Öffentliches Recht

Europarecht

Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV

Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV („Kranemann")

Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV („Kranemann")

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die deutsche Referendarin K absolviert 2019 ihre Wahlstation bei einer Kanzlei in London. Sie beantragt beim Land NRW die Erstattung der Reisekosten. Die Reisekosten werden ihr jedoch nur von ihrem deutschen Wohnort bis zur deutschen Grenze, nicht bis nach London, erstattet.

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Einordnung des Falls

Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV („Kranemann")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Rechtsreferendare sind keine Arbeitnehmer. Der sachliche Anwendungsbereich ist daher nicht eröffnet.

Nein, das trifft nicht zu!

Arbeitnehmer i.S.d. Art. 45 AEUV ist jeder Unionsbürger, der während einer bestimmten Zeit weisungsgebunden Leistungen von einem wirtschaftlichen Wert für einen anderen erbringt und dafür als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Als Rechtsreferendarin ist K weisungsgebunden. Auch wenn ihre Leistungen einem Ausbildungsverhältnis zuzuordnen sind, erbringt sie in der Kanzlei Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert in einem tatsächlichen und echten Lohn- und Gehaltsverhältnis. Der sachliche Anwendungsbereich ist eröffnet.
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2. Rechtsreferendare fallen unter die Bereichsausnahme der öffentlichen Verwaltung, sodass gemäß Art. 45 Abs. 4 AEUV die Anwendung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgeschlossen ist.

Nein!

Der EuGH legt den Begriff der öffentlichen Verwaltung unionsrechtsautonom. Eine Tätigkeit ist dann als Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung i.S.d. Art. 45 Abs. 4 AEUV anzusehen, wenn sie mittelbar oder unmittelbar mit der Ausübung von Hoheitsgewalt verbunden ist und der Wahrung der Allgemeininteressen des Staates dient. Die Tätigkeit der K nicht schon deshalb in den Kernbereich der Ausübung von Hoheitsgewalt, weil ihr Ausbildungsvertrag öffentlich-rechtlicher Natur ist. Die Wahrung von staatlichen Allgemeininteressen und die Staatsangehörigkeit sind im Rahmen des Vorbereitungsdienstes ohne Belang. K außerdem bei einer Kanzlei und somit bei einer Person des Privatrechts beschäftigt.

3. Bei der Verweigerung der Reisekostenerstattung handelt es sich um eine offene oder versteckte Diskriminierung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine offene Diskriminierung ist dann gegeben, wenn die Ungleichbehandlung auf dem Differenzierungskriterium der Staatsangehörigkeit beruht. Eine versteckte Diskriminierung liegt vor, wenn die Ungleichbehandlung an ein anderes Differenzierungskriterium als die Staatsangehörigkeit geknüpft wird, durch die versteckt diskriminierende Maßnahme ausländische Arbeitnehmer jedoch typischerweise stärker und häufiger betroffen werden als inländische Arbeitnehmer. Die Verweigerung der Reisekostenerstattung knüpft als Differenzierungskriterium nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an den Ort an, an dem die Wahlstation absolviert an. Ausländische Referendare absolvieren typischerweise nicht häufiger Wahlstationen im Ausland als inländische Referendare. Es ist daher weder eine offene noch eine versteckte Diskriminierung gegeben.

4. Auch unterschiedslose Beschränkungen können einen Eingriff in die Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellen.

Ja, in der Tat!

Der EuGH hat die Freizügigkeit der Arbeitnehmer von dem ausdrücklich in Art. 45 Abs. 2 AEUV normierten Diskriminierungsverbot zu einem Beschränkungsverbot weiterentwickelt. Nach der sog. Bosman-Formel stellen alle Maßnahmen, die den Arbeitnehmer daran hindern, ihn davon abhalten oder es für ihn weniger attraktiv machen, sein Herkunftsland zu verlassen (und damit Freizügigkeitsrecht wahrzunehmen) Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar.

5. Ein Eingriff kann vorliegend nicht gegeben sein, da es sich bei der nationalen Maßnahme nicht um ein Verbot, sondern bloß um die Verweigerung finanzieller Unterstützung handelt.

Nein!

Durch die Verweigerung der Reisekostenerstattung werden Referendare, die ihre Wahlstation in Deutschland absolvieren, besser gestellt als Referendare, die ihre Wahlstation im europäischen Ausland absolvieren. Wenn der Staat es erlaubt, dass das Referendariat in einem anderen Mitgliedstaat absolviert werden kann, dann muss er die Modalitäten auch so ausgestalten, dass sie keine Grundfreiheiten beeinträchtigen. Die Regelung stellt daher ein (finanzielles) Hindernis dar, welches Referendare davon abhalten kann, eine Station in einem anderen Mitgliedstaat zu absolvieren. Die Entscheidung wird in der Literatur vor dem Hintergrund kritisiert, dass die Grundfreiheiten im Wegzufall zu aktiven staatlichen Förderungspflichten zu entarten drohen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Nico

Nico

7.10.2023, 19:39:36

Die Antworten enthalten Rechtschreibfehler

CR7

CR7

8.8.2024, 19:02:36

Ja, leider im EuropaR-Kapitel zu viele


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