Allgemeinbildung Recht

Strafrecht

Mord und Totschlag

Bedingter Tötungsvorsatz bei heftigen Tritten gegen den Kopf – Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit

Bedingter Tötungsvorsatz bei heftigen Tritten gegen den Kopf – Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A und B sind stark alkoholisiert und erregt. Sie streiten mit O. Mit der Innenseite ihrer Schuhe treten A und B beide mehrfach gegen den Kopf des am Boden liegenden O. O überlebt, erleidet aber zahlreiche Schädelfrakturen.

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Einordnung des Falls

Bedingter Tötungsvorsatz bei heftigen Tritten gegen den Kopf – Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A und B haben sich wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB strafbar gemacht.

Genau, so ist das!

Das Landgericht (erste Instanz) hat A und B jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Dieser Schuldspruch hielt der rechtlichen Nachprüfung durch den BGH (zweite Instanz) stand.
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2. Tritte des Täters gegen den Kopf des Opfers lassen automatisch den Schluss auf Tötungsvorsatz (§ 212 Abs. 1 StGB) zu. A und B haben sich auch wegen versuchter Tötung strafbar gemacht.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liege das Vorliegen des Wissens und Wollens eines Totschlags nahe. Trotzdem sei eine Gesamtschau aller Tatumstände des Einzelfalles (insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung und Motivationslage) notwendig. Gerade bei spontanen, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen unter Alkoholisierung wie im vorliegenden Fall könne aus dem Wissen um den Erfolgseintritt nicht stets auf das Vorliegen einer billigenden Inkaufnahme geschlossen werden. Diese sei bei A und B nicht ohne vernünftige Zweifel feststellbar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JURAFU

Jurafuchs

11.5.2020, 21:35:38

Haben sie o nicht versucht zu töten?

MAR

MariaH

11.5.2020, 23:31:34

Das ist hier vermutlich Auslegungssache. Der BGH stellt jedenfalls darauf ab, dass A und B alkoholisiert waren und im Affekt handelten, man also keinen gezielten Tötungs

vorsatz

ausmachen kann.

Der BGBoss

Der BGBoss

12.5.2020, 23:49:43

Ich denke auch, dass der Tötungs

vorsatz

hier entfällt, weil der Beschluss des Tötungs

vorsatz

es aufgrund von Spontanität und verändertem Bewusstseinszustand nicht gefasst werden konnte.

PR

ProAnwalt

1.8.2020, 08:04:47

Gefährliche Körperverletzung Abs 1. Nr.2 „mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Wekzeugs,“ ist ein Schuh wirklich ein gefährliches Werkzeug? Gefährliche Körperverletzung Abs 1. Nr. 4 trifft zu da es zwei Täter waren.

PR

ProAnwalt

1.8.2020, 08:07:30

Ich finde Abs 1. Nr. 2 trifft nicht zu. Aber Abs 1. Nr 4. trifft definitiv zu.

Marilena

Marilena

5.8.2020, 07:53:42

Hallo ProAnwalt, danke für Deinen Kommentar! Ob ein Schuh am Fuß ein gefährliches Werkzeug ist, hängt von den konkreten Umständen ab. Entscheidend sind die (1) Schuh- und Anwendungsart, (2) betroffene Körperteile und (3) seine die Wirkung des bloßen Fußes verstärkende Funktion. Die konkrete Verwendung muss erwarten lassen, dass dadurch erhebliche Verletzungen entstehen. Für den vorliegenden Fall hatte der BGH dies bejaht.

ANY

ANY

4.3.2021, 22:11:32

So wie ich das Urteil verstehe, ist nur ein einziger Tritt mit der Innenseite des Schuhs ausgeführt worden und die anderen Tritte auf andere Weise?

Marilena

Marilena

4.3.2021, 22:41:55

Entnimmst Du das der RdNr. 7: „Der Angeklagte G. trat aus dem Lauf heraus mit der Innenseite seines mit Straßenturnschuhen beschuhten linken Fußes wuchtig gegen den Kopf des Geschädigten. In schneller Abfolge folgten von diesem Angeklagten ausgeführte vier bis fünf weitere Tritte in das Gesicht des am Boden Liegenden. Der Angeklagte D. , der leichte Straßenturnschuhe trug, nahm dies wahr, billigte das Vorgehen seines Freundes G. und trat nunmehr ebenfalls zwei- bis dreimal heftig auf das sich nicht mehr w

ehre

nde Opfer ein. Die Tritte gingen jedenfalls auch gezielt auf den Kopf des Opfers. Sie waren wuchtig und potentiell lebensbedrohlich, ohne dass es allerdings zu einer konkreten Lebensgefahr kam.“?

ANY

ANY

5.3.2021, 00:09:13

Ja.

Avalory

Avalory

13.4.2023, 03:03:08

Wie kommt man hier auf lediglich 2 Jahre auf Bewährung? Zahlreiche Schädelfrakturen…

SE.

se.si.sc

13.4.2023, 09:17:21

1. Jugendstrafe, die nach § 17 II JGG sowieso nur ultima ratio ist und bei der der Erziehungsgedanke wichtiger ist als im Erwachsenenstrafrecht. Die Jugendstrafe ist hier außerdem schon im mittleren Bereich des generellen Strafrahmens, vgl § 18 I 1 JGG. 2. Fakultative

Strafrahmenverschiebung

durch Annahme verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB wegen starker Alkoholisierung. Dazu wurden die Täter wohl vorher vom Opfer durch Zeigen eines Mittelfingers "provoziert", so steht es jedenfalls im Urteil. Ob einen das alles jetzt mit Blick auf die Strafhöhe überzeugt, ist eine andere Frage, aber das waren die wesentlichen Gründe zugunsten der Verurteilten, soweit sie aus dem Urteil des BGH ersichtlich sind. Die Strafhöhe ist jedenfalls gerade noch im bewährungsfähigen Bereich, vgl § 21 II JGG - man wollte wohl hier noch eine "letzte Chance" geben.

Marijke

Marijke

14.10.2023, 13:50:46

Wenn es strafbar nach §

224 StGB

ist wieso wird dann extra noch § 223 erwähnt? Das ist ja nur die einfache Körperverletzung.

Ruhe im Sturm

Ruhe im Sturm

14.10.2023, 14:19:19

Weil §

223 StGB

das Grunddelikt ist und dem §

224 StGB

als Qualifikation immer zugrunde liegt.

LELEE

Leo Lee

22.10.2023, 13:43:43

Hallo Marijke, das liegt - wie AusDemWeg anmerkt - daran, dass §

224 StGB

eine Qualifikation ist (d.h. eine Körperverletzung i.S.d. §

223 StGB

, jedoch mit weiteren TBMen, die die Strafe schärfen. Und da §

224 StGB

immer noch eine „einfache KV“ gem. §

223 StGB

mit beinhaltet, muss auch immer der Grundtatbestand mitzitiert werden. Man kann sich darüber streiten, ob dies denn nötig ist; allerdings hat sich dies in der Juristerei so eingebürgert und wird auch in der Klausur in der Form erwartet :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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