+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Behörde B erteilt K im Dezember 2024 eine Baugenehmigung, obwohl Ks Bauvorhaben nicht mit dem Bebauungsplan im Einklang steht. Nachbar N klagt fristgemäß dagegen. Im April 2025, noch bevor das Gericht entschieden hat, wird der Bebauungsplan so geändert, dass das Bauvorhaben nun rechtmäßig ist.
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Einordnung des Falls
Einführung: Grundsätzlicher Beurteilungszeitpunkt (str.)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. N fragt sich, ob seine zulässige Anfechtungsklage Erfolg haben wird. Kann es dafür entscheidend sein, auf welchen Zeitpunkt zwischen Dezember 2024 und April 2025 das Gericht abstellt?
Ja, in der Tat!
Eine Klage ist erfolgreich, wenn sie zulässig und begründet ist. Eine Anfechtungsklage ist begründet, wenn der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Frage, ob ein Verwaltungsakt rechtswidrig ist oder nicht, kann man unter Umständen – je nach Zeitpunkt der Beurteilung – anders beantworten. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn sich die Rechtslage, die dem Verwaltungsakt zugrunde liegt, ändert. Für die Begründetheit der Anfechtungsklage kommt es daher maßgeblich darauf an, auf welchen Zeitpunkt man abstellt.
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2. Der Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts ist strittig. Ist ein möglicher Anknüpfungspunkt der Zeitpunkt der letzten behördlichen Handlung (hier: Dezember 2024)?
Ja!
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts ist sehr umstritten. Es ist möglich, (1) auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Handlung (i.d.R. Erlass des Verwaltungsakts oder Zustellung des Widerspruchsbescheids) abzustellen oder (2) auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. Diese Frage wird insbesondere bei Dauerverwaltungsakten relevant. Außerdem auch dann, wenn sich (wie hier) die Sach- oder Rechtslage nach Erlass des Verwaltungsakts ändert. Der Streit ist nur in den Fällen relevant, in denen die verschiedenen Zeitpunkte zu unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts kommen. Gibt es im Sachverhalt (wie hier) Anhaltspunkte dafür, solltest Du dies zu Beginn Deiner Begründetheitsprüfung kurz darstellen und Dich dann für einen Zeitpunkt für Deine Beurteilung entscheiden.
3. Stellt man hier auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Handlung ab, ist die Baugenehmigung rechtmäßig und die Klage unbegründet.
Nein, das ist nicht der Fall!
Eine Ansicht stellt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung. Dies ist regelmäßig der Erlass des Verwaltungsakts (bzw. wenn ein Widerspruch statthaft ist, die Zustellung des Widerspruchsbescheids). Zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Handlung im Dezember 2024 stand das Bauvorhaben des K im Widerspruch zu den Festsetzungen des Bebauungsplans. Die Baugenehmigung war damit rechtswidrig. Stellt das Gericht auf diesen Zeitpunkt ab, wäre die Klage unbegründet. Die hier genannte Meinung macht wiederum zahlreiche Ausnahmen. Insbesondere bei einer späteren Änderung der Sach- oder Rechtslage soll es nach vielfach vertretener Ansicht nicht auf die letzte behördliche Handlung, sondern auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht ankommen. Wir stellen die Meinungen und ihre Auswirkungen hier aus didaktischen Gründen ausführlich dar. In einer Klausur musst Du das Thema i.d.R. nicht vertieft ausführen, sondern nur kurz feststellen, auf welchen Zeitpunkt Du abstellst.
4. Stellt man den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung ab, würde das Gericht die Baugenehmigung aufheben. Müsste die Behörde einen erneuten Antrag des K positiv bescheiden?
Ja, in der Tat!
Nach einer Ansicht richtet sich die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts im Rahmen der Begründetheit der Anfechtungsklage nach der Rechtslage, die zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung galt. An unserem Fallbeispiel zeigt sich, welcher Aspekt gegen diese Ansicht spricht: Würde man auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung abstellen, würde das Gericht die rechtswidrige Baugenehmigung aufheben (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Da sich die Rechtslage aber geändert hat und das Bauvorhaben nun rechtmäßig wäre, könnte K einen neuen Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung stellen, den die Behörde positiv bescheiden müsste. Dies führt zu nicht sachgerechten Ergebnissen.
5. Nach der wohl h.M. kommt es auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht an. War die Baugenehmigung zu diesem Zeitpunkt rechtswidrig?
Nein!
Die inzwischen wohl h.M.) stellt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab. Für diese Meinung spricht, dass es dem Kläger nicht um die Feststellung der Rechtswidrigkeit der behördlichen Entscheidung geht, sondern um die Aufhebung des Verwaltungsakts für die Zukunft (ex nunc). Der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt kann daher nicht in der Vergangenheit liegen. Folgt man dieser Ansicht, ist die Baugenehmigung rechtmäßig. Die Klage des N wäre bereits aus diesem Grund unbegründet. Da die Ansicht, die auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung abstellt, zahlreiche Ausnahmen macht, führen beide Ansichten in der Regel zum gleichen Ergebnis. So auch hier. Auch wegen der Schwäche der anderen Ansicht empfehlen wir Dir, der h.M. zu folgen. Den „Streit“ solltest Du nur dann genauer darstellen, wenn der Sachverhalt darauf ausgerichtet ist.