Öffentliches Recht
Grundrechte
Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)
Grundfall: Abgrenzung: Meinung und Tatsachenbehauptung
Grundfall: Abgrenzung: Meinung und Tatsachenbehauptung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Newton (N) sitzt unter einem Apfelbaum und wird von einem herunterfallenden Apfel getroffen. Daraufhin sagt er entzückt: „Der Apfel fällt wegen der Gravitation zu Boden!“ Der zufällig anwesende Polizist P hält dies für absurd und verbietet N weitere Aussagen dieser Art.
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Einordnung des Falls
Grundfall: Abgrenzung: Meinung und Tatsachenbehauptung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der sachliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) ist eröffnet, wenn die Kundgabe einer Meinung vorliegt.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Bei Äußerungen ist zu unterscheiden, ob es sich um ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung handelt.
Ja!
3. Tatsachenbehauptungen fallen generell aus dem sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) heraus.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Die Äußerung „Der Apfel fällt wegen der Gravitation zu Boden!“ stellt eine Tatsachenbehauptung dar.
Ja, in der Tat!
5. Die Aussage „Der Apfel fällt wegen der Gravitation zu Boden!“ ist geeignet, zur Meinungsbildung beizutragen und fällt daher in den sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG).
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Flohm
14.3.2024, 14:47:48
ich verstehe noch nicht, wieso die Aussage die erstmal für sich genommen zur Meinungsbildung geeignet ist. Ein physikalisches Grundverständnis ist doch keine Meinung sondern auch wieder eine Tatsache.
Gruttmann
14.3.2024, 18:01:49
Lieber Flohm, da es bis heute bestimmt Menschen gibt, die da anders denken, ist solch eine Tatsachenbehauptung zur Meinungsbildung geeignet. So kann ich es mir zumindest etwas erklären. Er hat sich zu dem Geschehen geäußert, und da es bestimmt auf dieser Welt Menschen gibt, die anderer Meinung sind, ist diese Tatsachenbehauptung zur Meinungsbildung geeignet. Auch weil er sozusagen dafür ist, dass es durch die Erdanziehungskraft passiert, ist dies ein gewisses subjektives Element des Dafürhaltens. Ich hoffe ich konnte dir helfen, LG Gruttmann.
P K
14.3.2024, 19:48:40
Was wir heute als wissenschaftliche Fakten ansehen und mit bestimmten Konzepten erklären, kann in ein paar Jahren oder Jahrzehnten überholt sein, weil es einen völlig neuen Erklärungsansatz gibt. Physiker beobachten und schlussfolgern daraus Modelle, die immer weiter entwickelt werden und aufeinander aufbauen. Insoweit sollte man mit der Annahme einer Tatsache vorsichtig sein. Auf ARTE gibt es bspw. auch immer wieder Dokus zu neuen Forschungsansätzen, die ich freilich nicht verstehe, die aber anscheinend bisherige Annahmen infrage stellen. Weshalb sollte sowas bspw. keine Meinung sein?
Flohm
15.3.2024, 08:34:59
Ja soweit ist das klar, danke. Daraus folgt dann aber ja dass man aktuelle bewiesene Wissenschaft nie als reine Tatsachen sehen kann, weil es in ein paar Jahren wieder anders aussehen kann. Muss man sich nicht auf den aktuellen Wissesstand beziehen?
Nora Mommsen
15.3.2024, 10:58:04
Hallo in die Runde, Tatsachen sind oft Voraussetzung zu einem Diskurs. Einigt man sich nicht vorher auf bestimmte Prämissen wird es kaum möglich sein, eine gemeinsame Entscheidungsgrundlage für eine Meinung zu finden. So kann auch diese physikalische Aussage als Tatsache wichtig sein, um sich über weitere physikalische Gesetze auszutauschen. Beispielsweise könnte die Tatsache "die erste ist rund" grundlegend sein um sich über Weltraumrecht zu unterhalten und eine Meinung zu bilden, denn daraus ergibt sich beispielsweise, dass Satelliten in einer Umlaufbahn drumherum kreisen können und nicht irgendwann "umdrehen" müssen. Die meisten noch so banalen Aussagen können also in dem richtigen Kontext Meinungsbildend sein. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Lilyphant
3.6.2024, 12:59:35
Aber sind bei einem so weiten Verständnis dann nicht eher Tatsachen grundsätzlich erfasst und fallen nur in Ausnahmefällen aus dem Schutzbereich? Eigentlich heißt es doch, grundsätzlich sind Tatsachen nicht erfasst, außer sie tragen zur Meinungsbildund bei. Ich bin jetzt ein wenig von dem Umfang der Ausnahme verwirrt.
Bioshock Energy
28.8.2024, 22:00:58
Da muss ich Dir Recht geben Lilyphant. Ehrlich gesagt fällt mir bei einem solch weitem Verständnis von "Meinung" Kein keine Tatsache ein, die nicht zugleich eine Meinung ist. Es gibt immer Leute, die am offensichtlichen oder Erwiesenen zweifeln
Robert
12.8.2024, 11:08:40
Aus wissenschaftstheoretischer Perspektive ist es sehr schwierig zu schreiben, dass die Gravitation „bewiesen“ sei. Die Gültigkeit einer Theorie lässt sich nicht beweisen, nur widerlegen. Die Wirkung der Gravitation als Krümmung der Raumzeit ist heute in der Physik weitesgehend unbestritten, bleibt aber trotzdem nur ein Erklärungsmodell, das sich bisher gut bewährt hat.
Constantin Lammert
7.9.2024, 13:11:31
Den Kommentar wollte ich so ähnlich auch gerade verfassen. Ich frage mich, ob in einem juristischen Kontext die Gravitation als "bewiesen" gilt. Dass Dinge zu Boden fallen ist zumindest eine reproduzierbare und nachprüfbare Behauptung. Vermutlich wird man es auch in den Bereich der "allgemeinen Lebenserfahrung" oder ähnliches einordnen können. Dass die "Ursache"* die "Gravitation" ist, ist im historischen Kontext auch relativ irreführend, da es sich dann im Prinzip nur um eine Benennung handelt (*wer General Scholium in der Principia gelesen hat, weiß, dass Newton die Kraft benannt hat ohne zu behaupten ihre Ursache zu kennen - "hypotheses non fingo". Auch die Krümmung der Raum-Zeit hat deskriptiven und nicht kausalen Charakter wissenschaftstheoretisch gesehen [epistemologisch kann man vielleicht anders argumentieren]. Die Frage ist, ob es jemals eine kausale Erklärung geben wird oder diese sowieso stets deskriptiv sein werden.) Die Legende von Newton und dem Apfel zielt auf mehr als die Benennung der Kraft ab. Sie umfasst die Äquivalenz der Kräfte, die den Apfel (bzw. die meisten Dinge) zu Boden fallen lässt und die, die die Planetenbewegungen bestimmen.