Zivilrechtliche Nebengebiete

Familienrecht

Recht der ehelichen Gemeinschaft

Schadensersatzansprüche zwischen Ehegatten - Ehe als sonst. gesch. Rechtsgut (Fall)

Schadensersatzansprüche zwischen Ehegatten - Ehe als sonst. gesch. Rechtsgut (Fall)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

F und M sind schon seit über 20 Jahren miteinander verheiratet. Seit kurzem hat M eine Affäre mit der Nachbarin N. Die beiden treffen sich immer in Ms Ehewohnung, während die F arbeitet. Als F davon erfährt, erleidet sie einen Nervenzusammenbruch und muss ärztlich behandelt werden.

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Einordnung des Falls

Schadensersatzansprüche zwischen Ehegatten - Ehe als sonst. gesch. Rechtsgut (Fall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Stellt die Ehe als solche ein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut dar?

Nein, das trifft nicht zu!

Der BGH und die herrschende Meinung lehnen eine Anerkennung der Ehe als Rechtsgut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ab. Der innereheliche höchstpersönliche Bereich müsse demnach von der staatlichen Kontrolle und staatlichem Zwang unberührt bleiben. Dies entspreche auch der Wertung des § 120 Abs. 3 FamFG. Die Ehe stehe daher außerhalb der Rechtsverhältnisse, deren Verletzung allgemeine Schadensersatzansprüche für Vermögensschaden begründen können. Die Ehe als solche stellt somit kein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut dar.
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2. Stellt der räumlich gegenständliche Bereich der Ehe ein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut dar?

Ja!

Auch wenn die Ehe als solche nicht deliktsrechtlich geschützt ist, stellt zumindest der räumlich-gegenständlichen Bereich der Ehe ein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut dar. Dieser Schutz lasse nach dem BGH aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der jeweiligen Ehegatten ableiten, welches sich auch auf die eheliche Wohnung als Grundlage des Ehe- und Familienlebens und Ort zur Entfaltung der Persönlichkeit bezieht. Der räumlich-gegenständliche Bereich der Ehe stellt somit ein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut dar.

3. Hat F gegen M einen Anspruch auf Unterlassung Ausübung der Affäre in der ehelichen Wohnung gemäß § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 1004 BGB?

Genau, so ist das!

Aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 1004 BGB lassen sich bei Verletzung des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den untreuen Ehegatten sowie auch den Dritten entnehmen. M hat somit einen Anspruch auf F auf Unterlassung der Ausübung der Affäre in der ehelichen Wohnung. Dieser Anspruch ist auch vollstreckbar, da sich § 120 Abs. 3 FamFG allein auf den Schutz der höchstpersönlichen Ehebeziehung, nicht aber auf den räumlich-gegenständlichen Bereich der Ehe bezieht.

4. Hat F gegen M einen Anspruch auf Ersatz der Behandlungskosten gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe?

Nein, das trifft nicht zu!

Der BGH lehnt trotz der Anerkennung des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe als absolutes Recht nach § 823 Abs. 1 BGB einen Schadensersatzanspruch wegen deren Verletzung grundsätzlich ab. Andernfalls würde der allgemeine Grundsatz des § 120 Abs. 3 FamFG, dass bei Verletzung personaler Ehepflichten keine Schadensersatzpflichten bestehen, wieder unterlaufen. F hat somit keinen Anspruch gegen M auf Ersatz der Behandlungskosten wegen Verletzung des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe. In Betracht kommt jedoch ein Schadensersatz wegen der Verletzung anderer absoluter Rechte und Rechtsgüter, wie beispielsweise die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit aufgrund des Nervenzusammenbruchs.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PH

Philippe

18.6.2022, 22:24:55

Das Ergebnis erscheint mir widersprüchlich: Einerseits könnte der

Unterlassungs

anspruch notfalls mit Zwangshaft (!) vollstreckt werden, andererseits soll durch ein Schadensersatzanspruch wegen des Eingriffs in den räumlich gegenständlichen Bereich § 120 FamFG unterlaufen werden. Ich hatte das so verstanden, dass durch den Schadensersatz nicht irgendwelche Scheidungsfolgekosten ersetzt verlangt werden können, um das Zerrüttungsprinzip nicht zu unterlaufen, weil man dem anderen Ehegatte dann ja ein Verschulden für die Scheidung nachweisen müsste. Bei solchen unmittelbaren Schäden besteht die Gefahr ja aber nicht.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

7.7.2022, 11:01:01

Hallo Philippe, auf der einen Seite steht ein

Unterlassungs

anspruch durch den der räumlich-gegenständliche Bereich der Ehe geschützt wird. Nicht geschützt werden soll aber die Erfüllung ehelicher Pflichten, mit dem Argument dies gehe den Staat nichts an. Deswegen wird durch den

Unterlassungs

anspruch auch nicht die Ehe bzw. das eheliche Zusammenleben geschützt, sondern lediglich der räumlich-gegenständliche Bereich. Schadensersatz kann in diesem Fall nur über die Verletzung der Gesundheit geltend gemacht werden. Das kann man durchaus widersprüchlich finden, stellt aber die Abwägung dar, die der BGH vornimmt zwischen "eigentlich ist die Ehe höchstpersönlicher Natur und kann nicht dem Zwang unterworfen werden" gegenüber "Schutzwürdigkeit des Lebensmittelpunktes des anderen Partners" ist. Mit dieser Abwägung finde ich die Differenzierung durchaus nachvollziehbar. Siehst du das anders? Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

NAI

Naitsab

14.2.2023, 08:51:40

Verstehe ich denn richtig, dass dies lediglich die gefestigte Rechtsprechung des BGH wiedergibt? Wenn ich die Literaturstimmen richtig einordne, dann werden bzgl. Schadensersatzansprüchen auch andere Meinungen mit unterschiedlicher Reichweite vertreten. MüKoBGB/Roth, BGB, § 1353 Rn. 48; BeckOGK/Erbath, BGB, § 1353 Rn. 592 ff, 600 m.w.N.; Wellenhofer, FamR, § 11 Rn. 14. Diese beziehen sich nur bedingt auf den hier vorliegende Fall, wenngleich Wellenhofer die Ansicht vertritt, dass zB die Erstattung einer Hotelrechnung nach Flucht ins Hotel gem. § 823 ABS. 1 BGB geltend gemacht werden könne. Gerade die Ausführungen Hardtungs finde ich interessant, denn für mich ist die Abwägung des BGH auch nicht überzeugend. Ich vermute, dass eine Klausur darauf nicht ausgelegt sein wird. Und wenn, sollte mit der Meinung des BGH gegangen werden? Oder würde es sich anbieten, ggf. die kritischen Stimmen der Literatur einzubringen (sofern ich sie korrekt aufgefasst habe)?

LEA

Lea

11.9.2023, 11:36:22

Hallo, ich habe dazu zwei Fragen: 1. Der Schutz des § 823 I BGB für den räumlichen Geltungsbereich der Ehe wird man dann nur annehmen, wenn die beiden Eheleute zusammen in einer Wohnung leben? Oder wird das auch auf Wohnungen der beiden angewendet, wenn diese in zwei einzelnen Wohnungen leben, sich aber immer abwechselnd bei dem jeweils anderen z.B. am Wochenende treffen ? 2. Könnte man dem Schutz nicht entgegenhalten, dass für den Ehebruch auch immer die Mitwirkung eines der Eheleute notwendig ist und die beiden Partner für die Ehe jeweils selbst das Risiko eines Scheiterns der Ehe tragen ? Danke schonmal :)

CHEFM

ChefMarcelo

7.10.2023, 15:51:20

Grds besteht ja die Pflicht der Gemeinschaft die natürlich in der Praxis dann abgewichen werden kann. Daher ist das dann mMn im Einzelfall so zu sehen, dass auch die zB nur an Wochenenden gemeinsam genutzte Wohnung in den räumlich geschützten Bereich des 823 fällt… Bei deiner zweiten Frage bin ich mir nicht sicher, ob ich sie richtig verstehe. Aber ich finde, wenn sie auf das beidseitige „verschulden“ abzielt nicht wirklich zutreffend. Was meinen die Anderen?


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