Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Subjektiver Tatbestand

Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit (Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen)

Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit (Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen)

5. Juli 2025

10 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

A weiß, dass er HIV-positiv ist. Er schläft mit der B, ohne ihr etwas von seiner Krankheit zu sagen. Dabei geht er davon aus, durch die Benutzung eines Kondoms die Ansteckungsgefahr ausgeschlossen zu haben. Es stellt sich heraus, dass B durch A angesteckt wurde.

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Einordnung des Falls

Abgrenzung Eventualvorsatz / bewusste Fahrlässigkeit (Aids-Infizierung trotz betätigtem Vermeidungswillen)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat hinsichtlich der Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) mit Eventualvorsatz gehandelt.

Nein!

Die hM nimmt die Abgrenzung Vorsatz / Fahrlässigkeit anhand des voluntativen Elements vor: Der Täter hat bedingten Vorsatz, wenn er sich mit dem als möglich erkannten Erfolg abfindet (Ernstnahmetheorie der hL) bzw. den als möglich erkannten Erfolg billigend in Kauf nimmt (Billigungstheorie der Rspr.). Nimmt der Täter ernsthafte Vermeidungsbemühungen bzw. Gegensteuerungsversuche vor, liegt ein sog. betätigter Vermeidungswille vor, der den Vorsatz ausschließt.A ging davon aus, mit der Benutzung des Kondoms (als Vermeidungsstrategie) für B die Ansteckungsgefahr ausgeschlossen zu haben. Damit hielt er schon den Erfolgseintritt (die Ansteckung) nicht für möglich.
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2. Die Infizierung mit dem Aids-Virus stellt eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) dar.

Genau, so ist das!

Wegen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) macht sich strafbar, wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt. Unter einer Gesundheitsschädigung versteht man das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen, das heißt eines nachteilig von den normalen körperlichen Funktionen abweichenden Zustandes körperlicher oder seelischer Art.Durch die Infizierung mit dem Aids-Virus wird – selbst wenn die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist – eine negative Abweichung vom körperlichen Normalzustand bewirkt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

IUS

iustus

15.2.2021, 17:01:14

Ist eine HIV-Infektion nicht sogar eine gefährliche KV iSv von §244 I Nr 5 StGB?

Veterator

Veterator

19.6.2021, 20:12:14

Besser spät als nie, kam mir auch bekannt vor. Die Infektion mit dem HI-Virus stellt eine gefährliche Körperverletzung gem. § 224 I Nr. 1, 5 StGB dar. Der Krankheitserreger wird als Gift i.S.d. § 224 I Nr. 1 StGB behandelt. Bei der Lebens

gefahr

gem. § 224 I Nr. 5 kommt es zwar auf die Handlung an, die hier nicht lebensgefährdend ist, aber zumal sich aus dem hieraus geschaffenen Erfolg eine Lebens

gefahr

entwickeln kann, wird die Handlung als sorgfaltswidrig bezüglich des geschützten Rechtsguts Leben und damit als selbst lebensgefährdend eingestuft. Letzteres haben wir anders gelernt (da sind wir bei der Handlung selbst geblieben), wird aber in einer FU Berlin-Lösung so argumentiert. Da gibt es auch nochmal gute Ausführungen zur objektiven Zurechenbarkeit und eine lange Entwicklung des Streits bei der Abgrenzung von Fahrlässigkeit und dolus eventualis. Link habe ich unten eingefügt. Die Lösung hier ist natürlich trotzdem richtig, weil der § 223 I StGB als Grundtatbestand in jedem Fall erfüllt ist. https://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/strafrecht/emeriti/geppertk/veranstaltungen/0304ss/ag_strafrecht/Fall_8.html

SS

Strand Spaziergang

11.4.2023, 18:46:13

Wäre eine Corona Infektion auch eine gefährliche Körperverletzung?

Vanessa

Vanessa

7.2.2025, 16:12:17

Theoretisch ja,soweit nachgewiesen werden kann, dass der Täter jemanden beispielsweise angehustet hat, um diese Person vorsätzlich anzustecken. Das Virus stellt einen gesundheitsschädlichen Stoff i. S. d. § 224 dar. Im Fall gäbe es da aber Hinweise für, ob das Handeln vorsätzlich erfolgte oder nicht.

lennart20

lennart20

23.4.2023, 09:02:39

Ist der betätigte Vermeidungswille eine Ausprägung der Theorie von der Manifestation des Vermeidewillens?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.4.2023, 12:34:14

Hallo lennart, der betätigte Vermeidungswille wird an dieser Stelle als Indiz dafür herangezogen, dass der Täter hier den Erfolg nicht billigend in Kauf nimmt, sondern bewusst Abwehrmaßnahmen ergreift und dadurch auf ein Ausbleiben des Erfolgs hofft. Aber in der Tat stellt auch die Theorie von der Manifestation des Vermeidewillens zentral hierauf ab (vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, 30. Aufl. 2019, StGB § 15 Rn. 78). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

26.7.2023, 19:12:01

Hat er jetzt also fahrlässig gehandelt oder wie?

LELEE

Leo Lee

5.8.2023, 11:13:25

Hallo Diaa, hier könnte man - wie du richtigerweise erwähnt - auch den

§ 229 StGB

anprüfen und sich die Frage stellen, ob der A trotz Nutzung des Kondoms

die im Verkehr erforderliche Sorgfalt

außer Acht gelassen hat und der Erfolg obj. auch vorhersehbar war. Zu beachten ist allerdings bei Aufstellung des Maßstabs, dass man es nicht "übertreibt". Mithin würde im vorliegenden Fall wohl keine Sorgfaltswidrigkeit vorliegen, da der A - obwohl er seine Krankheit verschweigt - alles tut (Kondome gelten als ein sicheres Mittel gegen sexuell übertragbare Krankheiten), um die Infektion zu vermeiden. Eine andere Ansicht scheint mir bei gegebenem Sachverhalt nur schwer vertretbar. I.Ü. kann ich dir zu diesem Thema die Lektüre von Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht-AT, 48. Auflage, Rn. 1119 f. sehr empfehlen :) Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

SAR84

sar84

18.9.2024, 15:14:30

Hallo,

bewusste Fahrlässigkeit

liegt vor, wenn der Täter ernstlich drauf vertraut, dass es zum Erfolg nicht kommen wird. Aber reicht es, nur darauf zu vertrauen oder muss der Täter noch mehr tun? Also, wie wäre es, wenn er hier kein Kondom benutzt, aber darauf vertraut, dass es zu einer Ansteckung nicht kommen wird? Wie ist es bei dem Autobahnbrücken Fall? Ist es auch nur fahrlässig, wenn der Täter drauf vertraut, dass schon niemand verletzt bzw getötet wird?

LO

Lorenz

14.10.2024, 09:26:35

Dann ist die Handlung so gefährlich, dass sein schutzwürdiges Vertrauen so stark reduziert ist bzw. sogar nur noch zufallsabhänig ist, das Vorsatz anzunehmen ist.


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