Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Subjektiver Tatbestand
Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit (Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen)
Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit (Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A weiß, dass er HIV-positiv ist. Er schläft mit der B, ohne ihr etwas von seiner Krankheit zu sagen. Dabei geht er davon aus, durch die Benutzung eines Kondoms die Ansteckungsgefahr ausgeschlossen zu haben. Es stellt sich heraus, dass B durch A angesteckt wurde.
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Einordnung des Falls
Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit (Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A hat hinsichtlich der Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) mit Eventualvorsatz gehandelt.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Infizierung mit dem Aids-Virus stellt eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) dar.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
iustus
15.2.2021, 17:01:14
Ist eine HIV-Infektion nicht sogar eine gefährliche KV iSv von §244 I Nr 5 StGB?
Veterator
19.6.2021, 20:12:14
Besser spät als nie, kam mir auch bekannt vor. Die Infektion mit dem HI-Virus stellt eine gefährliche Körperverletzung gem. § 224 I Nr. 1, 5 StGB dar. Der Krankheitserreger wird als Gift i.S.d. § 224 I Nr. 1 StGB behandelt. Bei der Lebensgefahr gem. § 224 I Nr. 5 kommt es zwar auf die Handlung an, die hier nicht
lebensgefährdendist, aber zumal sich aus dem hieraus geschaffenen Erfolg eine Lebensgefahr entwickeln kann, wird die Handlung als sorgfaltswidrig bezüglich des geschützten Rechtsguts Leben und damit als selbst
lebensgefährdendeingestuft. Letzteres haben wir anders gelernt (da sind wir bei der Handlung selbst geblieben), wird aber in einer FU Berlin-Lösung so argumentiert. Da gibt es auch nochmal gute Ausführungen zur objektiven Zurechenbarkeit und eine lange Entwicklung des Streits bei der Abgrenzung von Fahrlässigkeit und dolus eventualis. Link habe ich unten eingefügt. Die Lösung hier ist natürlich trotzdem richtig, weil der § 223 I StGB als Grundtatbestand in jedem Fall erfüllt ist. https://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/strafrecht/emeriti/geppertk/veranstaltungen/0304ss/ag_strafrecht/Fall_8.html
Strand Spaziergang
11.4.2023, 18:46:13
Wäre eine Corona Infektion auch eine gefährliche Körperverletzung?
lennart20
23.4.2023, 09:02:39
Ist der betätigte Vermeidungswille eine Ausprägung der Theorie von der Manifestation des Vermeidewillens?
Lukas_Mengestu
25.4.2023, 12:34:14
Hallo lennart, der betätigte Vermeidungswille wird an dieser Stelle als Indiz dafür herangezogen, dass der Täter hier den Erfolg nicht billigend in Kauf nimmt, sondern bewusst Abwehrmaßnahmen ergreift und dadurch auf ein Ausbleiben des Erfolgs hofft. Aber in der Tat stellt auch die Theorie von der Manifestation des Vermeidewillens zentral hierauf ab (vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, 30. Aufl. 2019, StGB § 15 Rn. 78). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Diaa
26.7.2023, 19:12:01
Hat er jetzt also fahrlässig gehandelt oder wie?
Leo Lee
5.8.2023, 11:13:25
Hallo Diaa, hier könnte man - wie du richtigerweise erwähnt - auch den §
229 StGBanprüfen und sich die Frage stellen, ob der A trotz Nutzung des Kondoms
die im Verkehr erforderliche Sorgfaltaußer Acht gelassen hat und der Erfolg obj. auch vorhersehbar war. Zu beachten ist allerdings bei Aufstellung des Maßstabs, dass man es nicht "übertreibt". Mithin würde im vorliegenden Fall wohl keine Sorgfaltswidrigkeit vorliegen, da der A - obwohl er seine Krankheit verschweigt - alles tut (Kondome gelten als ein sicheres Mittel gegen sexuell übertragbare Krankheiten), um die Infektion zu vermeiden. Eine andere Ansicht scheint mir bei gegebenem Sachverhalt nur schwer vertretbar. I.Ü. kann ich dir zu diesem Thema die Lektüre von Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht-AT, 48. Auflage, Rn. 1119 f. sehr empfehlen :) Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
sar84
18.9.2024, 15:14:30
Hallo, bewusste Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter ernstlich drauf vertraut, dass es zum Erfolg nicht kommen wird. Aber reicht es, nur darauf zu vertrauen oder muss der Täter noch mehr tun? Also, wie wäre es, wenn er hier kein Kondom benutzt, aber darauf vertraut, dass es zu einer Ansteckung nicht kommen wird? Wie ist es bei dem Autobahnbrücken Fall? Ist es auch nur fahrlässig, wenn der Täter drauf vertraut, dass schon niemand verletzt bzw getötet wird?
Lorenz
14.10.2024, 09:26:35
Dann ist die Handlung so gefährlich, dass sein schutzwürdiges Vertrauen so stark reduziert ist bzw. sogar nur noch zufallsabhänig ist, das
Vorsatzanzunehmen ist.