Art der Tätigkeit - Konkretisierung

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist beim Elektrohandel Uranus seit sieben Jahren als Verkäufer beschäftigt. Von Anfang an war er in der Computerspielabteilung eingesetzt. Aufgrund einiger Abgänge teilt Direktorin D dem A mit, dass er fortan in der Abteilung für Waschmaschinen eingesetzt werde.

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Einordnung des Falls

Art der Tätigkeit - Konkretisierung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers ist vollständig im BGB geregelt.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers zählt zu den Rechtsquellen des Arbeitsrechts. Früher wurde es allein aus dem Arbeitsvertrag abgeleitet, bis mit § 106 GewO erstmalig eine gesetzliche Regelung geschaffen wurde. Der Arbeitgeber kann danach unter anderem Art, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen bestimmen, soweit nicht höherrangige Vorschriften, Beteiligungsrechte des Betriebsrates oder arbeitsvertragliche Vereinbarungen entgegenstehen.Zum 1.4.2017 wurde das Weisungsrecht zusätzlich in den neu geschaffenen § 611a Abs. 1 S. 1-4 BGB aufgenommen. Allerdings ist es hier nur unvollständig beschrieben. Es fehlt der Verweis, dass sich das Weisungsrecht auch auf die „Ordnung“ und das „Verhalten der Arbeitnehmer“ beziehen kann (§ 106 S. 2 GewO) sowie die Ausübungsschranke des „billigen Ermessens“.Aufgrund der unvollständigen Normierung solltest Du auch weiterhin auf § 106 GewO abstellen und § 611a Abs. 1 S. 2 BGB allenfalls ergänzend zitieren.
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2. Verstößt die Weisung der D gegen den Arbeitsvertrag?

Nein!

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO) findet dort seine Grenze, wo höherrangige Vorschriften, Beteiligungsrechte des Betriebsrates oder arbeitsvertragliche Vereinbarungen der Weisung entgegenstehen.Ausweislich des Arbeitsvertrages ist A als Verkäufer eingestellt worden. Eine Beschränkung auf den Einsatz in der Computerspielabteilung ist nicht erfolgt.Der Arbeitsvertrag ist regelmäßig das wichtigste Instrument zur Bestimmung der geschuldeten Tätigkeit. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Tätigkeit hier kurz zu charakterisieren und zu beschreiben (§ 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 NachwG).

3. Da A sieben Jahre lang in der Computerspielabteilung eingesetzt war, hat sich seine Leistungspflicht dahingehend konkretisiert, dass er nur noch dort eingesetzt werden darf.

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei weit gefassten arbeitsvertraglichen Festlegungen kann im Laufe der Zeit eine Konkretisierung der Leistungspflicht eintreten, wenn (1) dem Arbeitnehmer für längere Zeit nur eine bestimmte Tätigkeit zugewiesen wurde und (2) der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, sein Pflichtenkreis begrenze sich auch künftig auf Täitgkeiten dieser Art.Zwar war A längere Zeit bei den Computerspielen eingesetzt worden. Dies allein begründet indes noch kein schutzwürdiges Vertrauen. Eine Konkretisierung liegt nicht vor.Im Ergebnis handelt es sich bei der Konkretisierung um eine konkludente Vertragsänderung. Bei der Annahme einer solchen ist die Rechtsprechung sehr zurückhaltend.

4. Überschreitet die Weisung nun Waschmaschinen zu verkaufen die Grenzen des billigen Ermessens?

Nein, das trifft nicht zu!

Die arbeitsvertragliche Weisung darf nur nach billigem Ermessen (§ 106 GewO) ausgeübt werden. Der Arbeitgeber muss dabei alle Umstände des Einzelfalls und die Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen.Vorliegend erfolgt die Zuweisung der Aufgabe der Kompensation von Abgängen. Mit Ausnahme der Mühe, sich in die neue Produktpalette einzuarbeiten, erleidet A hierdurch keine wesentlichen Nachteile. Somit hält sich die Weisung innerhalb der Grenzen des billigen Ermessens.Bei dem Begriff des billigen Ermessens handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Den Arbeitsgerichten steht hier bei der Auslegung ein Beurteilungsspielraum zu.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BASA

Barbara Salesch

10.1.2023, 10:33:52

Existiert für die in Rede stehende Vertragskonkretisierung eine Art zeitliches Element als Maßstab, also gibt es eine ungeschriebene Grenze ab welche die Rspr eher zur Annahme dessen tendiert?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

10.1.2023, 12:26:44

Hallo Barbara Salesch, danke für deine Frage. Da kann man ganz klar sagen nein. Allein Zeitablauf oder Gewöhnung stellen keine besonderen Umstände dar. Ich habe mal ein paar Beispiele aus der Rechtsprechung rausgesucht, bei denen klar wird, dass die restriktive Anwendung die Begründung zur Zeitablauf quasi ausschließt : der Umsetzung eines Arbeitnehmers aus der Nacht- in die Tagschicht, nach über zehn Jahren ausschließlich Nachtschicht; der Zuweisung von Maschinenarbeit nach fast zwanzigjähriger Tätigkeit im Warenkontrollbereich; der Umsetzung einer Redakteurin in die Lokalredaktion nach fast 33-jähriger (!) Tätigkeit in der Hauptredaktion mit der Folge, dass die Fahrzeit der Mitarbeiterin von ihrem Wohnort zur Arbeitsstelle nicht mehr – wie bisher – zehn Minuten, sondern ca. 58 Minuten beträgt; der erstmaligen Anordnung von Sonn- und Feiertagsarbeit, die zuvor während der Dauer von 30 Jahren nicht angeordnet wurde.. Du siehst also, dass selbst eine über dreißigjährige Dauer der Tätigkeit nicht ohne Weiteres zu einer Einschränkung des Direktionsrechts führt. Als solche „besonderen Umstände“ die zu einer Einschränkung führen können, werden vom BAG beispielsweise eine Ausbildung oder Beförderung, die Übertragung von Führungsaufgaben oder eine Zusage des Arbeitgebers angesehen. Viele Grüße, Nora – für das Jurafuchs-Team

Isabell

Isabell

21.3.2023, 16:19:03

Dürfte erklären, warum man hin und wieder das Gefühl, dass die Person einem gegenüber gerade kein Facheprsonal ist. Die technischen Daten rund um Videospiele dürften gänzlich andere sein als bei Waschmaschinen :)

REBECC

Rebecca

4.1.2024, 19:14:35

Das Weisungsrecht ist mittlerweile auch in § 611a Abs. 1 S. 2 BGB geregelt, dann müsste die erste Frage vielleicht noch angepasst werden? Auch wenn § 106 GewO auch weiterhin herangezogen wird..

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.1.2024, 12:22:22

Hallo Rebecca, vielen Dank für den Hinweis. Wir haben die Frage nun ein wenig präzisiert (ergibt sich "vollständig" aus dem BGB) und den Hinweistext ergänzt. Die Regelung in § 611a Abs. 1 S. 2 BGB ist nicht wirklich gut gelungen, da sie das Weisungsrecht nur unvollständig beschreibt. Es fehlen die Angaben aus § 106 S. 2 GewO sowie die Ausübungsschranke des billigen Ermessens. Vorzugswürdig wäre es insoweit gewesen, wenn man sich hier einfach mit einem Verweis auf § 106 GewO beholfen hätte (so auch ErfK/Preis, 24. Aufl. 2024, BGB § 611a Rn. 34). Die Rechtsprechung stellt weiterhin nur auf § 106 GewO ab (zB BAG, NZA 2021, 1702). In der Klausur dürfte Dir das insofern nicht als fehlerhaft angestrichen werden. Sicherheitshalber kannst Du aber ergänzend auch noch § 611a Abs. 1 S. 2 BGB zitieren. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

robse27

robse27

1.10.2024, 20:37:01

Moin zusammen, handelt es sich hierbei nicht um eine Versetzung iSv § 95 III 1 BetrVG, weswegen der Betriebsrat (sofern einer besteht) zu beteiligen wäre (§ 99 I 1 BetrVG)? Könnte man ggf. einen solchen Vertiefungshinweis anbringen (oder zumindest als Hinweis, an die Beteiligung des Betriebsrats zu denken)? Danke und LG :)


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