Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Subjektiver Tatbestand

Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit (Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen)

Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit (Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen)

22. November 2024

4,7(29.159 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

A weiß, dass er HIV-positiv ist. Er schläft mit der B, ohne ihr etwas von seiner Krankheit zu sagen. Dabei geht er davon aus, durch die Benutzung eines Kondoms die Ansteckungsgefahr ausgeschlossen zu haben. Es stellt sich heraus, dass B durch A angesteckt wurde.

Diesen Fall lösen 80,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit (Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat hinsichtlich der Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) mit Eventualvorsatz gehandelt.

Nein!

Die hM nimmt die Abgrenzung Vorsatz / Fahrlässigkeit anhand des voluntativen Elements vor: Der Täter hat bedingten Vorsatz, wenn er sich mit dem als möglich erkannten Erfolg abfindet (Ernstnahmetheorie der hL) bzw. den als möglich erkannten Erfolg billigend in Kauf nimmt (Billigungstheorie der Rspr.). Nimmt der Täter ernsthafte Vermeidungsbemühungen bzw. Gegensteuerungsversuche vor, liegt ein sog. betätigter Vermeidungswille vor, der den Vorsatz ausschließt.A ging davon aus, mit der Benutzung des Kondoms (als Vermeidungsstrategie) für B die Ansteckungsgefahr ausgeschlossen zu haben. Damit hielt er schon den Erfolgseintritt (die Ansteckung) nicht für möglich.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Infizierung mit dem Aids-Virus stellt eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) dar.

Genau, so ist das!

Wegen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) macht sich strafbar, wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt. Unter einer Gesundheitsschädigung versteht man das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen, das heißt eines nachteilig von den normalen körperlichen Funktionen abweichenden Zustandes körperlicher oder seelischer Art.Durch die Infizierung mit dem Aids-Virus wird – selbst wenn die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist – eine negative Abweichung vom körperlichen Normalzustand bewirkt.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

IUS

iustus

15.2.2021, 17:01:14

Ist eine HIV-Infektion nicht sogar eine gefährliche KV iSv von §244 I Nr 5 StGB?

Veterator

Veterator

19.6.2021, 20:12:14

Besser spät als nie, kam mir auch bekannt vor. Die Infektion mit dem HI-Virus stellt eine gefährliche Körperverletzung gem. § 224 I Nr. 1, 5 StGB dar. Der Krankheitserreger wird als Gift i.S.d. § 224 I Nr. 1 StGB behandelt. Bei der Lebensgefahr gem. § 224 I Nr. 5 kommt es zwar auf die Handlung an, die hier nicht

lebensgefährdend

ist, aber zumal sich aus dem hieraus geschaffenen Erfolg eine Lebensgefahr entwickeln kann, wird die Handlung als sorgfaltswidrig bezüglich des geschützten Rechtsguts Leben und damit als selbst

lebensgefährdend

eingestuft. Letzteres haben wir anders gelernt (da sind wir bei der Handlung selbst geblieben), wird aber in einer FU Berlin-Lösung so argumentiert. Da gibt es auch nochmal gute Ausführungen zur objektiven Zurechenbarkeit und eine lange Entwicklung des Streits bei der Abgrenzung von Fahrlässigkeit und dolus eventualis. Link habe ich unten eingefügt. Die Lösung hier ist natürlich trotzdem richtig, weil der § 223 I StGB als Grundtatbestand in jedem Fall erfüllt ist. https://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/strafrecht/emeriti/geppertk/veranstaltungen/0304ss/ag_strafrecht/Fall_8.html

SS

Strand Spaziergang

11.4.2023, 18:46:13

Wäre eine Corona Infektion auch eine gefährliche Körperverletzung?

lennart20

lennart20

23.4.2023, 09:02:39

Ist der betätigte Vermeidungswille eine Ausprägung der Theorie von der Manifestation des Vermeidewillens?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.4.2023, 12:34:14

Hallo lennart, der betätigte Vermeidungswille wird an dieser Stelle als Indiz dafür herangezogen, dass der Täter hier den Erfolg nicht billigend in Kauf nimmt, sondern bewusst Abwehrmaßnahmen ergreift und dadurch auf ein Ausbleiben des Erfolgs hofft. Aber in der Tat stellt auch die Theorie von der Manifestation des Vermeidewillens zentral hierauf ab (vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, 30. Aufl. 2019, StGB § 15 Rn. 78). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

26.7.2023, 19:12:01

Hat er jetzt also fahrlässig gehandelt oder wie?

LELEE

Leo Lee

5.8.2023, 11:13:25

Hallo Diaa, hier könnte man - wie du richtigerweise erwähnt - auch den §

229 StGB

anprüfen und sich die Frage stellen, ob der A trotz Nutzung des Kondoms

die im Verkehr erforderliche Sorgfalt

außer Acht gelassen hat und der Erfolg obj. auch vorhersehbar war. Zu beachten ist allerdings bei Aufstellung des Maßstabs, dass man es nicht "übertreibt". Mithin würde im vorliegenden Fall wohl keine Sorgfaltswidrigkeit vorliegen, da der A - obwohl er seine Krankheit verschweigt - alles tut (Kondome gelten als ein sicheres Mittel gegen sexuell übertragbare Krankheiten), um die Infektion zu vermeiden. Eine andere Ansicht scheint mir bei gegebenem Sachverhalt nur schwer vertretbar. I.Ü. kann ich dir zu diesem Thema die Lektüre von Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht-AT, 48. Auflage, Rn. 1119 f. sehr empfehlen :) Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

SAR84

sar84

18.9.2024, 15:14:30

Hallo, bewusste Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter ernstlich drauf vertraut, dass es zum Erfolg nicht kommen wird. Aber reicht es, nur darauf zu vertrauen oder muss der Täter noch mehr tun? Also, wie wäre es, wenn er hier kein Kondom benutzt, aber darauf vertraut, dass es zu einer Ansteckung nicht kommen wird? Wie ist es bei dem Autobahnbrücken Fall? Ist es auch nur fahrlässig, wenn der Täter drauf vertraut, dass schon niemand verletzt bzw getötet wird?

LO

Lorenz

14.10.2024, 09:26:35

Dann ist die Handlung so gefährlich, dass sein schutzwürdiges Vertrauen so stark reduziert ist bzw. sogar nur noch zufallsabhänig ist, das

Vorsatz

anzunehmen ist.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community

Weitere für Dich ausgwählte Fälle

Jurafuchs

Abgrenzung Eventualvorsatz/ bedingte Fahrlässigkeit („Zufahren auf Polizeibeamte in einer Polizeisperre“)

A versucht, sich einer polizeilichen Festnahme zu entziehen, indem er auf eine Polizeisperre zufährt. Polizist P kann noch rechtzeitig zur Seite springen. A war hiervon auch ausgegangen, weil er darauf vertraute, dass Polizisten auf das Beiseite-Springen geschult werden.

Fall lesen

Jurafuchs Illustration zum (Lederriemen-Fall, BGHSt 7, 363): Ein Räuber nimmt seinen Lederriemen, legt ihn um den Hals seines Opfers und zieht ihn zu.

Lederriemen-Fall (BGHSt 7, 363): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

Im Mittelpunkt der Lederriemen-Entscheidung steht die Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz. Der BGH griff hier einerseits die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf, dass es für den Vorsatz neben einem Wissenselement auch noch eines voluntativen Elements in Form der „Billigung“ des Täters bedarf. Gleichzeitig legt er in dieser Entscheidung den Grundstein für seine Rechtsprechung, dass bereits ein „Billigen im Rechtssinne“ genüge. Entgegen dem allgemeinen Wortsinn sei ein „Billigen im Rechtssinne“ - und damit bedingter Vorsatz - bereits anzunehmen, wenn der Täter sich mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Dies gelte selbst dann, wenn ihm der Erfolgseintritt an sich unerwünscht ist. An dieser zentralen Abgrenzungsformel hält der BGH bis heute fest, weswegen sie zum Handwerkszeug eines jeden Examenskandidaten gehören muss.

Fall lesen

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen