Einflussnahme auf Strafunmündigen – Anstiftung und mittelbare Täterschaft


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T fordert seinen 13-jährigen Neffen N auf, Ns Mutter M mit einem Messer im Schlaf zu töten. T sagt zu N: „Ich würde dafür ins Gefängnis kommen, du nicht.“ T lässt offen, wann N die Tat begehen soll. T weiß, dass N erst in einigen Tagen wieder bei Mƒ sein wird. N tut nur so, als wolle er Ts Aufforderung nachkommen.

Einordnung des Falls

Einflussnahme auf Strafunmündigen – Anstiftung und mittelbare Täterschaft

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T könnte sich des versuchten Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben (§§ 212, 22 Abs. 1, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB). Liegen die Voraussetzungen der Vorprüfung des Versuchs vor?

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Ja!

Die Versuchsstrafbarkeit setzt zunächst voraus, dass (1) der Erfolg ausgeblieben und (2) der Versuch strafbar ist. Der tatbestandliche Erfolg des § 212 StGB liegt in dem Tod eines Menschen. Die Strafbarkeit des Versuchs richtet sich nach § 23 Abs. 1 StGB. Danach ist der Versuch eines Verbrechens (§ 12 Abs. 1 StGB) immer strafbar. M ist nicht tot. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus § 23 Abs. 1 Alt. 1 StGB, da der Totschlag ein Verbrechen ist. Aufgrund der geplanten heimtückischen Begehungsweise kommt auch ein versuchter Mord in mittelbarer Täterschaft in Betracht. Wir starten hier - der Ansicht der h.L. folgend - aber zunächst mit der Prüfung des Totschlags als Grunddelikt.

2. Um eine mittelbare Täterschaft zu bejahen, müsste sich Ts Tatentschluss darauf beziehen, N als Tatmittler einzusetzen.

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Genau, so ist das!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Täter kann sein, wer die Tat selbst oder durch einen anderen begeht (§ 25 Abs. 1 StGB). Will der Täter die Tat nicht eigenhändig vornehmen, muss sich der Tatentschluss darauf richten, die Tat durch einen anderen zu begehen. T hatte zu keinem Zeitpunkt vor, M eigenhändig zu töten. Vielmehr wollte er, dass N die M tötet. In Betracht kommt daher ein Tatentschluss hinsichtlich der Begehung des Totschlags durch N (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB). Scheidet eine mittelbare Täterschaft aus, so kommt noch eine Teilnahme in Form der (versuchten) Anstiftung (§ 26 StGB bzw. § 30 StGB) in Betracht.

3. Man muss die (mittelbare) Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) regelmäßig von der Teilnahme an einer Straftat (§§ 26, 27 StGB) abgrenzen. Gibt es hierzu nur eine einzige Theorie?

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Nein, das trifft nicht zu!

In den Fällen, in denen (a) der vermeintliche Täter auf eine weitere Person Einfluss nimmt, damit diese eine Straftat begeht oder (b) mehrere Personen an der Verwirklichung des Tatbestands mitwirken (sollen), muss man prüfen, inwieweit die Beteiligten sich als Täter (Allein-, Mit- bzw. mittelbarer Täter, § 25 StGB) oder Teilnehmer (Anstiftung, § 26 StGB, bzw. Beihilfe, § 27 StGB) strafbar gemacht haben. Die Abgrenzungskriterien sind umstritten. Nach der h.L. (Tatherrschaftslehre) kommt es darauf an, dass der Täter das Tatgeschehen (objektiv) in den Händen hält. Nach der von der Rechtsprechung vertretenen gemäßigt-subjektiven Theorie ist aus einer wertenden Gesamtbetrachtung der objektiven Gesamtumstände auf den Täterwillen (eigene oder fremde Tat) zu schließen. Wenn Du Dir die Abgrenzungstheorien noch einmal detailliert anschauen willst, kannst Du das hier tun.

4. Nach einer Ansicht in der Lit. führt das bewusste Ausnutzen der Schuldunfähigkeit des Vordermanns immer zu einer rechtlichen Tatherrschaft des Hintermanns und damit stets zu mittelbarer Täterschaft.

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Ja!

Ein Teil der Literatur bestimmt die Tatherrschaft rein normativ. Jeder, der bewusst einen Taterfolg herbeiführe, ohne dass ein deliktisch Vollverantwortlicher dazwischentrete, habe Tatherrschaft und sei als (mittelbarer) Täter anzusehen. N ist erst 13 Jahre alt. Kinder, also Personen unter 14 Jahren, gelten unwiderleglich als schuldunfähig (§ 19 StGB). Somit ist N deliktisch nicht vollverantwortlich. In dem bewussten Ausnutzen von Ns Schuldunfähigkeit liegt nach der genannten Auffassung somit automatisch Tatherrschaft infolge rechtlicher Überlegenheit.Der Begriff des Kindes ist auch in § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB legaldefiniert.

5. Auch nach der Rspr. führt ein Strafbarkeitsmangel des Vordermannes automatisch zur mittelbaren Täterschaft des Hintermannes.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der Rspr. des BGH könne Täterschaft nicht allein nach starren, rein normativen Kriterien bestimmt werden. Es käme vielmehr auf eine Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls an. Hierfür sprächen Worlaut, Gesetzessystematik und die Historie der Vorschriften: § 26 StGB setze lediglich voraus, dass eine vorsätzliche, rechtswidrige Tat des Tatmittlers gegeben ist. Der Gesetzgeber habe diese limitierte Akzessorietät gerade mit dem Gedanken eingeführt, dass eine fehlende Schuld des Angestifteten nicht zu einer ungerechtfertigten Straflosigkeit des Anstifters führen sollte. Wäre dieser Fall immer von § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB umfasst, so hätte es der Einführung der limitierten Akzessorietät nicht bedurft. Dies zeige, dass vom Gesetzgeber ein Nebeneinander von § 26 StGB und § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB gewollt sei (RdNr. 14ff.) .

6. Nach einem anderen Teil der Literatur begründe aber der Normzweck des § 19 StGB, dass jedenfalls dann, wenn der Vordermann ein Kind ist, stets mittelbare Täterschaft vorliege.

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Ja, in der Tat!

Es ist umstritten, ob mittelbarer Täterschaft per se zu bejahen ist, wenn der Tatmittler schuldunfähig ist. Eine Ansicht bejaht dies zumindest für den Fall der Strafunmündigkeit unter Verweis auf die gesetzliche Wertung des § 19 StGB. Der Normzweck sei dahingehend zu verstehen, dass Kinder nicht angestiftet werden können. Danach läge immer eine mittelbare Täterschaft vor, wenn der Vordermann ein Kind ist und der Hintermann einen entsprechenden Vorsatz hat. Nach dieser Ansicht wäre Ts Tatentschluss auf eine mittelbare Täterschaft gerichtet.

7. Auch nach Auffassung des BGH spricht die Gesetzessystematik und der gesetzgeberische Wille dafür, jedenfalls bei strafunmündigen Kindern stets von einer mittelbaren Täterschaft auszugehen.

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Nein!

BGH: § 19 StGB lasse ausdrücklich nur die Schuld des Kindes entfallen. Da es daher vorsätzlich und rechtswidrig handeln kann, könne das Handeln eines Kindes eine taugliche Haupttat i.S.v. § 26 StGB sein. Eine entgegenstehende gesetzliche Wertung läge nicht vor. Der Normzweck des § 19 StGB bestünde lediglich darin, eine pauschale Grenze für die Strafunmündigkeit festzulegen. Aus der Norm ergäben sich jedoch keine Auswirkungen auf die Strafbarkeit eines Hintermanns. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei der Regelung der Strafmündigkeit mögliche Auswirkungen auf die Strafbarkeit von Beteiligten überhaupt in den Blick genommen habe (RdNr. 20 ff.).

8. Weil T gegenüber N deutlich machte, dass er ihn zu einer Straftat aufforderte und N das Unrecht begriff, hatte T nach Auffassung des BGH keinen Tatentschluss bezüglich der mittelbaren Täterschaft.

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Genau, so ist das!

Der BGH ermittelt die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft bei einer wertenden Betrachtung des Gesamtgeschehens. Handelt es sich bei dem Tatmittler um ein strafunmündiges Kind, komme es insbesondere auch darauf an, ob es im konkreten Fall das Unrecht erkenne (Einsichtsfähigkeit). Eine Tatherrschaft könne nur dann angenommen werden, wenn der Täter dem Kind das Unrecht der Tat verschleiere oder sich sonst ein altersbedingtes Reifedefizit zunutze mache. T legte N offen, dass T für die Tat ins Gefängnis kommen könnte. Er verschleiert das Unrecht damit gerade nicht und versucht daher auch nicht, ein fehlendes Unrechtsbewusstsein des N auszunutzen. Zudem ließ T auch offen, wann N die Tat begehen würde, was ebenfalls gegen eine objektive Tatherrschaft spricht.

9. Selbst, wenn T mit Tatentschluss gehandelt hätte, so hat er jedenfalls nicht unmittelbar zur Tat angesetzt (§ 22 StGB).

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Ja, in der Tat!

Wenn Beiträge eines Tatmittlers zur Erreichung des tatbestandlichen Erfolgs notwendig sind, kann der Täter bereits mit dessen Beeinflussung unmittelbar zur Tat ansetzen (§ 22 StGB). Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Täter seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat und ihn in der Vorstellung entlässt, dieser werde die tatbestandsmäßige Handlung nunmehr in engem zeitlichen Zusammenhang vornehmen. Die Einwirkung auf den Tatmittler ist hingegen bloße Vorbereitungshandlung, wenn sie erst nach längerer Zeit zur Tatbegehung führen soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann sie Wirkung entfaltet. Entscheidend für die Abgrenzung ist, wie konkret und gewiss die Gefahr für das angegriffene Rechtsgut ist. Wann N die Tat begehen würde, war ungewiss. Auch sollte N erst in einigen Tagen wieder zu M kommen. T hat somit noch nicht unmittelbar zur Tat angesetzt, als er auf N einwirkte.

10. Hat sich T des versuchten Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht (§§ 212, 22 Abs. 1, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB)?

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Nein!

Der Tatbestand der Versuchsstrafbarkeit setzt subjektiv den (1) Tatentschluss des Täter und objektiv ein (2) unmittelbares Ansetzen voraus. T hatte weder Tatentschluss hinsichtlich der Begehung der Tat in mittelbarer Täterschaft, noch hat er unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestands angesetzt. Eine Strafbarkeit nach §§ 212, 22 Abs. 1, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB liegt damit nicht vor. In der Klausur kannst Du grundsätzlich die fehlende Strafbarkeit direkt nach dem Fehlen des Tatentschlusses ablehnen. Ob Du zusätzlich noch auf das unmittelbare Ansetzen eingehst, solltest Du danach entscheiden, wie viel Zeit Du hast, welche anderen Schwerpunkte der Fall hat und ob eine umfangreichere gutachterliche Prüfung dieses Punktes im Sachverhalt angelegt ist.

11. Nach der Wertung des BGH hat sich T aber der versuchten Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht (§§ 212, 30 Abs.1 StGB).

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Genau, so ist das!

Die versuchte Anstiftung setzt voraus: (1) die Haupttat soll in einem Verbrechen bestehen, es fehlt aber an einer Vollendungshaftung.(2) Der Anstifter muss weiterhin Tatentschluss bezüglich der Haupttat und bezüglich des Bestimmens des anderen zur Haupttat gehabt haben. (3)Zudem muss er unmittelbar zum Bestimmen angesetzt haben (4) sowie rechtswidrig und (5) schuldhaft gehandelt haben. N wollte zu keinem Zeitpunkt seine Mutter töten, sodass die Anstiftung keinen Erfolg hatte. T wollte eindeutig, dass N einen Totschlag, ein Verbrechen, an M begeht und N hierzu bestimmen (Tatentschluss). Durch die konkrete Aufforderung an N, M mit einem Messer zu töten, hat T auch unmittelbar zum Bestimmen angesetzt. T handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.Auch die Qualifikation der versuchten Anstiftung zum Mord (Heimtücke) ist erfüllt.

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