Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

AK begründet, weil VA materiell rechtswidrig (obwohl Voraussetzungen der EGL erfüllt)

AK begründet, weil VA materiell rechtswidrig (obwohl Voraussetzungen der EGL erfüllt)

6. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Landwirtin L betreibt einen Hof in Niedersachsen. Ls Kühe brechen täglich wegen eines kaputten Zauns von der Weide aus und gefährden den Straßenverkehr. Behörde B ordnet formell rechtmäßig an, dass L die Kühe nicht mehr halten darf. L hält das für maßlos übertrieben.

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Einordnung des Falls

AK begründet, weil VA materiell rechtswidrig (obwohl Voraussetzungen der EGL erfüllt)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Begründetheit der Anfechtungsklage setzt voraus, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

Genau, so ist das!

Eine Anfechtungsklage ist begründet, soweit der (belastende) Verwaltungsakt rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Ein Verwaltungsakt, durch den der Kläger in seinen Rechten verletzt wird, ist immer auch rechtswidrig, aber ein Verwaltungsakt, der rechtswidrig ist, verletzt nicht auch immer Rechte des Klägers, z.B. dann nicht, wenn der Kläger nicht Adressat des Verwaltungsakts ist.
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2. Die materielle Rechtmäßigkeit setzt zunächst voraus, dass der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage erfüllt ist. Liegen die Voraussetzungen der Generalklausel (hier § 11 NPOG) vor?

Ja, in der Tat!

Der Tatbestand der polizeirechtlichen Generalklauseln ist erfüllt, wenn eine Gefahr vorliegt. Eine Gefahr ist eine Sachlage, bei der im Einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird (§ 2 Nr. 1 NPOG). Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz der Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, den Schutz der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie den Schutz des Bestandes des Staates und sonstiger Träger der öffentlichen Gewalt, ihrer Einrichtungen und Veranstaltungen. Durch die täglich ausbrechenden Kühe wird der Straßenverkehr und damit auch subjektive Rechte Dritter (Leib und Leben) gefährdet. Der Tatbestand von § 11 NPOG liegt vor.

3. In der gefahrenabwehrrechtlichen Generalklausel (hier § 11 NPOG) sind konkrete Rechtsfolgen normiert.

Nein!

Auf Rechtsfolgenseite sehen die polizeirechtlichen Generalklauseln gerade keine konkreten Maßnahmen vor, um den Polizei- und Ordnungsbehörden Handlungsmöglichkeiten zur effektiven Gefahrenabwehr für eine Vielzahl von Sachverhalten zu eröffnen. Vielmehr räumen die Generalklauseln den Behörden Entschließungs- und Auswahlermessen hinsichtlich der Maßnahme ein. Die Behörden können also grundsätzlich entscheiden, ob und wie sie tätig werden wollen. Hierbei müssen die Behörde die Grundsätze des Ermessens (§ 40 VwVfG, teilweise konkretisiert in den Landesgesetzen) beachten. Hierzu gehört insbesondere auch, dass die konkrete Maßnahme verhältnismäßig ist. Die Weite der gefahrenabwehrrechtlichen Generalklausel wird dadurch deutlich eingeschränkt, dass sie subsidiär ist gegenüber einer Vielzahl von speziellen Ermächtigungsgrundlagen in den Polizei- und Ordnungsgesetzen (sog. Standardmaßnahmen) oder in anderen Gesetzen. Die Generalklausel erfüllt damit die Funktion eines Auffangtatbestands. Mehr dazu in unserem Kurs zum Polizei- und Ordnungsrecht.

4. Ist die von B gewählte Maßnahme – das Verbot der Kuhhaltung - verhältnismäßig und der Verwaltungsakt damit insgesamt rechtmäßig?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeit (teilweise einfachgesetzlich konkretisiert in den landesrechtlichen Normen) setzt voraus, dass die Maßnahme (1) einem legitimen Zweck dient und sie zur Erreichung des Zwecks (2) geeignet, (3) erforderlich und (4) angemessen ist. Das Verbot dient dem Zweck der Gefahrenabwehr. Es ist auch geeignet, um die Gefahr effektiv zu beenden. Allerdings ist das Verbot nicht erforderlich, also nicht das mildeste gleich geeignete Mittel. B hätte L zunächst verpflichten können, den Zaun zu reparieren oder andere Maßnahmen zu treffen, um das Ausbrechen der Kühe verlässlich zu verhindern. Das Verbot ist unverhältnismäßig und der Verwaltungsakt somit (materiell) rechtswidrig.

5. Der rechtswidrige Verwaltungsakt verletzt L in ihren Rechten. Die Anfechtungsklage ist begründet.

Ja, in der Tat!

Eine Anfechtungsklage ist begründet, soweit der (belastende) Verwaltungsakt rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). L wird durch das Verbot in ihrem Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG beeinträchtigt, da dieses sich auf die Art und Weise, wie sie ihren Beruf als Landwirtin ausüben kann, auswirkt. Außerdem ist sie als Adressatin eines rechtswidrigen Verwaltungsakts in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Die Anfechtungsklage ist begründet.
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