Rechtsschutzbedürfnis bei Prozessvergleich

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Ein von K und B geschlossener Prozessvergleich verpflichtet K zur Zahlung von €500. K erhebt Vollstreckungsabwehrklage gegen die Zwangsvollstreckung durch B mit dem Einwand, er sei bei Vergleichsabschluss geschäfts- und prozessunfähig gewesen. Hilfsweise wendet er ein, er habe wirksam aufgerechnet.

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Einordnung des Falls

Rechtsschutzbedürfnis bei Prozessvergleich

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Prozessvergleich hat nur prozessuale Voraussetzungen.

Nein!

Nach h.M. hat ein Prozessvergleich eine Doppelnatur. Er ist sowohl Prozesshandlung, als auch materiell-rechtlicher Vertrag (§ 779 BGB). Durch einen Vergleich wird somit gleichzeitig der Titel und der damit titulierte materiell-rechtliche Anspruch geschaffen. Dementsprechend hat ein Prozessvergleich sowohl prozessuale, als auch materiell-rechtliche Voraussetzungen. Auf prozessualer Ebene ist erforderlich, dass der Vergleich von (1) den Parteien des Rechtsstreits (2) vor einem deutschen Gericht (3) während der Anhängigkeit des Verfahrens und (4) unter Einhaltung der von §§ 160 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 3, 162 Abs. 2, 163 Abs. 1 S. 1 ZPO vorgeschriebenen Form geschlossen wird und dabei   (5) die Prozesshandlungsvoraussetzungen vorliegen.   Auf materiell-rechtlicher Ebene ist § 779 BGB zu beachten. Im Übrigen gelten die gleichen Regeln wie für andere Rechtsgeschäfte auch.
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2. Ks Einwände richten sich nur gegen den materiell-rechtlichen Teil des Prozessvergleichs (§ 779 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Prozessvergleich ist nicht nur Prozesshandlung, sondern auch ein materiell-rechtlicher Vertrag (§ 779 BGB), gegen den die gleichen materiell-rechtlichen Einwendungen vorgebracht werden können, wie bei anderen Rechtsgeschäften auch. K macht seine fehlende Geschäfts- und Prozessfähigkeit, sowie eine Aufrechnung geltend. Die fehlende Geschäftsfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB stellt eine rechtshindernde Einwendung, die Aufrechnung (§§ 387ff. BGB) eine rechtsvernichtende Einwendung gegen den materiell-rechtlichen Teil des Prozessvergleichs dar. Die Prozessfähigkeit ist demgegenüber eine Prozesshandlungsvoraussetzung, die den prozessualen Teil des Prozessvergleichs betrifft.

3. Einwendungen, die die anfängliche Wirksamkeit eines Prozessvergleichs in Frage stellen, können grundsätzlich nicht im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage geltend gemacht werden.

Ja, in der Tat!

Ein bereits anfänglich unwirksamer Vergleich hat keine prozessbeendigende Wirkung. Dahingehende Einwände sind durch Fortsetzung des alten, noch laufenden Verfahrens geltend zu machen. Für eine Vollstreckungsabwehrklage besteht dann kein Rechtsschutzbedürfnis, da die Fortsetzung des alten Verfahrens den einfacheren und billigeren Weg darstellt, um den Titel zu beseitigen bzw. die Zwangsvollstreckung abzuwenden. Ein Prozessvergleich kann sowohl aus prozessualen, als auch aus materiell-rechtlichen Gründen anfänglich unwirksam sein. Teilweise wird auch vertreten, dass einem neuen Verfahren bei anfänglicher Unwirksamkeit des Vergleichs die Rechtshängigkeit des alten Verfahrens entgegensteht. Dies erscheint jedoch zweifelhaft, da der Streitgegenstand des alten und des neuen Verfahrens regelmäßig unterschiedlich sein wird (Leistungsklage/Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung).

4. Stellt einer der Einwände des K die anfängliche Wirksamkeit des Prozessvergleichs in Frage.

Ja!

Aufgrund seiner Doppelnatur hat ein wirksamer Prozessvergleich sowohl prozessuale, als auch materiell-rechtliche Voraussetzungen. Das Fehlen einer prozessualen Voraussetzung hat stets die anfängliche Unwirksamkeit des Prozessvergleichs zur Folge. Auf materiell-rechtlicher Ebene führen dagegen nur rechtshindernde Einwendungen zur anfänglichen Unwirksamkeit des Vergleichs. K macht seine fehlende Geschäfts- und Prozessfähigkeit, sowie eine Aufrechnung geltend: (1) Die Aufrechnung (§§ 387ff. BGB) als lediglich rechtsvernichtende Einwendung lässt die anfängliche Wirksamkeit des Vergleichs unberührt. (2) Die fehlende Geschäftsfähigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB) stellt als rechtshindernde Einwendung dagegen die anfängliche Wirksamkeit des Vergleichs in Frage. (3) Ein Fehlen der Prozessfähigkeit hat als prozessuale Voraussetzung ebenfalls die anfängliche Unwirksamkeit des Prozessvergleichs zur Folge.

5. Ist die Vollstreckungsabwehrklage unzulässig, weil K im Hinblick auf seine fehlende Geschäfts- und Prozessfähigkeit auch den alten Prozess hätte fortsetzen können?

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Vollstreckungsabwehrklage besteht laut BGH bereits dann, wenn der Kläger zumindest auch die nachträgliche Unwirksamkeit des Vergleichs bzw. nachträgliche Einwendungen gegen den Vergleich (hilfsweise) geltend macht. Aus Gründen der Prozessökonomie sind im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage dann ausnahmsweise auch diejenigen Einwendungen zu prüfen, die die anfängliche Unwirksamkeit des Prozessvergleichs betreffen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PI

Pit

8.4.2024, 11:11:51

Sofern keine materiell-rechtliche Einwendung vorläge, wäre diese Konstellation dann nicht der typische Fall für eine Titelgegenklage (§ 767 ZPO analog) ?

SI

Simon

10.4.2024, 09:51:25

Ich würde sagen auch gegenüber einer Titelgegenklage wäre der Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens ein einfacherer Rechtsbehelf, sodass auch das Rechtsschutzbedürfnis für eine Titelgegenklage fehlen würde. Die Fortsetzung des Verfahrens würde zudem ja auch den Titel an sich beseitigen und nicht nur die Vollstreckbarkeit


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