Brandstifung bei einem Buswartehäuschen (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB)


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T zündet aus Langeweile im Buswartehäuschen an der B308 das dort in einem Mülleimer befindliche Papier an, um das Wartehäuschen abbrennen zu lassen. Zügig breiten sich die Flammen auf das gesamte Häuschen (geschlossene Holzbalkenkonstruktion mit Pultdach und breiter Türöffnung) aus.

Einordnung des Falls

Brandstifung bei einem Buswartehäuschen (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat sich wegen Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB) strafbar gemacht, wenn sie ein "fremdes Gebäude" oder eine "fremde Hütte" in Brand gesetzt hat.

Genau, so ist das!

§ 306 StGB ist eine Qualifikation der Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB). Man spricht auch von einer "Sachbeschädigung durch Feuer". § 306 StGB ist - anders als die systematische Stellung suggeriert - nicht Grundtatbestand der Brandstiftungsdelikte. Taugliche Objekte der einfachen Brandstiftung sind die in § 306 Abs. 1 StGB aufgeführten Gegenstände. Trotz des Plural-Wortlauts genügt es dabei, wenn nur eines der dort genannten Objekte angezündet wird.

2. Das Buswartehäuschen ist nach Auffassung des BayObLG eine "Hütte" (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Hütten sind Bauwerke, bei denen an die Größe, Festigkeit und Dauerhaftigkeit geringere Anforderungen gestellt werden als bei Gebäuden, die jedoch trotzdem ein selbstständiges, unbewegliches Ganzes bilden, das eine nicht nur geringfügige Bodenfläche bedeckt und ausreichend abgeschlossen ist. Abgeschlossenheit erfordert keine Verschlossenheit. Nach außen nicht fest abschließbare Anlagen wie Carports, Zelte und das hier in Rede stehende Buswartehäuschen sind nach h.M. keine Hütten. Nach anderer Auffassung ist das bis auf die breite Türöffnung mit Brettern konstruierte und über ein Pultdach verfügende Buswartehäuschen eine Hütte (§ 306 Abs. 1 StGB), da Abgeschlossenheit keine Verschlossenheit erfordert.

3. Sieht man das Buswartehäuschen als Hütte an, ist es für T auch "fremd" (§ 306 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB).

Ja!

Die Fremdheit des Tatobjektes richtet sich nach den zivilrechtlichen Eigentumsverhältnissen. Danach ist eine Sache für den Täter fremd, wenn sie weder in dessen Alleineigentum steht noch herrenlos ist. Das Wartehäuschen steht im Eigentum des Verkehrsbetriebs und ist für T mithin fremd.

4. Sieht man das Buswartehäuschen als Hütte an, hat T es auch "in Brand gesetzt" (§ 306 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Eine Sache ist in Brand gesetzt, wenn sie in einer Weise vom Feuer erfasst ist, dass ein Weiterbrennen aus eigener Kraft möglich ist. Erforderlich ist das Brennen eines für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Objekts wesentlichen Teils. Indem T das Papier im Mülleimer angezündet und so ein Feuer entfacht hat, das sich auf das gesamte Häuschen ausgedehnt hat, hat sie die fremde Hütte in Brand gesetzt.

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AK

Anna kowalewska

5.3.2020, 09:54:41

In der Antwort zu der Frage „stellt das Wartehäuschen eine Hütte dar“ werden auf einmal Informationen verarbeitet, die aus dem Sachverhalt nicht hervorgehen. Zum Beispiel dass die Hütte zu allen Seiten mit Holz verbaut ist und nur die Türöffnung frei ist.

Marilena

Marilena

5.3.2020, 10:00:37

Hallo Anna, vielen Dank für den Hinweis! Ja, da gebe ich Dir recht. Auf der Illustration, die erscheinen wird, ist es zwar gut zu sehen, aber aus dem Sachverhalt geht das nicht hervor. Ich werde das ergänzen.

Vincent

Vincent

10.12.2021, 12:47:00

Ich habe jetzt nicht ganz verstanden ob es eine Hütte ist. Nach hM nicht, aber dann kommen danach noch fragen zur Fremdheit oder dem Inbrandsetzen - also doch fremd?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.12.2021, 13:19:13

Hallo Vincent, in der Tat kannst Du nach der herrschenden Meinung bereits bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals Hütte aussteigen. Stellst Du dagegen mit Radtke darauf ab, dass es sich bei dem Häuschen durchaus um eine Hütte handelt, so müsste man den Tatbestand natürlich weiterprüfen. Da auch die übrigen Merkmale des objektiven Tatbestandes erfüllt sind und sich bezgl. des Vorsatzes, Rechtswidrigkeit und Schuld auch keine Probleme ergeben, wäre somit hier die Strafbarkeit zu bejahen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

HUG

Hugo

18.4.2023, 09:38:41

Ich bin ein wenig verwirrt: ABbschließen ist für mich ein Synonym zu VERschließen. Ist hier nicht eher das "UMschließen" gemeint?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.4.2023, 13:41:30

Hallo Hugo, das ist in der Tat eine Bedeutung. "Abgeschlossen" bedeutet allerdings auch, dass etwas in sich geschlossen ist und eine Einheit bildet. Diese Bedeutungsvariante ist hier gemeint. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

HUG

Hugo

8.5.2023, 07:07:15

Vielen Dank Lukas, jetzt ist es klar :-)

consul

consul

31.8.2023, 18:05:38

Ich bin mir unsicher, ob die Tathandlungsvariante "durch eine Brandlegung ganz oder teilweise" nicht vielleicht sogar besser passt. Für das Inbrandsetzen ist erforderlich, dass ein für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Objekts wesentlicher Teil brennen muss. Als solchen würde ich das Papier in dem Mülleimer des Wartehäuschens nicht qualifizieren. Ist hier einfach beides möglich?

LELEE

Leo Lee

3.9.2023, 20:05:31

Hallo Consul, da Inbrandsetzen und Zerstören durch „oder“ in einem Alternativverhältnis stehen, kannst du hier auch in der Tat argumentieren, dass (auch) die zweite Variante vorliegt. Beachte allerdings, dass die zweite Var. (die später hinzugefügt wurde, weil heutzutage ein lichterlohes Brennen aufgrund technologischer Fortschritte immer weniger vorkommen) vornehmlich diejenigen Fälle meint, wo ein Brandsatz OHNE ein Feuer zu verursachen, immer noch eine zerstörerische Wirkung entfaltet (Rauch, Gas, Verrußung usw.). Weil im vorliegenden Fall zwar erstmal nur der Mülleimer angezündet wurden, diese sich jedoch auf die Hütte ausgebreitet hat (die dann lichterloh gebrannt hat), wäre hier eher die erste Variante passender. Hierzu kann ich die Lektüre von Fischer StGB 69. Auflage, § 306 Rn. 14 f. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Amelie

Amelie

4.6.2024, 16:52:30

Obwohl ich diese Beschreibung verstehe, leuchtet es mir nicht ein weshalb dieser Fall anders als der Gardinenfall in der Villa (eine vorherige Aufgabe von euch) behandelt wird?

Liese

Liese

5.6.2024, 17:21:06

Hey Amelie, der Unterschied liegt denke ich darin, dass im Fall mit der Gardine das Feuer nicht auf das Gebäude übergegriffen hat und deshalb keinen wesentlichen Teil des Gebäudes betroffen hat. Im vorliegenden Fall hat das Feuer jedoch vom Mülleimer auf das Bushäuschen übergegriffen und damit einen wesentlichen Teil der "Hütte" erfasst.

VI

Viktoria6

13.7.2024, 15:41:11

Ich verstehe nicht ganz, wieso in der vorherigen Aufgabe der Jagdhochsitz als Hütte i.S.v. § 306 I Nr.1 Alt.2 StGB angenommen wird und ein Bushäuschen in diesem Fall hingegen nicht?

LELEE

Leo Lee

14.7.2024, 11:16:26

Hallo Viktoria6, vielen Dank für die sehr gute Frage! Voran: Das Gegenteil ist sehr gut vertretbar (dies wird z.B. auch im MüKo vertreten, wie im Vertiefungshinweis erwähnt). Das BayObLG störte sich im hiesigen Fall allen voran daran, dass die Hütte „offen“ war und nicht hinreichend abgeschlossen; dies dürfte bei einer Jagdhütte anders sein. Abgesehen davon: Beachte i.Ü. auch, dass ein „Widerspruch“ i.R.d. Rechtsprechung in DE nicht selten anzutreffen ist, da bei uns der Grundsatz „stare decisis“ (bedeutet, dass ein Fall immer gleich entschieden werden muss) wie bei den Amerikanern nicht existiert. Dies ist der Grund, weshalb „untere“ Gerichte (wie das BayObLG im Verhältnis zum BGH) Entscheidungen treffen können, die den Ansichten des BGHs z.B. entgegenstehen können. Ansonsten kann ich dir noch die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Radtke § 306 Rn. 26 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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