Zivilrecht

Kaufrecht

Verbrauchsgüterkauf

Tiere als gebrauchte Sachen iSd § 474 Abs. 2 S. 2 BGB

Tiere als gebrauchte Sachen iSd § 474 Abs. 2 S. 2 BGB

13. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Neues Kaufrecht 2022

K kauft bei der von Unternehmerin V veranstalteten, öffentlich-zugänglichen Auktion einen 2 ½ Jahre alten Hengst für €8.500. Alle Informationspflichten werden eingehalten. K macht vier Monate nach Gefahrübergang geltend, das Pferd habe einen Sachmangel (§§ 434 Abs. 1, 90a BGB) und erklärt nach ordnungsgemäßer Fristsetzung den Rücktritt. V hält entgegen, die Verjährungsfrist sei durch die Auktionsbedingungen der V auf drei Monate nach Gefahrübergang beschränkt worden.

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Einordnung des Falls

Tiere als gebrauchte Sachen iSd § 474 Abs. 2 S. 2 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn ein Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB) vorliegt, ist die Beschränkung der Verjährungsfrist unwirksam und K könnte vom Vertrag zurücktreten (§ 476 Abs. 2 S. 1 BGB).

Ja!

§ 476 Abs. 2 S. 1 BGB sieht vor, dass beim Verbrauchsgüterkauf eine Vereinbarung einer Verjährungsfrist von Gewährleistungsansprüchen bei neuen Sachen mindestens zwei Jahre und bei gebrauchten Sachen ein Jahr betragen muss. Unabhängig davon, ob es sich bei dem Pferd um eine neue oder eine gebrauchte Sache handelt, wäre die vereinbarte Verjährungsfrist von drei Monaten also zu kurz.§ 476 Abs. 2 BGB a.F. entspricht nun § 476 Abs. 2 S. 1 BGB. Unabhänig der Einhaltung der zeitlichen Mindestgrenzen müssen nun auch die Vorgaben des § 476 Abs. 2 S. 2 BGB beachtet werden.
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2. V ist Unternehmerin und K ist Verbraucherin. Der persönliche Anwendungsbereich der Vorschriften zum Verbrauchsgüterkauf ist somit eröffnet (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB).

Genau, so ist das!

V führt die Auktion durch. Es ist davon auszugehen, dass sie dies in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit macht. Währenddessen gibt es bei K keine Anhaltspunkte für eine gewerbliche Tätigkeit, weshalb aufgrund der „weder-noch“-Formulierung des § 13 BGB im Zweifel davon auszugehen ist, dass K Verbraucherin ist. Der persönliche Anwendungsbereich ist somit eröffnet.

3. Tiere sind stets als „gebrauchte“ Sachen iSd § 474 Abs. 2 S. 2 BGB anzusehen.

Nein, das trifft nicht zu!

Auch beim Tierkauf ist zwischen „neu“ und „alt“ zu unterscheiden. Eine andere Beurteilung widerspricht der Gleichstellung in § 90a S. 3 BGB.

4. Für die Beurteilung, ob ein Pferd „gebraucht“ ist, ist auf den erstmaligen Einsatz als Reitpferd abzustellen.

Nein!

Eine Abgrenzung anhand von diesem Kriterium ist ungeeignet. Hierdurch könnte der Erwerber des Tieres das Risiko nachteiliger Veränderungen einseitig auf den Verkäufer abwälzen, indem das Tier erst in sehr vorgerücktem Alter einer Zweckbestimmung zugeführt wird. Wenn nämlich der Erwerber erst sehr spät entscheidet, ob das Pferd als Sportpferd oder als reines Freizeitpferd eingesetzt werden soll, kann er so die Einstufung als „gebrauchte“ Sache verhindern. Zudem ergibt sich ein Problem, wenn der Erwerber sich entscheidet, dass Tier gar nicht als Reitpferd einzusetzen.

5. Für die Beurteilung, ob ein Pferd „gebraucht“ ist, ist auf den üblichen Zeitpunkt des Beginns der Reitausbildung eines Pferdes abzustellen, welcher 2 ½ Jahre nach Geburt des Tieres liegt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Auch dieses Kriterium ist ungeeignet. Es würde zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen. Pferdehalter und insbesondere Bereiter vertreten ganz unterschiedliche Auffassungen, wann mit dem Bereiten eines Pferdes begonnen werden sollte.

6. Für die Beurteilung, ob ein Pferd „gebraucht“ ist, kommt es darauf an, ob das Pferd zum Zeitpunkt des Verkaufs bereits die anatomischen und physischen Voraussetzungen für den Einsatz als Reitpferd besaß.

Nein, das trifft nicht zu!

Maßgeblich für die Beurteilung ist vielmehr, ob das Tier aufgrund eines erhöhten altersbedingten Sachmängelrisiko zum Verkaufszeitpunkt nicht mehr als neu angesehen werden kann.

7. Das Pferd ist als „gebraucht“ anzusehen, da eine Gesamtschau der Umstände eine solche Einteilung ergibt.

Ja!

Nach dem BGH ist für die Beurteilung, ob ein Pferd „gebraucht“ ist, darauf abzustellen, ob das Tier noch „jung“ ist. Durch die biologischen Veränderungen, die vielen Umwelteinflüssen und äußeren Einwirkungen, erhöht sich das altersbedingte Sachmängelrisiko beträchtlich. Der 2 ½ Jahre alte Hengst ist nicht „jung“. Der Hengst in diesem Alter schon von der Mutterstute getrennt und hat über eine eigenständige Entwicklung vollzogen und ist geschlechtsreif. Er ist also „gebraucht“.

8. Da es sich um eine gebrauchte Sache handelt, darf eine Vereinbarung von einer Verjährungsfrist ein Jahr nicht unterschreiten (§ 476 Abs. 2 Alt. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Vorschriften des Verbrauchsgüterkaufs gelten nicht für gebrauchte Sachen, die in einer öffentlich zugänglichen Versteigerung verkauft werden, an der der Verbraucher persönlich teilnehmen kann, sofern ihm bezüglich der fehlenden Geltung der Vorschriften klare und umfassende Informationen leicht zugänglich gemacht werden (§ 474 Abs. 2 S. 2 BGB). Es handelt sich bei dem Pferd um eine gebrauchte Sache, welche bei einer öffentlich zugänglichen Versteigerung gekauft wurde. Laut Sachverhalt wurden alle Informationspflichten gewahrt. Deshalb greift die Bereichsausnahme des § 474 Abs. 2 S. 2 BGB. § 476 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB ist also nicht anwendbar.Gleiches gilt auch für die Vorgaben in § 476 Abs. 2 S. 2 BGB.

9. Der von K erklärte Rücktritt ist gem. § 218 BGB unwirksam, da ihr Anspruch auf die Leistung und der Nacherfüllungsanspruch verjährt ist und sich V darauf berufen hat.

Ja, in der Tat!

Richtig! Ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises besteht nicht, da der Rücktritt vom Kaufvertrag nach § 218 BGB unwirksam ist. Nacherfüllungsansprüche, soweit diese überhaupt bestanden haben, sind verjährt. Die Auktionsbedingungen der V, wonach Gewährleistungsansprüche drei Monate nach Gefahrübergang verjähren, stehen die Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf nicht entgegen, da es sich bei dem verkauften Hengst um eine gebrauchte Sache im Sinne des § 474 Abs. 2. S. 2 BGB handelt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AH

Angela Hildmann

14.6.2022, 16:53:44

Aber in Abs. 2 S.1 steht doch am Ende, dass eine Vereinbarung, die die Verjährung bei gebrauchter Ware auf unter 1 Jahr verkürzt, ebenfalls unwirksam ist. S.2 nimmt nach meinem Verständnis nur auf Fälle Bezug, in denen die Verhjährungsfrist in gem. S.1 zulässiger Weise verkürzt wurde. Hab ich da nen Denkfehler?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.6.2022, 19:35:55

Hallo Angela Hildmann, schau Dir hierzu gerne noch einmal § 474 Abs. 2 S. 2 BGB an. Hierbei handelt es sich um eine Bereichsausnahme für gebrauchte Waren, die in einer öffentlichen Versteigerung verkauft werden, sodass § 476 Abs. 2 BGB insgesamt nicht zur Anwendung kommt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

KLE

kleinerPadawan

13.3.2023, 11:58:41

Die Aufgabe bzw. die Lösung an sich habe ich verstanden. Mich würde allerdings die Ratio hinter der Bereichsausnahme des § 474 II 2 BGB interessieren. Wieso soll ein Unternehmer besser gestellt werden, der gebrauchte Sachen im Wege einer öffentlichen Versteigerung verkauft, als derjenige, der sie auf normalem Wege verkauft? Also warum wird diesem hier insbesondere die Möglichkeit eingeräumt von den Verjährungsfristen zum Nachteil des Verbrauchers abzuweichen? Sehe da irgendwie keinen Unterschied? Werden hier Teilnehmer einer Auktion einfach aus bestimmten Gründen als weniger schutzwürdig erachtet?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.3.2023, 16:53:43

Hallo kleinerPadawan, danke für deine Frage. Dies ist das Ergebnis einer besonderen Abwägung der an einer öffentlichen Versteigerung beteiligten Interessen. Das bei gebrauchten Sachen ohnehin erhöhte Mangelrisiko wird noch verstärkt, weil die bei einer Versteigerung zum Verkauf gelangenden Sachen dem Organisator der Versteigerung meist fremd sind. Für den Käufer wirken sich diese Risiken häufig positiv aus, weil die Sache zu einem niedrigeren Preis erworben werden kann. Zudem bestehe bei öffentlichen Versteigerungen besonderer Schutz durch die hohen Qualifikationsanforderungen an die Person des Versteigerers (§ 383 Abs. 3 BGB ggf. iVm § 34b Abs. 5 GewO) sowie die Sonderregelungen bezüglich Versteigerungsgegenstand und -verfahren in § 34b Abs. 6 GewO und der Versteigerungsverordnung. Dies führt dazu, dass der Schutz des Käufers als ausreichend erachtet wird gegenüber der Chance "ein Schnäppchen" zu schießen. Dafür nimmt der Ersteigerer eben bestimmte Risiken in Kauf. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

30.8.2023, 15:19:51

Heißt das im Umkehrschluss, dass die Bereichsausnahme nicht gegriffen hätte, wenn sich sonst nichts am Fall geändert hätte, aber das Pferd als neu eingestuft worden wäre?

LELEE

Leo Lee

31.8.2023, 12:03:22

Hallo evanici, genauso ist es! Wenn das Pferd als "neu" eingestuft worden wäre, würde es bereits am TBM "gebraucht" i.S.d. § 474 II 2 BGB fehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

DIAA

Diaa

3.10.2023, 10:48:55

Was macht man, wenn man null Ahnung von Pferden hat und gar keine Infos oder Begriffe diesbezüglich kennt? Oder wird der SV dann doch mehr Infos als hier enthalten?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.10.2023, 15:05:22

Hallo Diaa, alles rund um Pferde ist

tat

sächlich nicht nur ein Rechtsprechungsklassiker, sondern dadurch bedingt auch ein absoluter Examenshit. Es gibt einige Urteile, die man daher am Besten kennen sollte. So zum Beispiel die Frage, ab wann ein Pferd ein "gebrauchter" Gegenstand ist. Ebenso relevant sind einige Verletzungen, chronische und erblich bedingte Krankheiten wie Vernarbungen im Maul oder das sog. Kissing Seine Syndrom, die jeweils die Rittigkeit beeinträchtigen können. Dazu findest du unter anderem auch Aufbereitungen in aktuelle Rechtsprechung ZR bei uns im Jahr 2021 (Entscheidung vom 14.09.21 des OLG Frankfurt) und in den Entscheidungen aus dem Jahr 2020 (BGH vom 27.05.2020). Grundsätzlich wird der Sachverhalt aber die benötigten Informationen für die rechtliche Bewertung liefern. Man fühlt sich aber sicherer in der Beurteilung, wenn man schonmal ein Urteil kennt in dem es beispielsweise um Rittigkeitsprobleme ging, und diese Beurteilung als Vergleichsmaßstab im Hinterkopf hat. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs Team

Steinfan

Steinfan

6.4.2024, 13:49:04

Vielleicht könnte man hier zu Beginn das Problem besser erläutern. Zunächst könnte man die allgemeine Definition von „gebraucht“ schreiben (gebraucht nach bestimmungsgemäßer Verwendung) und warum genau diese hier nicht ausreicht, konkret: kann auch ein noch nicht bestimmungsgemäß verwendetes Pferd “gebraucht” sein? Rechtfertigt die nur “entsprechende” Anwendung (§ 90a S. 3 BGB) bei Tieren auch das Alter als maßgebliches Kriterium? Meines Erachtens sollte dann auch direkt der Grund genannt werden, warum man (der BGH) überhaupt auf die Idee kommt, eine andere Bewertung bei Tieren vorzunehmen; also die besondere altersbedingte Mängelanfälligkeit im Gegensatz zu “Sachen”. Ansonsten wirkt das Ganze für mich immer ein wenig aus der Luft gegriffen. LG

AS

as.mzkw

21.8.2024, 09:45:09

Anspruch durchsetzbar > Verjährung > Wirksame Verkürzung durch Vertrag > Unwirksamkeit nach § 476 II 2 BGB > Anwendungsbereich eröffnet nach § 474 I BGB, hier nein wegen § 474 II 2 BGB > Ergebnis: Anspruch verjährt Richtig so?

TI

Timurso

21.8.2024, 10:33:48

Nicht ganz: Der Standort hier war im Rücktritt, also bei II. Anspruch erloschen 1. Rücktrittsgrund 2. Rücktrittserklärung 3. Kein Ausschluss ->

218 BGB

-> ausgeschlossen, wenn verjährt Und darin dann das von dir aufgelistete.

AS

as.mzkw

21.8.2024, 10:42:22

Stimmt, danke dir!

Jakob G.

Jakob G.

17.10.2024, 10:34:25

Moin! die Risikozuordnung müsste nach meinem Verständnis im Maßstab zu Frage 1 genau umgekehrt dargestellt werden. S

tat

t "Eine Abgrenzung anhand von diesem Kriterium ist ungeeignet. Hierdurch könnte der Erwerber des Tieres das Risiko nachteiliger Veränderungen einseitig auf den Verkäufer abwälzen, indem das Tier erst in sehr vorgerücktem Alter einer Zweckbestimmung zugeführt wird. Wenn nämlich der Erwerber erst sehr spät entscheidet, ob das Pferd als Sportpferd oder als reines Freizeitpferd eingesetzt werden soll, kann er so die Einstufung als „gebrauchte“ Sache verhindern." So: Eine Abgrenzung anhand von diesem Kriterium ist ungeeignet. Hierdurch könnte der Verkäufer des Tieres das Risiko nachteiliger Veränderungen einseitig auf den Erwerber abwälzen, indem das Tier erst in sehr vorgerücktem Alter einer Zweckbestimmung zugeführt wird. Wenn nämlich der Verkäufer erst sehr spät entscheidet, ob das Pferd als Sportpferd oder als reines Freizeitpferd eingesetzt werden soll, kann er so die Einstufung als „gebrauchte“ Sache verhindern.


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