+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der todkranke O will sein Leben beenden und bittet ernsthaft und ausdrücklich um Sterbehilfe. Seine Schwester S wollte ihn sowieso töten, um ihn nicht mehr besuchen zu müssen. Sie bittet Ärztin A vergeblich, das Leben des O nach dessen Wunsch zu beenden. A lehnt entschieden ab.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen
unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
...Wird geladen
Einordnung des Falls
Strafmodifizierende besondere persönlichen Merkmale
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat S sich der Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht, indem sie versuchte, A zu überreden, O zu töten (§§ 212 Abs. 1, 26 StGB)?
Nein!
Für eine Strafbarkeit nach §§ 212 Abs. 1, 26 StGB müsste S die A zu deren vorsätzlicher, rechtswidriger Haupttat bestimmt haben. Zudem müsste sie mit doppeltem Anstiftervorsatz, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben.A hat es abgelehnt, den O zu töten. Es ist zu keiner vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat gekommen. Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Anstiftung scheidet aus.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.
2. O hat ernsthaft und ausdrücklich um aktive Sterbehilfe gebeten. Wäre die Anstiftung erfolgreich gewesen, so wäre S deswegen nur nach §§ 216 Abs. 1, 26 StGB zu bestrafen gewesen.
Nein, das ist nicht der Fall!
Nach § 216 Abs. 1 StGB wird derjenige Täter privilegiert, der durch das ernste und ausdrückliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden ist. Die Bestimmung zur Tötung ist dabei ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 StGB.O hat ernsthaft und ausdrücklich die aktive Sterbehilfe verlangt. S müsste aber auch durch dieses Verlangen zur Tat bestimmt worden sein. Allerdings war S ohnehin bereits zur Tat entschlossen. Sie wollte O töten, um ihn nicht weiter besuchen zu müssen. O hat sie damit nicht zur Tat bestimmt. Das besondere persönliche Merkmal, das die Strafe mildert, liegt damit bei S nicht vor. Gemäß § 28 Abs. 2 StGB wäre S damit bei erfolgreicher Anstiftung wegen Anstiftung zum Totschlag nach §§ 212 Abs. 1, 26 StGB strafbar gewesen.
3. Hätte A sich nach § 216 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, wenn sie O auf seinen Wunsch hin getötet hätte?
Ja, in der Tat!
Nach § 216 Abs. 1 StGB wird derjenige Täter privilegiert, der durch das ernste und ausdrückliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden ist.O hat ernsthaft und ausdrücklich verlangt, getötet zu werden. Hätte A den O nur deswegen getötet, so hätte O sie auch durch sein Verlangen zu dieser Tötung bestimmt. A hätte sich demnach nach § 216 Abs. 1 StGB wegen Tötung auf Verlangen strafbar gemacht.
4. Eine versuchte Anstiftung ist nur zu einem Verbrechen möglich (§ 30 Abs. 1 StGB).
Ja!
Gemäß § 30 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer versucht zu einem Verbrechen anzustiften. Die versuchte Anstiftung zu einem Vergehen ist mithin straflos.
5. Sowohl Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB) als auch Tötung auf Verlangen (§ 216 Abs. 1 StGB) stellen Verbrechen dar.
Nein, das ist nicht der Fall!
Gemäß § 12 Abs. 1 StGB sind Verbrechen diejenigen rechtswidrigen Taten, die mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht sind. Der Totschlag nach § 212 Abs. 1 StGB sieht eine Mindeststrafe von fünf Jahren vor und ist mithin ein Verbrechen. Die Tötung auf Verlangen sieht nach § 216 Abs. 1 StGB eine Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten vor. Sie ist damit kein Verbrechen im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB.
6. Bei einer Anstiftung zu einem Verbrechen nach § 30 Abs. 1 StGB kommt es unstrittig darauf an, dass sich die Tat für den Anstiftenden als Verbrechen darstellt.
Nein, das trifft nicht zu!
Auch im Rahmen des § 30 Abs. 1 StGB gilt § 28 Abs. 2 StGB. Dieser sieht vor, dass für den Fall, in dem besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, dies nur für den Beteiligten gilt, bei dem die Merkmale vorliegen. Es kommt für eine Strafbarkeit nach § 30 Abs. 1 also darauf an, ob das Delikt beim Anstifter oder Angestifteten ein Verbrechen sein muss. Die herrschende Lehre zielt dabei auf den Anstifter ab. Die Rspr. sieht hingegen die Person des Angestifteten als entscheidend an.
7. Nach der Rechtsprechung hat sich S wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht (§§ 212 Abs. 1, 30 Abs. 1 StGB).
Nein!
Die Rspr. stellt im Hinblick auf das persönliche Merkmal auf die Person des Angestifteten ab.
Stellt man mit der Rechtsprechung auf die Person des Angestifteten ab, liegt hier nur eine versuchte Anstiftung zu einer Tötung auf Verlangen (§ 216 Abs. 1 StGB) vor. § 216 StGB ist jedoch kein Verbrechen, womit § 30 Abs. 1 StGB nicht zur Anwendung kommt. S bliebe straffrei.
8. Nach der herrschenden Lehre hat sich S wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht (§§ 212 Abs. 1, 30 Abs. 1 StGB).
Genau, so ist das!
Sieht man mit der herrschenden Lehre den Anstifter als maßgeblich an, hat sich S wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht, §§ 212 Abs. 1, 30 Abs. 1 StGB. Denn für sie greift die Privilegierung des § 216 Abs. 1 StGB nicht.
9. Die beiden Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ein Streitentscheid ist damit nötig.
Ja, in der Tat!
Für die herrschende Lehre, die die Person des Anstifters als maßgeblich ansieht, spricht, dass die Tatbestandsverschiebung des § 28 Abs. 2 StGB auch bei einer vollendeten Anstiftung zum Tragen kommt. Entsprechend müsse sie dann auch für die versuchte Anstiftug gelten.
Für die Anicht der Rspr. spricht hingegen der Strafgrund des § 30 Abs. 1 StGB. Dieser läge darin, besonders schwerwiegende Taten zu verhindern. Zudem komme es auch bei § 28 Abs. 1 StGB auf den anvisierten Haupttäter an. Da es auf Zufälligkeiten beruhen kann, ob § 28 Abs. 1 oder § 28 Abs. 2 StGB zur Anwendung käme, müsse die Wertung einheitlich sein.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.