Öffentliches Recht

Grundrechte

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)

Grundfall: Abgrenzung: Meinung und Tatsachenbehauptung

Grundfall: Abgrenzung: Meinung und Tatsachenbehauptung

6. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Newton (N) sitzt unter einem Apfelbaum und wird von einem herunterfallenden Apfel getroffen. Daraufhin sagt er entzückt: „Der Apfel fällt wegen der Gravitation zu Boden!“ Der zufällig anwesende Polizist P hält dies für absurd und verbietet N weitere Aussagen dieser Art.

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Einordnung des Falls

Grundfall: Abgrenzung: Meinung und Tatsachenbehauptung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der sachliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) ist eröffnet, wenn die Kundgabe einer Meinung vorliegt.

Ja, in der Tat!

Der sachliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) setzt eine Meinungsäußerung voraus. Eine Meinung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst das Werturteil. Unter einem Werturteil versteht man jede Äußerung, die durch ein subjektives Element der Stellungnahme oder des Dafürhaltens gekennzeichnet ist, ohne dass es auf die Qualität oder Richtigkeit der Äußerung ankommt. Ohne freien Meinungsdialog ist Demokratie unter dem GG schlechthin undenkbar. Wegen dieser immensen Bedeutung der Meinungsfreiheit ist der Begriff der Meinung weit zu verstehen.
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2. Bei Äußerungen ist zu unterscheiden, ob es sich um ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung handelt.

Ja!

Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG spricht von Meinungen. Meinungen umfassen zunächst Werturteile. Werturteile unterscheiden sich von Tatsachen. Im Unterschied zu Werturteilen sind Tatsachen dem Beweis zugänglich. Tatsachen kennzeichnet eine objektive Beziehung zur Realität, wodurch sie wahr oder falsch sein können. Einer reinen Tatsachenbehauptung fehlt daher das subjektive Element der Stellungnahme oder des Dafürhaltens, das für ein Werturteil konstituierend ist.

3. Tatsachenbehauptungen fallen generell aus dem sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) heraus.

Nein, das ist nicht der Fall!

Dass Tatsachenbehauptungen generell aus dem sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) herausfallen, wird nur noch vereinzelt vertreten. In Anbetracht der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit für die freiheitliche Demokratie unter dem GG ist der sachliche Schutzbereich weit zu fassen. Gerade weil Tatsachen oftmals die Grundlage für Werturteile bilden, dürfen sie nicht pauschal aus dem sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen.

4. Die Äußerung „Der Apfel fällt wegen der Gravitation zu Boden!“ stellt eine Tatsachenbehauptung dar.

Ja, in der Tat!

Unter einer Tatsachenbehauptung versteht man jede Äußerung, die durch eine objektive Beziehung zur Realität gekennzeichnet ist, wodurch sie dem Beweis zugänglich ist. Sie kann wahr oder falsch sein. Dass der Apfel wegen der Gravitationskraft zu Boden fällt, ist dem physikalischen Beweis zugänglich. Die physikalische Forschung hat die Gravitationskraft bewiesen. Indem N sagt, dass der Apfel wegen der Gravitation zu Boden fällt, konstatiert er diese Tatsache.

5. Die Aussage „Der Apfel fällt wegen der Gravitation zu Boden!“ ist geeignet, zur Meinungsbildung beizutragen und fällt daher in den sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG).

Ja!

Tatsachenbehauptungen sind vom sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) erfasst, wenn sie geeignet sind, zur Meinungsbildung beizutragen. Die Äußerung des N „Der Apfel fällt wegen der Gravitation zu Boden!“ war, wie die Geschichte der Naturwissenschaften zeigt, geeignet, das physikalische Grundverständnis und den universellen Blick auf die Welt erheblich zu beeinflussen. Die Erkenntnis der Gravitation als grundlegende Kraft des Universums prägt den wissenschaftlichen Diskurs bis heute.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FL

Flohm

14.3.2024, 14:47:48

ich verstehe noch nicht, wieso die Aussage die erstmal für sich genommen zur Meinungsbildung geeignet ist. Ein physikalisches Grundverständnis ist doch keine Meinung sondern auch wieder eine Tatsache.

Gruttmann

Gruttmann

14.3.2024, 18:01:49

Lieber Flohm, da es bis heute bestimmt Menschen gibt, die da anders denken, ist solch eine Tatsachenbehauptung zur Meinungsbildung geeignet. So kann ich es mir zumindest etwas erklären. Er hat sich zu dem Geschehen geäußert, und da es bestimmt auf dieser Welt Menschen gibt, die anderer Meinung sind, ist diese Tatsachenbehauptung zur Meinungsbildung geeignet. Auch weil er sozusagen dafür ist, dass es durch die Erdanziehungskraft passiert, ist dies ein gewisses subjektives Element des Dafürhaltens. Ich hoffe ich konnte dir helfen, LG Gruttmann.

PK

P K

14.3.2024, 19:48:40

Was wir heute als wissenschaftliche Fakten ansehen und mit bestimmten Konzepten erklären, kann in ein paar Jahren oder Jahrzehnten überholt sein, weil es einen völlig neuen Erklärungsansatz gibt. Physiker beobachten und schlussfolgern daraus Modelle, die immer weiter entwickelt werden und aufeinander aufbauen. Insoweit sollte man mit der Annahme einer Tatsache vorsichtig sein. Auf ARTE gibt es bspw. auch immer wieder Dokus zu neuen Forschungsansätzen, die ich freilich nicht verstehe, die aber anscheinend bisherige Annahmen infrage stellen. Weshalb sollte sowas bspw. keine Meinung sein?

FL

Flohm

15.3.2024, 08:34:59

Ja soweit ist das klar, danke. Daraus folgt dann aber ja dass man aktuelle bewiesene Wissenschaft nie als reine Tatsachen sehen kann, weil es in ein paar Jahren wieder anders aussehen kann. Muss man sich nicht auf den aktuellen Wissesstand beziehen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

15.3.2024, 10:58:04

Hallo in die Runde, Tatsachen sind oft Voraussetzung zu einem Diskurs. Einigt man sich nicht vorher auf bestimmte Prämissen wird es kaum möglich sein, eine gemeinsame Entscheidungsgrundlage für eine Meinung zu finden. So kann auch diese physikalische Aussage als Tatsache wichtig sein, um sich über weitere physikalische Gesetze auszutauschen. Beispielsweise könnte die Tatsache "die erste ist rund" grundlegend sein um sich über Weltraumrecht zu unterhalten und eine Meinung zu bilden, denn daraus ergibt sich beispielsweise, dass Satelliten in einer Umlaufbahn drumherum kreisen können und nicht irgendwann "umdrehen" müssen. Die meisten noch so banalen Aussagen können also in dem richtigen Kontext Meinungsbildend sein. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

LI

Lilyphant

3.6.2024, 12:59:35

Aber sind bei einem so weiten Verständnis dann nicht eher Tatsachen grundsätzlich erfasst und fallen nur in Ausnahmefällen aus dem Schutzbereich? Eigentlich heißt es doch, grundsätzlich sind Tatsachen nicht erfasst, außer sie tragen zur Meinungsbildund bei. Ich bin jetzt ein wenig von dem Umfang der Ausnahme verwirrt.

BE

Bioshock Energy

28.8.2024, 22:00:58

Da muss ich Dir Recht geben Lilyphant. Ehrlich gesagt fällt mir bei einem solch weitem Verständnis von "Meinung" Kein keine Tatsache ein, die nicht zugleich eine Meinung ist. Es gibt immer Leute, die am offensichtlichen oder Erwiesenen zweifeln

ROBE

Robert

12.8.2024, 11:08:40

Aus wissenschaftstheoretischer Perspektive ist es sehr schwierig zu schreiben, dass die Gravitation „bewiesen“ sei. Die Gültigkeit einer Theorie lässt sich nicht beweisen, nur widerlegen. Die Wirkung der Gravitation als Krümmung der Raumzeit ist heute in der Physik weitesgehend unbestritten, bleibt aber trotzdem nur ein Erklärungsmodell, das sich bisher gut bewährt hat.

CLA

Constantin Lammert

7.9.2024, 13:11:31

Den Kommentar wollte ich so ähnlich auch gerade verfassen. Ich frage mich, ob in einem juristischen Kontext die Gravitation als "bewiesen" gilt. Dass Dinge zu Boden fallen ist zumindest eine reproduzierbare und nachprüfbare Behauptung. Vermutlich wird man es auch in den Bereich der "allgemeinen Lebenserfahrung" oder ähnliches einordnen können. Dass die "Ursache"* die "Gravitation" ist, ist im historischen Kontext auch relativ irreführend, da es sich dann im Prinzip nur um eine Benennung handelt (*wer General Scholium in der Principia gelesen hat, weiß, dass Newton die Kraft benannt hat ohne zu behaupten ihre Ursache zu kennen - "hypotheses non fingo". Auch die Krümmung der Raum-Zeit hat deskriptiven und nicht kausalen Charakter wissenschaftstheoretisch gesehen [epistemologisch kann man vielleicht anders argumentieren]. Die Frage ist, ob es jemals eine kausale Erklärung geben wird oder diese sowieso stets deskriptiv sein werden.) Die Legende von Newton und dem Apfel zielt auf mehr als die Benennung der Kraft ab. Sie umfasst die Äquivalenz der Kräfte, die den Apfel (bzw. die meisten Dinge) zu Boden fallen lässt und die, die die Planetenbewegungen bestimmen.


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