Beweisverwertungsverbot, § 261 StPO

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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A baut mit 1,67 Promille einen Autounfall und flieht vom Tatort. Polizist P sieht dies und findet As Führerschein. Kurz danach trifft P auf A und befragt ihn, um ihn zu überführen, ohne Weiteres zum Geschehen. A verstrickt sich in Widersprüchen. Im Prozess schweigt A und wird trotz Protesten nach Ps Aussage verurteilt.

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Einordnung des Falls

Beweisverwertungsverbot, § 261 StPO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Liegt ein Beweisverwertungsverbot vor, ist die Verwertung des Beweismittels im Urteil unzulässig (§ 261 StPO).

Ja!

Gegenstand der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) können nur diejenigen Beweismittel sein, deren Verwertung zulässig ist. Beweisverwertungsverbote ergeben sich in der Regel aus der Verletzung strafrechtlicher Normen und sind teilweise ausdrücklich gesetzlich vorgesehen (vgl. § 136a Abs. 3 S. 2 StPO, absolutes Beweisverwertungsverbot). Verwertet das Gericht den Inhalt eines Beweismittels, das einem Verwertungsverbot unterliegt, stellt diese einen reversiblen Verfahrensfehler dar. Das Gericht hätte As Aussage – eingeführt über die Vernehmung des Ps – hier nicht im Urteil verwerten dürfen, wenn As Aussage einem Beweisverwertungsverbot unterliegt.
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2. Ein Beweisverwertungsverbot kann sich aus einem Fehler im Ermittlungsverfahren ergeben. Indem P den A ohne Belehrung zum Tathergang befragte, verstieß er gegen § 136 Abs. 1 StPO.

Genau, so ist das!

Der Beschuldigte ist zu Beginn jeder Vernehmung über die ihm vorgeworfene Tat und seine Rechte zu belehren (§ 136 Abs. 1 S. 1, 2 iVm. § 163a Abs. 4 StPO). Beschuldigter ist derjenige, gegen den ein Anfangsverdacht besteht und gegen den die Behörden als Beschuldigten ermitteln wollen (Inkulpationswille). Dieser Wille kann sich auch konkludent, etwa durch die Vornahme bestimmter Verfahrenshandlungen äußern.Aufgrund des Führerscheins hatte P bereits einen starken Tatverdacht gegen A. Er befragte ihn zum Tathergang, um ihn als Täter zu überführen und brachte damit seinen Verfolgungswillen zum Ausdruck. Er hätte ihn also belehren müssen und tat dies nicht. Ein Verstoß gegen § 136 Abs. 1 S. 1, 2 iVm. § 163a Abs. 4 StPO liegt vor.

3. Kann A die durch P unterlassene Belehrung (§ 136 Abs. 1 StPO) in der Revision direkt rügen?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Revision dient der rechtlichen Überprüfung des Verfahrens der Urteilsfindung in der Hauptverhandlung. Unterlässt das Gericht etwa eine Belehrung (§ 52 Abs. 2 S. 1 StPO) oder lehnt es einen Beweisantrag ab (§ 244 Abs. 3 S. 2 StPO), stützt sich die Revision direkt auf die Verletzung dieser Normen. Auf Gesetzesverletzungen im Ermittlungsverfahren, etwa einer unterlassenen Belehrung nach § 136 Abs. 1 StPO, kann die Revision dagegen nicht direkt beruhen. Reversible Fehler ergeben sich erst, wenn das Gericht die fehlerhaft erlangten Beweise im Urteil verwertet, worin ein Verstoß gegen § 261 StPO liegt.Ein Obersatz könnte also lauten: Indem das Gericht die Aussage des Z im Urteil verwertete, könnte es gegen § 261 StPO verstoßen haben.

4. Jeder Gesetzesverstoß im Ermittlungsverfahren hat automatisch ein Beweisverwertungsverbot zur Folge (§ 261 StPO).

Nein!

Soweit keine ausdrückliche Regelung zu einem Beweisverwertungsverbot vorliegt, muss im Einzelfall das Interesse des Staates an der Tataufklärung gegen das Individualinteresse des Beschuldigten an der Bewahrung seiner Rechtsgüter abgewogen werden (Abwägungslehre). Bedeutsam sind das Gewicht des Verfahrensverstoßes und seine Bedeutung für den Rechtskreis des Betroffenen sowie die Erwägung, dass der Staat eine funktionierende Rechtspflege zu gewährleisten hat. Schützt die verletzte Norm ausschließlich das Interesse des Staates oder Dritter (z.B. § 55 Abs. 2 StPO), kann der Angeklagte seine Revision nicht auf ein Beweisverwertungsverbot stützen. Denn die Verletzung der Norm berührt in diesem Fall gerade nicht den Rechtskreis des Angeklagten. Zentrales Anliegen des Strafverfahrens ist die Wahrheitsfindung. Beweisverwertungsverbote sind daher eine begründungsbedürftige Ausnahme, zumal sie das Verfassungsgebot der Gewährleistung einer wirksamen Strafrechtspflege berühren.

5. Der Verstoß gegen § 136 StPO wiegt so schwer, das hieraus ein Beweisverwertungsverbot folgt. Durch die Verwertung der Aussage des P hat das Gericht gegen § 261 StPO verstoßen.

Genau, so ist das!

Ein reversibler Verstoß gegen § 261 StPO liegt vor, wenn der Inhalt von Ps Aussage einem Verwertungsverbot unterliegt. Der Verstoß Ps gegen die Belehrungspflicht führt dazu, dass auch die Aussage des Ps über den Inhalt der Vernehmung des A nicht verwertet werden darf, wenn As Interesse an der Wahrung seiner Rechte das Interesse des Staates an der Tataufklärung überwiegt.Die Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 StPO hat große Bedeutung, da sie die grundlegenden Rechte des Beschuldigten sichert, die die Basis für ein rechtsstaatliches Verfahren darstellen. Da sie damit den Kern der Beschuldigtenrechte schlechthin betreffen, führt ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht in aller Regel zu einem Verwertungsverbot. Anders ist dies nur, wenn A seine Rechte sicher kannte, was hier nicht ersichtlich ist. Die Verwertung im Urteil verstieß also gegen § 261 StPO.

6. Damit A die Verwertung von Ps Aussage in der Revision rügen kann, musste er bereits in der Verhandlung der Verwertung widersprechen.

Ja, in der Tat!

Nach der vom BGH entwickelten Widerspruchslösung muss der Angeklagte der Verwertung des unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommenen Aussage bereits in der Verhandlung widersprechen, um nicht in der Revision mit dem Einwand präkludiert zu sein.A musste hier also widersprechen und tat dies auch. Er ist in der Revision mit seinem Einwand nicht präkludiert.Die Rechtsprechung des BGH zur Widerspruchslösung lässt kaum klare Linien erkennen. Soweit ein Widerspruch für notwendig erachtet wird, findet sich dies in der Kommentierung des Meyer-Goßner zur jeweiligen Norm unter dem Punkt Revision. Nutze diese Hilfestellung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Nocebo

Nocebo

9.7.2024, 15:00:28

Die Antwort ist hier zu pauschal. Die Widerspruchslösung gilt für einen unverteidigten Angeklagten, wie hier, nur nach vorherigem Hinweis des Gerichts. Da das im SV nicht erwähnt wird, ist er nicht erfolgt. Ergo kein Widerspruch erforderlich.


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