verwaltungsakt auch tatsächlich befolgt wird. Es besteht immer das Risiko, dass der Adressat den Verwaltungsakt weiterhin nicht befolgt. Dieser „Vorrang“ der Ersatzvornahme wird auch durch die Ausnahmeregelung in § 11 Abs. 1 Hs. 2 VwVG deutlich. Hier ist nicht ersichtlich, dass eine Ersatzvornahme „untunlich“ ist. Es steht kein gleich geeignetes, milderes Mittel als die Ersatzvornahme zur Verfügung.

5. Nach der Androhung und Festsetzung des Zwangsmittels, kann dieses angewendet werden.

Ja!

Im Zwangsverfahren muss das Zwangsmittel zunächst schriftlich angedroht werden (§ 13 VwVG). Dabei ist dem Pflichtigen eine billige Frist zur Befolgung des Grundverwaltungsakts gesetzt werden. Die Androhung ist also eine Art „Warnschuss”. Sie muss unter Nennung des konkreten Zwangsmittels erfolgen. Das Zwangsgeld muss genau beziffert werden, bei der Ersatzvornahme muss ein Kostenvoranschlag enthalten sein. In der Praxis wird die Androhung häufig bereits mit dem Grundverwaltungsakt verbunden. Wird der Verwaltungsakt innerhalb der Frist nicht befolgt, wird das Zwangsmittel festgesetzt (§ 14 VwVG). Die Festsetzung muss der Androhung inhaltlich entsprechen, ansonsten ist sie rechtswidrig. Nach erfolgter Festsetzung kann das Zwangsmittel angewendet werden (§ 15 VwVG). Wenn B die Schritte der §§ 13, 14 VwVG befolgt hat, kann sie die Ersatzvornahme veranlassen (§ 15 VwVG).
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