Weitere Voraussetzungen: Gesetzesvorbehalt

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Bundestag erlässt ein formelles Gesetz (G), welches das Gesundheitsministerium dazu ermächtigt, Einzelheiten der Kassenzulassung für Psychotherapeuten zu regeln. Da in zwei Tagen Weihnachten ist, sind nur drei Abgeordnete anwesend. Minister M regelt auf Grundlage von Gesetz G die Einzelheiten der Kassenzulassung neu.

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Einordnung des Falls

Weitere Voraussetzungen: Gesetzesvorbehalt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Sofern eine die Berufsfreiheit einschränkende, einfachgesetzliche Norm existiert, bestehen an diese keine weiteren Anforderungen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG unterliegt als einheitliches Grundrecht einem in Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG normierten einfachgesetzlichen Vorbehalt, das heißt, die Berufsfreiheit ist per formellem Parlamentsgesetz einschränkbar. Ein solches Gesetz kann darüber hinaus die Exekutive ermächtigen, Einschränkungen per materiellem Gesetz zu erlassen. Die bloße Existenz einer die Berufsfreiheit einschränkenden einfachgesetzlichen Norm reicht jedoch alleine nicht aus. Vielmehr muss die Norm ihrerseits sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht mit dem Grundgesetz vereinbar und somit verfassungsmäßig sein.
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2. Ein die Berufsfreiheit einschränkendes formelles Gesetz ist formell verfassungsmäßig, wenn es mit der entsprechenden Zuständigkeit erlassen wurde. Weitere Voraussetzungen bestehen nicht.

Nein!

Ein die Berufsfreiheit einschränkendes Gesetz muss seinerseits in formeller als auch in materieller Hinsicht mit dem Grundgesetz vereinbar und somit verfassungsmäßig sein. Dabei richtet sich die formelle Rechtmäßigkeit nach den Kriterien der Gesetzgebungskompetenz sowie den einschlägigen Verfahrens- und Formvorschriften. Die formelle Rechtmäßigkeit eines die Berufsfreiheit einschränkenden Parlamentsgesetzes (formelles Gesetz) bemisst sich nach den einschlägigen Vorschriften der Art. 30, 70 ff. GG. Verfahrensvorschriften finden sich in Art. 76 ff. GG. Mehr dazu findest Du in der Lektion Staatsorganisationsrecht!

3. Ein die Berufsfreiheit einschränkendes formelles Gesetz muss nicht nur in formeller, sondern auch in materieller Hinsicht verfassungsmäßig sein.

Genau, so ist das!

Ein die Berufsfreiheit einschränkendes formelles Gesetz muss nicht nur formell, sondern auch materiell verfassungsmäßig sein. Das heißt, das Gesetz muss nicht nur alle für die Berufsfreiheit wesentlichen Voraussetzungen einer Einschränkung, etwa durch die Exekutive, selbst regeln (Wesentlichkeitstheorie). Es muss darüber hinaus auch den Bestimmtheitsgrundsatz sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Schließlich muss das einschränkende Gesetz seinerseits einschränkend im Licht der Berufsfreiheit ausgelegt werden.

4. Der Bundestag war hier im Ergebnis beschlussunfähig, da nur drei Abgeordnete bei der Abstimmung anwesend waren.

Nein, das trifft nicht zu!

Relevante Verfahrensvorschriften für das Gesetzgebungsverfahren und Beschlüssse des Bundestags finden sich sowohl in Art. 76 ff. GG als auch in der Geschäftsordnung des Bundestags (§ 45 GO-BT). Demnach ist der Bundestag beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder im Saal anwesend ist (§ 45 Abs. 1 GO-BT). Auch wenn die tatsächliche Zahl der anwesenden Mitglieder darunter liegt, wird die Beschlussfähigkeit allerdings fingiert, solange sie nicht explizit festgestellt worden ist (§ 45 Abs. 2 S. 1 GO-BT). Bei der Abstimmung zur Verabschiedung des Gesetzes G waren lediglich drei Abgeordnete anwesend. Es gab allerdings keine Feststellung der Beschlussunfähigkeit nach § 45 Abs. 2 S. 1 GO-BT, sodass der Bundestag weiterhin beschlussfähig war.

5. Die Regelung von Minister M, die die Berufsfreiheit einschränkt, kann auf das Parlamentsgesetz G gestützt werden.

Ja!

Die bloße Existenz einer die Berufsfreiheit einschränkenden einfachgesetzlichen Norm reicht alleine nicht aus. Vielmehr muss die Norm ihrerseits sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht mit dem Grundgesetz vereinbar und somit verfassungsmäßig sein. Dies gilt natürlich insbesondere dann, wenn das Parlamentsgesetz eine Ermächtigung für die Exekutive enthält, Regelungen zur Einschränkung der Berufsfreiheit zu erlassen. Das Parlamentsgesetz G ist formell verfassungsgemäß. Daher kann die Regelung von Minister M, die die Berufsfreiheit der Psychotherapeuten einschränkt, auf das Gesetz G gestützt werden.

6. Das vom Bundestag erlassene Gesetz G ist aber formell verfassungswidrig, da nur drei Abgeordnete bei der Abstimmung anwesend waren.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein die Berufsfreiheit einschränkendes Gesetz muss sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht mit dem Grundgesetz vereinbar sein. Für die formelle Vereinbarkeit sind insbesondere Zuständigkeit, Verfahren und Form ausschlaggebend. Verstöße allein gegen die GO-BT als bloße Ordnungsvorschriften genügen für die formelle Verfassungswidrigkeit nicht. Erforderlich ist vielmehr ein Verstoß gerade gegen zwingende verfassungsrechtliche Regelungen. Das GG erfordert in Art. 77 Abs. 1 S. 1, 42 Abs. 2 S. 1 GG lediglich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen; eine Mindestanwesenheit einer bestimmten Zahl von Abgeordneten bedarf es nicht. Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ist hier anzunehmen. Mangels eines Verstoßes gegen zwingende verfassungsrechtliche Vorgaben ist Gesetz G daher formell verfassungsgemäß. Über dieses Ergebnis lässt sich trefflich streiten. Vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips aus Art. 20 GG wird teilweise eine bestimmte Mindestzahl anwesender Abgeordneter gefordert, beispielsweise von 5 % der gesetzlichen Mitglieder angesichts des § 45 Abs. 2 S. 1 GO-BT. Allerdings lässt sich dem GG selbst keinerlei konkreter Grenzwert entnehmen, zumal im Bundestag als Arbeitsparlament die eigentlichen politischen Entscheidungen regelmäßig schon auf Fraktions- oder Ausschussebene gefallen sein werden. Eine rechtspolitische Klarstellung wäre hier wünschenswert.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

KO

Konrad1522

10.5.2024, 22:10:43

Ist hier unumstritten dass das Gesetz formell verfassungswidrig ist? Ich meine mich zu erinnern, dass die GO-BT allein als bloßes Innenrecht nicht die formelle Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes herbeiführen kann. Die Beschlussfähigkeit ist im GG ja nicht geregelt, sondern nach Art 42 II ist lediglich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Solange man in dem Beschluss mit nur drei Parlamentariern keinen Verstoß gegen das Demokratieprinzip (Art 20 II GG) sieht, müsste das Gesetz folglich formell verfassungsmäßig sein. LG

LEGA

LegalEagle

9.7.2024, 17:30:15

Ich stimme Konrad zu. Solange die Beschlussfähigkeit des Bundestages nicht durch mindestens 5% der Anwesenden oder mindestens eine Fraktion gerügt wird oder das Präsidium von sich aus eine Beschlussfähigkeit anzweifelt gilt der Bundestag als beschlussfähig.

Julius

Julius

25.7.2024, 17:19:13

Könnt dies vielleicht ein Moderator beantworten ich teile die Einschätzung der anderen hier. Die meisten Gesetze werden beschlossen obwohl nicht genug Abgeordnete im Plenum anwesend sind. Schädlich ist das nur wenn die Beschlussfähigkeit angezweifelt wird

ROBE

Robert

30.8.2024, 15:30:40

Ich sehe das genauso. Bitte um eine Antwort, Jurafuchs!

SEN

SenorLucky

4.9.2024, 17:16:24

Ich stimme euch zu, dass der BT grundsätzlich beschlussfähig ist, wenn nicht durch mindestens 5% der Anwesenden oder mind. eine Fraktion die fehlende Beschlussfähigkeit gerügt wurde. Bei drei anwesenden Mitgliedern des BT wäre aber die oben genannte Rüge rein tatsächlich auch garnicht möglich, sodass es darauf hier nicht ankommen darf. Weiter stimme ich komplett mit euch überein, dass ein GOBT Fehler ohnehin nicht zu einer formellen Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes führen kann. In so einem krassen Fall würde meines Erachtens in jedem Fall aber gegen das Demokratieprinzip verstoßen, sodass sich die formelle Verfassungswidrigkeit problemfrei hierauf stützen lässt. Insoweit finde ich die Lösungsantwort korrekt, obgleich die Erklärung nicht so ganz passt.

LEGA

LegalEagle

4.9.2024, 17:26:10

Bzgl. des Verstoßes gegen das Demokratieprinzip würde ich dir insoweit zustimmen, als das man darüber mit guten Argumenten streiten kann. Bzgl. der Rüge hast du aber glaube ich einen Denkfehler. Bei 5% von 3 Anwesenden wäre es wohl hinreichend, wenn ein einziger Abgeordneter einen entsprechenden Antrag stellt. Schließlich stellt er zu diesem Zeitpunkt ca. 33% der Anwesenden dar.

SEN

SenorLucky

7.9.2024, 20:28:07

@[LegalEagle](243611) Jap, da war ich dumm, es geht ja um die Anwesenden nicht um die Gesamtzahl. Geb ich dir Recht. ^^

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

11.9.2024, 10:34:04

Hallo @[Konrad1522](153272), vielen Dank für den wertvollen Hinweis und vielen Dank an alle anderen für die Ergänzungen und die gute Diskussion! In der Tat führt ein Verstoß allein gegen Regelungen der GOBT als bloße

Ordnungsvorschriften

nicht zur formellen Verfassungswidrigkeit, wir haben das in der Aufgabe angepasst und korrigiert. Ob man vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips eine demokratische Mindestanzahl anwesender Abgeordneter annehmen möchte, wird kontrovers diskutiert (wen es vertieft interessiert: v Münch/Kunig/Groh, GG, 7. Aufl 2021, Art 42 Rn 36 f; Dürig/Herzog/Scholz/Klein/Schwarz, GG, 104. EL, Stand

Apr

il 2024, Art 42 Rn 97 ff). Zuletzt: Bei § 45 II 1 GOBT bitte super präzise beim Lesen sein. Erforderlich für eine Rüge sind "anwesende fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages" - das heißt 5 % der gesetzlichen Mitgliederzahl (!), die auch tatsächlich vor Ort sein müssen. Anderenfalls hieße es "fünf vom Hundert der anwesenden Mitglieder des Bundestags", das wären dann 5 % derjenigen Abgeordneten, die tatsächlich da sind. Eine Rüge durch die "5 %" wäre dementsprechend hier schon gar nicht möglich gewesen, selbst dafür waren es zu wenige. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

BE

Bioshock Energy

11.9.2024, 22:43:08

Wäre das Gesetz bei einem Verstoß gegen das Demokratieprinzip tätsächlich formell verfassungswidrig? Ich hätte nach meinem Gefühl gedacht, dass ein etwaiger Verstoß gegen das Demokratieprinzip in der materiellen Rmk geprüft werden würde. Vielleicht kann mir das noch jemand beantworten.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

31.10.2024, 10:08:08

Hallo @[Bioshock Energy](207759), eine Prüfung iRd materiellen

Verfassungsmäßigkeit

mag sich anbieten, wenn wir einen genuinen Verstoß gegen das Demokratieprinzip prüfen. In unserem Fall würde wir dieses Prinzip ja aber nur als Argument nutzen, als Stütze dafür, dass wir ein Mindestquorum iRd formellen (!)

Verfassungsmäßigkeit

annehmen, das nicht erreicht ist. Dementsprechend sehe ich kein Problem darin, in einem solchen Fall schon von der formellen Verfassungswidrigkeit auszugehen. (Eventuelle) Korrektur zu meinem Beitrag oben (den ich leider trotz Versuchs nicht mehr bearbeiten kann): Zur Frage der Berechnung des 5 %-Quorums finde ich das Wortlautargument isoliert nach wie vor nicht ganz unplausibel. Andererseits würde es dazu führen, dass bei sehr wenigen anwesenden Abgeordneten die Beschlussfähigkeit von ihnen überhaupt nicht angezweifelt werden kann, wenn sie nicht mindestens 5 % der gesetzlichen Mitgliederzahl ausmachen - und ob das der Zweck der Vorschrift ist? Nachdem ich nochmal drüber nachgedacht habe, würde ich deshalb doch eher annehmen, dass 5 % der anwesenden Abgeordneten reichen, völlig sicher bin ich aber offen gesagt nicht und im Schrifttum findet man zu dieser zumindest denkbaren Differenzierung leider kaum genauere Stellungnahmen ohne simple Bezugnahme auf den Gesetzestext. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

HockHex

HockHex

31.10.2024, 15:34:22

Danke @[Sebastian Schmitt](263562), ich habe auch ein paar Kommentare durchforstet, aber nichts genaues dazu gefunden. Aus meiner Sicht müsste man aber auch noch die Frage davor anpassen, denn die Abstimmung verstößt (nach h.M., je nach dem wie man mit dem 5% Argument umgeht, vgl. zur h.M. BeckOK GG/Budnik/Schwertel-Stahl, § 45 GO BT Rn. 3 f.) ja gerade nicht gegen die GO BT, weil gem. § 45 II S1 GO BT die Beschlussfähigkeit fingiert wird? Zumindest sollte der Streitstand da dann aufgeführt werden.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

31.10.2024, 17:05:45

Hallo @[HockHex](261320), vielen Dank auch Dir für den guten Hinweis. Ich habe mir das gerade selbst nochmal angeschaut. Es ist hier tatsächlich sprachlich nicht ganz leicht, die Fragen fair zu stellen (also Fangfragen möglichst zu vermeiden), gleichzeitig aber das rechtlich richtige Ergebnis klar hervorzuheben. Wir haben die Aufgabe nochmal angepasst, in der Hoffnung, dass sie jetzt final "steht". Leider ist es bis dahin manchmal ein gewisser Prozess, wie Ihr hier seht, deswegen sind wir für Euer Feedback auch stets dankbar! Ebenso ein hoffentlich letztes Mal zur Frage der Berechnung des Quorums: Etwas versteckt findet man im BeckOK-GG, 59. Ed, Stand 15.9.2024 doch noch etwas dazu. § 45 GO-BT Rn 3 aE und Art 42 GG Rn 20.5 aE sprechen dafür, dass es sich doch um 5 % der gesetzlichen Mitgliederzahl handeln muss - mit der von mir in meinem letzten Beitrag angesprochenen Folge. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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