Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Täterschaft und Teilnahme
Verbrechensverabredung auch ohne Haupttäter?
Verbrechensverabredung auch ohne Haupttäter?
10. Juli 2025
10 Kommentare
4,7 ★ (49.848 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
L will seinen verhassten Nachbarn N töten oder so schwer verletzen lassen, dass er pflegebedürftig wird und aus seinem Haus ausziehen muss. L bittet H darum, ihm hierfür Kontakt zu einer Person zu vermitteln, die dies erledigen könne. L selbst soll aber letztlich den Auftrag erteilen. H macht sich auf die Suche.
Diesen Fall lösen 84,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Verbrechensverabredung auch ohne Haupttäter?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. L könnte sich wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht haben, indem er H auf die Suche nach einem geeigneten Auftragstäter schickte, §§ 212 Abs. 1, 30 Abs. 1 StGB.
Ja, in der Tat!
2. L wäre auch mit einer schweren Verletzung des N einverstanden gewesen. Entfällt deshalb der Tatentschluss bezüglich des Totschlags?
Nein!
3. Hat L unmittelbar zur Tatausführung angesetzt?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. L könnte sich aber wegen der Verabredung zur Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht haben, indem er H bat, mit ihm gemeinsam nach einem möglichen Täter zu suchen (§§ 212 Abs. 1, 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB).
Ja, in der Tat!
5. L und H könnten sich zur Anstiftung zum Totschlag verabredet haben, als sie ausmachten, sich auf die Suche nach einem potenziellen Täter zu begeben.
Ja!
6. Muss die Tat, auf die sich die Verabredung bezieht, bereits in allen Einzelheiten bestimmt sein?
Nein, das ist nicht der Fall!
7. H und L hatten noch keinen mutmaßlichen Täter gefunden. Steht dies nach Ansicht des BGH einer Verbrechensverabredung entgegen?
Nein, das trifft nicht zu!
8. L hat sich auch wegen Verabredung zur Anstiftung zur schweren Körperverletzung strafbar gemacht, §§ 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 3, 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB.
Ja!
9. Hat auch H sich wegen Verabredung zur Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht, § 212 Abs. 1, 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB?
Genau, so ist das!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Juju9
7.5.2024, 14:32:03
Ich finde den Sachverhalt etwas dünn, um bei H einen Anstiftungs- und Erfolgswillen anzunehmen und wäre hier eher von einer Beihilfe ausgegangen. Kann dazu jemand Stellung beziehen?
brrrap
15.6.2024, 12:01:54
Das war auch eigentlich mein erster Gedanke und das hat das LG Magdeburg in der Vorinstanz auch so gesehen. Der BGH hat die Annahme von geplantem
mittäterschaftlichem Vorgehen mitunter darauf gestützt, dass sich der H das Anliegen von L "zu eigen" machte indem er aktiv die Vermittlung übernahm. Unter dem Gesichtspunkt, dass L selbst nicht wirklich geeignete Kontakte hat und die Vermittlungsrolle des H dadurch ziemlich entscheidend ist (auch wenn L natürlich selbst suchen konnte), finde ich dass dann auch schon vertretbar. Wenn man also darauf abstellt, dass es für L ohne den Beitrag von H wesentlich erschwert wäre, sein Vorhaben umzusetzen, dass also die Tat praktisch schon von diesem Beitrag abhängig ist, kann man eine funktionale Tatherrschaft des H und damit auch
Mittäterschaftnach der Verabredung schon vertreten. Da der H halt auch über alles im Bilde war und trotzdem aktiv seinen Beitrag geleistet hat, finde ich dann auch jedenfalls dolus eventualis auch gut vertretbar.
na_dinchen
11.12.2024, 21:18:04
Der Sachverhalt kam etwas abgewandelt im 2. Examen (S2) NRW im Dezember 2024

Linne Hempel
16.12.2024, 14:43:57
Hallo na_dinchen, vielen Dank für Deinen Hinweis! Es ist großartig zu hören, dass einer unserer Fälle tatsächlich im Examen dran kam. Wir haben diese Information notiert und werden sie in unserer App entsprechend kennzeichnen, um die Examensrelevanz für die Community sichtbar zu machen. Deine Rückmeldung hilft uns, die Vorbereitung für alle Nutzer zielgerichteter zu gestalten und die Qualität unserer Inhalte stetig zu verbessern. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald die Kennzeichnung in der App sichtbar ist. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team
paul1ne
5.2.2025, 15:44:53
Ich dachte, der T hätte alternativen Vorsatz bzgl der Tötung/Körperverletzung an seinem Nachbarn- dann hätte sich der Vorsatz aber aufgebraucht mit einer Anstiftung, oder? Und warum ist er strafbar wegen beider versuchter Ansriftungen, wenn er nur einen Tatbestand erfüllen wollte/sich nur ein TB hätte erfüllen lassen?
Anony Mous
2.3.2025, 09:10:12
Das interessiert mich auch.
Dini2010
16.4.2025, 10:58:22
Ich bin gar nicht sicher, ob das hier der klassische alternative Vorsatz ist. Zum einen betrifft es ein- und denselben Rechtsgutträger, zum anderen schließen sich die beiden TB nicht vollständig aus, da die KV ja das
notwendigeDurchgangsstadium zur Tötung ist. Ich hätte das jetzt eher als "normalen"
TÖtungsvorsatzgesehen (nach dem Motto "wenn Tötung nicht klappt, dann wenigstens schwer verletzen). Davon abgesehen zum alternativen Vorsatz und der Frage des Vorsatzverbrauchs: Da gibt es einen Fall des Monats von "famos", vielleicht hilft der weiter :). SV kurz zusammengefasst: A schlägt mit einem Hammer Richtung B, der unmittelbar vor C steht. A hält es für möglich und nimmt es billigend in Kauf, dass er B oder C trifft und verletzt. Er schließt aber aus, beide zu treffen. Er trifft C leicht am Kopf. Das LG verurteilt A wg. gef. KV zulasten des V mit versuchter gef. KV zulasten des B. Leitsätze: 1. Der Vorbehalt einer alternativen Vollendung steht der Annahme zweier (bedingter) Vorsätze nicht entgegen. 2. Richtet sich der alternative Vorsatz auf höchstpersönliche RG verschiedener RG-Träger, ist im Falle des (alternativen) Erfolgseintritts Tateinheit zw. verwirlichtem und versuchtem Delikt anzunehmen. Problematik: "In der rechtstheoretischen Diskussion werden zum alternativen Vorsatz bislang drei Grundkonstellationen unterschieden: 1. "Schützen-Fall": Jäger gibt einen Schuss in Richtung von zwei nebeneinanderstehenden Personen ab und hat bed. Vorsatz, einen von beiden zu treffen (oder keinen), gleichzeitiger Erfolg ist ausgeschlossen. 2. "Wilderer-Fall": Wilderer schießt auf der Flucht auf den Förster und dessen Hund, geht davon aus, den Förster oder den Hund (oder keinen) zu treffen, keinesfalls aber beide. 3. Ähnlich der "Hund/Kind-Fall". Jäger schießt auf sich bewegendes Objekt, für ihn nicht näher identifizierbar, er hält es für möglich, das Nachbarskind oder den Nachbarshund (oder keinen) zu treffen. ...der alternative Vorsatz zeichnet sich dadurch aus, dass er auf mehrere, sich aber gegenseitig ausschließende TB gerichtet ist...." Rechtliche Bewertung: umstritten => insb. bzgl, der Frage, ob nur EIN Vorsatz oder MEHRERE Vorsätze zuzurechnen sind. => e.A: rechnet nur einen Vorsatz zu, da es nach der Vorstellung des T nur zu einer RG-Verletzung kommen soll. In dieser Ansicht bestraft e.A. nur aus vollendetem Delikt, da der Vorsatz bzgl. der versuchten Tat bereits verbraucht sei, a.A. bestraft aus schwererem Delikt.+ => h.L. bejaht Zurechenbarkeit zweiter Vorsätze. Charakteristikum des
Eventualvorsatzes sei gerade die bloße Möglichkeitsvorstellung des Erfolgseintritts, die einen tats. Verletzungerfolg gerade nicht erfordert. Insofern handele es sich bzgl. des alternativen Vorsatzes nicht um ein TB-, sondern vielmehr um ein Konkurrenzproblem. Strafbarkeit daher aus allen konstruktiv erfassbaren Delikten in Idealkonkurrenz. Kernaussagen der Entscheidung: Der BGH verwirft die Revision des A und bejaht die Zurechnung zweier Vorsätze. Es sei kein legitimer Grund ersichtlich, warum lediglich ein Vorsatz zugerechnet werden solle. Insb. liegt kein Verstoß gegen Denkgesetze vor, denn auf sich gegenseitig ausschließende Erfolge gerichtete Vorsätze könnten miteinander verbunden werden, solange sie nicht den sicheren Eintritt eines Erfolges zum Gegenstand haben... Hins. der Konkurrenzen führt der BGH aus, dass jedenfalls da,, wenn sich der
Alternativvorsatzdes T auch höchtpersönl. RG verschiedener RG-Träger richtet und einer der erwarteten Erfolge eintritt, das vollendete und das versuchte Delikt zueinander in Tateinheit stünden... Ich habe den Fall mal verlinkt, da er noch weit ausführlicher ist : ) https://famos.jura.uni-wuerzburg.de/2021/
Findet Nemo Tenetur
9.2.2025, 22:17:04
Ist es eine Voraussetzung für § 30 II, dass das Verbrechen nur versucht wurde? Oder geht auch die Vollendung? Oder würde dann § 30 II von zB § 26 “konsumiert”(bin mir bei der Konkurrenzen unsicher…)?