Strafrecht

Strafprozessrecht

Das Erkenntnisverfahren

Relative Antragsdelikte/§ 247 bei Erben

Relative Antragsdelikte/§ 247 bei Erben

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Einbrecher E war mit der T verheiratet. Inzwischen sind sie geschieden. Während der Ehe war M seine Schwiegermutter, T ist die einzige Tochter der M. Eines Tages bricht E in die Villa der M ein und räumt deren Tresor leer. Als M nach Hause kommt und dies sieht, stirbt sie an einem Herzinfarkt.

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Einordnung des Falls

Relative Antragsdelikte/§ 247 bei Erben

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der hier vorliegende Diebstahl ist ein Antragsdelikt.

Ja, in der Tat!

Zur Verfolgung mancher Delikte ist ein Strafantrag im engeren Sinne erforderlich (§ 158 Abs. 2 StPO, §§ 77ff. StGB). Antragsdelikte erkennt man daran, dass im Gesetz steht: „Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt“ (vgl. §§ 123 Abs. 2, 247 StGB). Bei solchen Delikten ist der Strafantrag eine Strafverfolgungsvoraussetzung. Dadurch wird das Offizialprinzip eingeschränkt.Der Diebstahl kann unter bestimmten Umständen nur auf Antrag verfolgt werden (§ 247 StGB). § 247 StGB bezieht sich auf alle Erscheinungsformen des Diebstahls und folglich auch auf die Qualifikationstatbestände in § 244 StGB.
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2. Der Haus- und Familiendiebstahl ist ein relatives Antragsdelikt (§ 247 StGB).

Nein!

Die Terminologie bei den Antragsdelikten ist nicht einheitlich. Der BGH und die Ausbildungsliteratur differenzieren üblicherweise zwischen absoluten und relativen Antragsdelikten. Absolute Antragsdelikte sind danach solche, bei denen ein Strafantrag für die Strafverfolgung zwingend erforderlich ist (§ 123 Abs. 2 StGB). Ein relatives Antragsdelikt liegt dagegen vor, wenn der Strafantrag durch ein besonderes öffentliches Interesse ersetzt werden kann (zB § 230 StGB).Für die Verfolgung des Diebstahls ist zwingend ein Strafantrag erforderlich, wenn durch ihn ein Angehöriger, der Vormund oder der Betreuer oder Mitbewohner verletzt ist (Haus- und Familiendiebstahl, § 247 StGB). Somit handelt es sich um ein absolutes Antragsdelikt. In der Literatur wird dagegen zum Teil zwischen absoluten, bedingten und relativen Antragsdelikten differenziert. Mehr dazu findest Du: hier

3. M wäre antragsberechtigt gewesen.

Genau, so ist das!

§ 247 StGB ist anwendbar, wenn durch den Diebstahl „ein Angehöriger ... verletzt“ worden ist. Der Begriff des „Angehörigen“ ist in § 11 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB gesetzlich bestimmt.M ist die Mutter der T, von der E geschieden worden ist. Ein in der Legaldefinition ausdrücklich genanntes Verhältnis („Ehegatte“ etc.) ist nicht begründet. M ist aber mit ihrer Tochter T nach § 1589 Abs. 1 S. 1 BGB „in gerader Linie verwandt“. Während der Ehe mit T war E nach § 1590 Abs. 1 S. 1 BGB mit seiner Schwiegermutter M „verschwägert“, wobei aus § 1590 Abs. 1 S. 2 BGB eine „Schwägerschaft gerader Linie“ folgt. Diese Schwägerschaft nach Linie und Grad dauert nach § 1590 Abs. 2 BGB auch dann fort, wenn die Ehe (wie hier) aufgelöst worden ist. Danach ist E „Angehöriger“ der M (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB) und M antragsberechtigt.

4. Das Strafantragsrecht kann auf andere Personen übergehen.

Ja, in der Tat!

M ist verstorben und kann einen Strafantrag nach § 77 Abs. 1 StGB selbst nicht mehr stellen. Das Strafantragsrechtes kann jedoch auf den Ehegatten, den Lebenspartner und die Kinder übergehen, wenn das Gesetz dies bestimmt (§ 77 Abs. 2 S. 1 StGB).

5. Das Strafantragsrecht der M ist auf T übergegangen.

Nein!

Ein Übergang ist nur in den Fällen vorgesehen, die das Gesetz bestimmt (§ 77 Abs. 2 S. 1 StGB). § 247 StGB sieht einen derartigen Übergang nicht vor. Aus der gesetzlichen Wertung des § 77 Abs. 2 S. 1 StGB folgt, dass das Antragsrecht als höchstpersönliches Recht nicht vererblich ist.Das Antragsrecht der M ist deshalb nicht auf T übergegangen.

6. T hat ein eigenes Antragsrecht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Antragsrecht aus § 247 StGB steht verletzten Angehörigen zu. Für die Bestimmung der Verletzteneigenschaft ist der Zeitpunkt der Tat maßgeblich.Mit dem Tod der M ging zwar das Eigentum am Diebesgut auf T über (§ 1922 BGB). Zu diesem Zeitpunkt war der Diebstahl jedoch bereits beendet, sodass T nicht selbst Verletzte sein kann.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

KG

Kira Gross

26.12.2020, 06:29:02

Wie wird der E denn dann vorliegen bestraft?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

28.12.2020, 22:06:58

Hallo Kira, E hat sich nach §§ 242, 244 Abs. 4 StGB strafbar gemacht. Der Herzinfarkt der M ist ihm wohl nicht objektiv zuzurechnen.

AM

Amtsanwaltsanwärter

5.1.2021, 21:26:19

Scheitert eine Bestrafung noch §§ 242, 244 Abs. 4 nicht daran, dass aufgrund des Verfahrenshindernisses des fehlenden Strafantrags schon gar keine Ermittlungen aufgenommen werden können?

LI

lililaw

4.6.2022, 15:56:43

Das würde mich auch interessieren.

frausummer

frausummer

18.7.2022, 11:56:02

m.E. betrifft der fehlende Strafantrag nur die prozessuale Seite, hat aber nichts mit der Strafbarkeit an sich zu tun

frausummer

frausummer

18.7.2022, 11:57:49

Was wäre denn ein Beispiel für eine Norm die den Übergang nach § 77 II ermöglicht?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.8.2022, 11:43:27

Hallo frausummer, Beispiele für einen Übergang gem. § 77 Abs. 2 StGB sind: §§ 165 I, 194 I, II, 205 II, 230 I 2 StGB. Ausnahmsweise geht das Antragsrecht auf die Erben über bei Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203) und deren Verwertung (§ 204), sofern das Geheimnis nicht zum persönlichen Bereich des Verletzten gehört (§ 205 II). Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DerChristoph

DerChristoph

27.8.2022, 13:05:24

Hallo Nora, könnte man ermöglichen, dass in euren Forumsantworten erwähnte Normen direkt verlinkt sind, wie im Aufgabenbereich? Das wäre beispielsweise hier sehr praktisch.

Marceli

Marceli

17.2.2023, 17:58:07

Bedeutet das jetzt, dass ein Verfolgungshindernis aufgrund fehlenden Strafantrags vorliegt, das mangels Übergangsfähigkeit nach § 77 II 1 StGB garnicht beseitigt werden kann, d.h. der T überhaupt nicht verfolgt werden kann?

SE.

se.si.sc

17.2.2023, 19:48:42

So ist es tatsächlich. In dem fehlenden Strafantrag liegt ein dauerndes und, im konkreten Fall, nicht behebbares Verfahrenshindernis, sodass die Staatsanwaltschaft schon den

Anfangsverdacht

i.S.d. § 152 II StPO ablehnen würde und T wegen des Diebstahls nicht verfolgt werden könnte. Theoretisch denkbar wäre eine Anklage wegen der mit dem Einbruch (vermutlich) verbundenen Sachbeschädigung nach § 303 StGB, die aufgrund des eigenen Unrechtsgehalts i.Ü. auch auf der Konkurrenzebene nicht zurücktreten würde (Fischer, StGB, § 243 Rn. 30) und nach § 303c StGB als

relatives Antragsdelikt

auch dann verfolgt werden könnte, wenn die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse bejaht. Das scheint mir hier eher fernliegend, lässt sich aber ohne nähere Informationen, u.a. zu Ablauf/Schadenshöhe/-art, nicht einschätzen. Eine Verfolgung wegen des Hausfriedensbruchs nach § 123 StGB scheitert am Charakter als

absolutes Antragsdelikt

ohne Übergangsregelung nach § 77 II 1 StGB (§ 123 II StGB).

FL

Flohm

20.10.2023, 10:17:17

Ich stehe auf dem Schlauch und verstehe nicht, warum E für M ein Angehöriger ist. Könnte das nochmal jemand mit anderen Worten bitte erklären ?

LELEE

Leo Lee

21.10.2023, 14:10:51

Hallo Flohm, das liegt daran, dass gem. § 1590 I 1 die Verwandten des Ehegatten (damit auch die Mutter der Ehefrau) mit dem anderen Ehegatten (hier also E) verschwägert ist. Wegen 1590 I 2 ist dann die Mutter in gerader Linie (weil die Tochter eben mit der Mama sich in einer gradlinigen Verwandtschaft sich befindet) mit dem Ehemann verschwägert ist. Deshalb nennt man die Mutter der Ehegatten auch „Schwiegermutter“ (verschwägerte Mutter) und andersrum den Ehemann der Tochter „Schwiegersohn“ (verschwägerter Sohn) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Steinfan

Steinfan

28.1.2024, 20:58:11

M könnte Angehörige des E sein. Zu den Angehörigen gehören gem. § 11 I Nr. 1 a) StGB auch Verschwägerte gerader Linie. Gem. § 1590 I 1 BGB sind die Verwandten eines Ehegatten mit dem anderen Ehegatten verschwägert. Die Linie der Schwägerschaft bestimmt sich nach der Linie der sie vermittelnden Verwandtschaft, § 1590 I 2 BGB. Die Verwandtschaft richtet sich nach § 1589 I BGB. M ist als Mutter der T mit dieser gem. § 1589 I 1 BGB in gerader Linie verwandt. E und T sind Ehegatten. Folglich ist M mit E in gerader Linie verschwägert; M ist also Angehörige des E im Sinne des § 11 I Nr. 1 a).

rlaw

rlaw

30.1.2024, 13:08:28

Aber die sind doch wieder geschieden? Bleibt man verwandt, obwohl man geschieden ist? Wenn ja ziemlich grausige Vorstellung...

Natze

Natze

20.2.2024, 12:39:48

Ganz kurz formuliert: Durch die Scheidung bleibt die Schwägerschaft bestehen. Also bleiben deine Schwiegereltern dir erhalten, auch wenn du deine Exehepartner zur Hölle geschickt hast :)

Dogu

Dogu

28.3.2024, 12:45:08

Selbst wenn die Schwägerschaft erlöschen sollte, bleibt man schon dem

Wortlaut

von § 11 I Nr. 1a) a.E. StGB dauerhaft Angehöriger...

DIAA

Diaa

16.9.2024, 12:19:00

Also muss es ausdrücklich im Gesetz stehen, also z.B. wie hier im §

247 StGB

?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

16.9.2024, 13:40:16

Hallo @[Diaa](211889), danke für deine Nachrfrage. So ist es. Der Grundsatz ist, dass Straftaten von Amts wegen verfolgt werden (sog. Offizialsdelikte). Hiervon besehen gesetzlich geregelte Ausnahmefälle (=

Antragsdelikte

). Diese erkennst Du an Formulierungen wie: „...wird nur auf Antrag verfolgt.“ Hierzu kann ich dir den folgenden Aufsatz empfehlen: Mitsch: Straf

antragsdelikt

, JA 2014, 1. Meistens findest Du die Norm zum Antragserfordernis irgendwo in der Nähe des konkreten Delikts. Es bietet sich aber an, zumindest die gängigen

Antragsdelikte

zu kennen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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