Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Täterschaft und Teilnahme

Verbrechensverabredung auch ohne Haupttäter?

Verbrechensverabredung auch ohne Haupttäter?

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

L will seinen verhassten Nachbarn N töten oder so schwer verletzen lassen, dass er pflegebedürftig wird und aus seinem Haus ausziehen muss. L bittet H darum, ihm hierfür Kontakt zu einer Person zu vermitteln, die dies erledigen könne. L selbst soll aber letztlich den Auftrag erteilen. H macht sich auf die Suche.

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Einordnung des Falls

Verbrechensverabredung auch ohne Haupttäter?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. L könnte sich wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht haben, indem er H auf die Suche nach einem geeigneten Auftragstäter schickte, §§ 212 Abs. 1, 30 Abs. 1 StGB.

Ja, in der Tat!

Dafür müsste in einer Vorprüfung zunächst die Strafbarkeit der versuchten Anstiftung und die Nichtvollendung der Anstiftung festgestellt werden. Der objektive Tatbestand setzt daran anschließend voraus: (1) Tatentschluss (doppelter Anstiftervorsatz) (2) unmittelbares Ansetzen zur Anstiftungshandlung. L müsste darüber hinaus rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. Er dürfte zudem nicht gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB strafbefreiend vom Versuch zurück getreten sein.
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2. L wäre auch mit einer schweren Verletzung des N einverstanden gewesen. Entfällt deshalb der Tatentschluss bezüglich des Totschlags?

Nein!

Tatentschluss verlangt, dass der Täter vorsätzlich im Hinblick auf die in Aussicht genommene Straftat und das Bestimmen zu dieser handelt.L wollte, dass N getötet oder so schwer verletzt würde, dass er aus seinem Haus ausziehen müsste. Auch wenn ihm eine schwere Verletzung des N genügte, nahm er dessen Tötung zumindest billigend in Kauf. Damit hatte er diesbezüglich (Eventual-)Vorsatz.

3. Hat L unmittelbar zur Tatausführung angesetzt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein unmittelbares Ansetzen zur Tat liegt bei § 30 Abs. 1 StGB nach einer Ansicht erst vor, wenn die Anstiftungserklärung dem Anzustiftenden zugegangen ist. Die h.M. bejaht ein unmittelbares Ansetzen hingegen schon dann, wenn der Täter den Kausalverlauf aus der Hand gegeben hat.H hat sich auf die Suche nach einem potenziellen Täter begeben. Bisher ist aber niemandem eine konkrete Anstiftungserklärung zugegangen. Auch hat L den Kausalverlauf nicht aus der Hand gegeben. Hätte H einen möglichen Täter gefunden, hätte er nur den Kontakt zwischen diesem und L hergestellt. Die Auftragserteilung sollte erst durch L erfolgen. L hat damit nach allen Auffassungen nicht unmittelbar zur Anstiftung zum Totschlag angesetzt.

4. L könnte sich aber wegen der Verabredung zur Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht haben, indem er H bat, mit ihm gemeinsam nach einem möglichen Täter zu suchen (§§ 212 Abs. 1, 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

I. Der Tatbstand der Verbrechensverabredung setzt 1. objektiv voraus, dass H und L eine Anstiftung zu einem Verbrechen verabredet haben. 2. Subjektiv müsste L Erfolgswille bzgl. der Tat und Wille zur Anstiftung gehabt haben. II+III. L müsste zudem rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. IV. Er dürfte zudem nicht gem. § 31 Abs. 1 Nr. 2, 3, Abs. 2 StGB von der Tat zurückgetreten sein.

5. L und H könnten sich zur Anstiftung zum Totschlag verabredet haben, als sie ausmachten, sich auf die Suche nach einem potenziellen Täter zu begeben.

Ja!

Eine Verabredung setzt eine vom ernstlichen Willen getragene Einigung von mindestens zwei Personen voraus, gemeinschaftlich einen Dritten zur Begehung eines bestimmten Verbrechens anzustiften. Der Verabredung muss zudem das Versprechen mittäterschaftlicher Tatbeiträge zugrundeliegen.

6. Muss die Tat, auf die sich die Verabredung bezieht, bereits in allen Einzelheiten bestimmt sein?

Nein, das ist nicht der Fall!

Taugliche Bezugstat der Verbrechensverabredung ist ein endgültig geplantes Verbrechen. Die in Aussicht genommene Tat muss zumindest in ihren wesentlichen Grundzügen, nicht aber bereits in allen Einzelheiten festgelegt sein. So können etwa Zeit, Ort und Modalitäten der Ausführung im Einzelnen noch offen sein.Würde schon eine völlig vage und unkonkrete Tat ausreichen, würde die Strafbarkeit zu weit in das Vorfeld der eigentlichen Tat verlagert werden.

7. H und L hatten noch keinen mutmaßlichen Täter gefunden. Steht dies nach Ansicht des BGH einer Verbrechensverabredung entgegen?

Nein, das trifft nicht zu!

L und H hatten das Tatopfer bereits festgelegt und sich über ihr gemeinschaftliches, arbeitsteiliges Vorgehen bei der Suche nach einem Täter geeinigt (H sucht, L beauftragt). Auch das Tatmotiv war klar. Zwar stand im Zeitpunkt der Übereinkunft der mögliche Täter weder fest, noch war klar, ob eine Person gefunden werden könnte. BGH: Diese vom Willen der Beteiligten losgelöste Bedingung, sei im Hinblick auf den Zweck des § 30 Abs. 2 StGB – die zeitliche Vorverlagerung der Strafbarkeit – unbeachtlich (RdNr. 11). Sowohl die Tat als auch das Bestimmen zu dieser wurden ernstlich verabredet.Anders noch die Vorinstanz. Nach Auffassung des LG Magdeburg fehle es mangels möglichem Täter an einer hinreichenden Konkretisierung der vorgesehenen Anstiftung. Das LG hatte eine Strafbarkeit nach § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB deshalb abgelehnt.Die deshalb ergangenen Freisprüche hat der BGH nun aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

8. L hat sich auch wegen Verabredung zur Anstiftung zur schweren Körperverletzung strafbar gemacht, §§ 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 3, 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB.

Ja!

Die schwere Körperverletzung (§ 226 StGB) wird mit einer Mindeststrafe von einem Jahr geahndet und ist damit ein Verbrechen. L und H haben sich ernstlich dazu verabredet, jemanden zu suchen, den sie dazu bestimmen könnten N zu töten oder so schwer zu verletzen, dass er wegen Pflegebedürftigkeit aus seinem Haus ausziehen muss, mithin in Behinderung verfällt. L wäre sowohl mit dieser Tat als auch mit einer Tötung einverstanden gewesen. Er hatte somit mindestens Eventualvorsatz bezüglich der Tat. Zudem wollte er einen Dritten vorsätzlich zu dieser anstiften. L handelte rechtswidrig und schuldhaft und ist nicht von der Verabredung zurückgetreten.Auf Konkurrenzebene tritt diese Verabredung hinter der Verabredung zur Anstiftung zum Totschlag zurück. Deswegen kannst Du Dich in der Klausur bei der Prüfung dieses Tatbestands kurz fassen.

9. Hat auch H sich wegen Verabredung zur Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht, § 212 Abs. 1, 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB?

Genau, so ist das!

H und L sind ernstlich darüber übereingekommen, dass sie eine noch zu findende Person zur Tötung des N anstiften wollten. H hatte Erfolgswille bzgl. der Tat und Wille zur Anstiftung. Er handelte darüber hinaus rechtswidrig, schuldhaft und ist nicht von der Verbrechensverabredung zurück getreten.Die Verbrechensverabredung nach § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB verlangt eine mittäterschaftliche Verabredung. Die Übereinkunft zwischen einem Täter und einem Gehilfen reicht deswegen nicht aus.H hat sich schließlich auch wegen Verabredung zur Anstiftung zur schweren Körperverletzung strafbar gemacht. Das kannst du in der Klausur knapp im Feststellungsstil behandeln.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JUJU9

Juju9

7.5.2024, 14:32:03

Ich finde den Sachverhalt etwas dünn, um bei H einen Anstiftungs- und Erfolgswillen anzunehmen und wäre hier eher von einer Beihilfe ausgegangen. Kann dazu jemand Stellung beziehen?

BR

brrrap

15.6.2024, 12:01:54

Das war auch eigentlich mein erster Gedanke und das hat das LG Magdeburg in der Vorinstanz auch so gesehen. Der BGH hat die Annahme von geplantem mittäterschaftlichem Vorgehen mitunter darauf gestützt, dass sich der H das Anliegen von L "zu eigen" machte indem er aktiv die Vermittlung übernahm. Unter dem Gesichtspunkt, dass L selbst nicht wirklich geeignete Kontakte hat und die Vermittlungsrolle des H dadurch ziemlich entscheidend ist (auch wenn L natürlich selbst suchen konnte), finde ich dass dann auch schon vertretbar. Wenn man also darauf abstellt, dass es für L ohne den Beitrag von H wesentlich erschwert wäre, sein Vorhaben umzusetzen, dass also die Tat praktisch schon von diesem Beitrag abhängig ist, kann man eine funktionale Tatherrschaft des H und damit auch Mittäterschaft nach der Verabredung schon vertreten. Da der H halt auch über alles im Bilde war und trotzdem aktiv seinen Beitrag geleistet hat, finde ich dann auch jedenfalls dolus eventualis auch gut vertretbar.


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