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Nutzungsuntersagung für Hostel auf Gelände der nordkoreanischen Botschaft

Nutzungsuntersagung für Hostel auf Gelände der nordkoreanischen Botschaft

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die K GmbH betreibt ein Hostel auf einem Grundstück, dass Nordkorea gehört. Eine EU-Verordnung verbietet es, Immobilien zu nutzen, die Nordkorea gehören. Das Bezirksamt B erlässt gegen K eine Nutzungsuntersagung im Bezug auf das Hostel.

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Einordnung des Falls

Nutzungsuntersagung für Hostel auf Gelände der nordkoreanischen Botschaft

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hält die Nutzungsuntersagung für rechtswidrig und sieht sich in ihren Rechten verletzt. Ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) - nach ordnungsgemäßem Ablauf des Widerspruchsverfahrens - hier der statthafte Rechtsbehelf?

Genau, so ist das!

Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) ist statthaft, wenn der Kläger die Aufhebung eines ihn belastenden Verwaltungsaktes (§ 35 S. 1 VwVfG) begehrt. K begehrt hier die Aufhebung der Ordnungsverfügung, die ihr die Ausübung jeder Tätigkeit im Zusammenhang mit der Nutzung eines Gebäudes untersagt. Diese stellt einen belastenden Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG dar. Liegt ein Verwaltungsakt - wie hier - so offensichtlich vor, solltest Du Dir lange Ausführungen zu den Voraussetzungen des § 35 S. 1 VwVfG sparen. Die weiteren Zulässigkeit der Klage lagen hier unproblematisch vor.
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2. Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit die Nutzungsuntersagung rechtswidrig und K dadurch in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Ja, in der Tat!

So sollte Dein Obersatz in einer Klausur lauten, wenn Du die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) prüfst. Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts prüfst du in drei Schritten: (1) Ermächtigungsgrundlage, (2) formelle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts, (3) materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts. Als Ermächtigungsgrundlage für das behördliche Einschreiten kommt hier die polizeiliche Generalklausel (im Fall § 17 Abs. 1 ASOG Bln) in Betracht, wenn diese Norm nicht von spezielleren Befugnisnormen verdrängt wird (Grundsatz der Spezialität).

3. Die polizeiliche Generalklausel (§ 17 ASOG Bln) findet nur Anwendung, wenn keine sondergesetzlichen Befugnisnormen oder speziellere Normen des Polizei- und Ordnungsrechts vorrangig Anwendung finden.

Ja!

Die polizeiliche Generalklausel ist gegenüber sondergesetzlichen oder speziellen Befugnisnormen des Polizei- und Ordnungsrechts subsidiär. Hinsichtlich der Nutzungsuntersagung des Gebäudes kämen als Spezialvorschriften solche der Gewerbeordnung in Betracht, namentlich §§ 1, 35 GewO. Merke Dir für die Klausur, dass die polizeiliche Generalklausel immer nur Anwendung findet, wenn keine spezielleren Normen einschlägig sind. Regelmäßig musst Du hier zu anderen polizeigesetzlichen Befugnisnormen abgrenzen, teilweise aber auch zu eher seltenen Befugnisnormen.

4. Die Ordnungsverfügung untersagt jede Tätigkeit, die mit der Nutzung des Gebäudes auf dem Grundstück von Nordkorea zusammenhängt. Damit berührt die Verfügung Ks Gewerbezulassung, sodass die §§ 1, 35 GewO vorgehen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Zulassung oder Untersagung von Gewerbebetrieben ist dem Regelungsregime der Vorschriften des Gewerberechts vorbehalten. Damit nicht vereinbar ist eine auf eine polizei- oder ordnungsrechtliche Generalklausel gestützte Verfügung, die nicht nur eine bestimmte Art und Weise der Gewerbeausübung, sondern in Wirklichkeit den Gewerbebetrieb als solchen untersagt (RdNr. 17). Gegenstand des ordnungsbehördlichen Einschreitens ist hier nur die Art und Weise der Ausübung der gewerblichen Tätigkeit, nämlich die Nutzung eines Gebäudes auf dem Grundstück, das Nordkorea gehört. Die Zulassung von Ks Hostelgewerbe selbst bleibt unangetastet. Demnach kann die ordnungsrechtliche Generalklausel (hier § 17 Abs. 1 ASOG Bln) als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden (RdNr. 17).

5. § 80 S. 2 BauO Bln, wonach die Behörden, die Nutzung von Anlagen untersagen können, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden, hat hier Vorrang vor § 17 Abs. 1 ASOG.

Nein, das trifft nicht zu!

Ziel der baurechtlichen Nutzungsuntersagung ist es, die Einhaltung des formellen Baurechts zu gewährleisten. Sie ist dann geeignete und gegenüber bau- und polizeirechtlicher Generalklausel vorrangige Rechtsgrundlage, wenn ein Baurechtsverstoß vorliegt und dadurch eine im direkten Zusammenhang mit der Anlage stehende Gefahr begründet wird (sog. anlagenbezogene Gefahr). VG: Von dem von K genutzten Gebäude geht keine gebäudespezifische Gefahr aus, der mit der Einhaltung baurechtlicher Vorschriften begegnet werden könnte. Bs Verfügung zielt vielmehr darauf ab, die Einhaltung der europäischen Sanktionsverordnung (VO (EU) 2017/1509) zu gewährleisten; deren Art. 20 Abs. 1 lit. c verbietet es, Immobilien zu nutzen, die Nordkorea gehören. § 17 ASOG ist die richtige Ermächtigungsgrundlage (RdNr. 19). Die EU-VO 2017/1519 betrifft Sanktionen der EU gegen Nordkorea und setzt eine Resolution des UN-Sicherheitsrats um. Die Sanktionsverordnung dient u.a. dem Ziel, Nordkorea daran zu hindern, ausländische Devisen zu erwirtschaften.

6. Beim Vollzug des Unionsrechts durch die nationalen Behörden bestimmen die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen, welche Behörde für den Vollzug zuständig ist.

Ja!

Der Vollzug des Unionsrechts durch die nationalen Behörden nach Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 291 Abs. 1 AEUV (sog. indirekter Vollzug) ist der Regelfall. Dabei wenden die Behörden ihr nationales Recht an, soweit das Unionsrecht keine Vorgaben macht. Es gilt der Grundsatz der institutionellen und verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten, der besagt, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich selbst bestimmen, welche Behörde für den Vollzug zuständig ist und nach welchem Verfahren diese Behörde vorgeht. Die Zuständigkeit gehört zur Prüfung der formellen Rechtsmäßigkeit des Verwaltungsakts. Das Bezirksamt B war hier zuständig.

7. Die materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Grundlage von § 17 Abs. 1 ASOG Bln setzt voraus, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt.

Genau, so ist das!

Eine im Einzelnen bestehende Gefahr ist eine Sachlage, die in der konkreten Situation bei ungehindertem Ablauf in überschaubarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Eintritt eines Schadens an einem relevanten Schutzgut befürchten lässt. Die öffentliche Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, Individualrechtsgüter und den Staat und seine Einrichtungen. EU-Verordnungen - wie hier die EU-VO 2017/1509 - beanspruchen ab ihrem Inkrafttreten unmittelbare Geltung im nationalen Recht (Art. 288 Abs. 2 AEUV) und sind als europäische Sekundärrechtsakte Teil der in den Schutzbereich des § 17 Abs. 1 ASOG Bln einbezogenen objektiven Rechtsordnung.

8. K hat durch den (Weiter-)betrieb ihres Gewerbes in den Gebäuden auf dem Grundstück Nordkoreas gegen die EU-Verordnung verstoßen. Resultiert daraus eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit?

Ja, in der Tat!

K ist als GmbH Adressatin der EU-Verordnung. Indem sie gegen die Verordnung und damit gegen Normen der objektiven Rechtsordnung verstoßen hat, hat sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit verursacht. Damit ist sie auch richtige Adressatin der Ordnungsverfügung (§ 13 ASOG Bln). Damit liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der gefahrenabwehrrechtlichen Generalklausel (§ 17 Abs. 1 ASOG Bln) vor. Auf Rechtsfolgenseite darf die Behörde keine Ermessensfehler gemacht haben, wenn ihr im konkreten Fall Ermessen zusteht.

9. Die polizeiliche Generalklausel eröffnet Ermessen. War das Ermessen hier aufgrund des unionsrechtlichen Grundsatzes des „effet utile“ auf Null reduziert?

Ja!

Das nationale Recht ist so anzuwenden ist, dass die Durchsetzung des Unionsrechts nicht praktisch unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird („effet utile“). Art. 20 Abs. 1 lit c VO (EU) 2017/1509, dessen Verletzung das behördliche Einschreiten veranlasst hat, formuliert ein unbedingtes Handlungsverbot. Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet die Durchsetzung dieses Handlungsgebots zu garantieren (Art. 4 Abs. 3 EUV). Dies führt hier zu einer rechtlichen Bindung des ordnungsbehördlichen Handelns (RdNr. 30).

10. Ks Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) ist begründet.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die behördliche Ordnungsverfügung war formell und materiell rechtmäßig. Insbesondere war sie nicht ermessensfehlerhaft. K ist also nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO). Ihre Anfechtungsklage ist unbegründet und wird damit keinen Erfolg haben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Sambadi

Sambadi

1.4.2023, 09:56:47

Gibt es erhebliche rechtliche Schwierigkeiten, eine Verordnung zu Erlassen durch die solche Immobilien einfach enteignet werden? Ansonsten ergibt sich ja im Endeffekt ein Zustand in dem Nordkorea (oder wer auch immer berechtigterweise sanktioniert wird) solche Immobilien und Grundstücke zwar behalten darf, diese dann aber faktisch nicht benutzt werden können. Dann kann man die ja auch gleich enteignen, dann geht von denen zumindest irgendein Mehrwert aus

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

1.4.2023, 20:41:26

An eine Enteignung sind andere Anforderungen zu stellen. Vor allem darf sie nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen, welches die Entschädigung regelt (Junktim-Klausel). Zweck der Sanktion ist es aber gerade, Nordkorea von Devisen (Geldvermögen in fremden Währungen) abzuschneiden. Die erforderliche Regelung über die Entschädigung wäre darum unionsrechtswidrig.

QUIG

QuiGonTim

1.2.2024, 21:28:50

Müsste man hinsichtlich des § 80 S. 2 BauO Bln nicht eigentlich erst bei der Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit „rausfliegen“? Denn die Norm scheidet hier ja nicht wegen ihrer Rechtsfolge, sondern wegen eines Tatbestandsmerkmals („öffentlich-rechtliche Vorschriften“) aus. Wie würde man es in der Klausur sinnvollerweise darstellen?


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