Öffentliches Recht
Grundrechte
Unionsgrundrechte (EU-Grundrechte-Charta)
Abwandlung Anwendungsbereich Mitgliedstaaten => offensichtlich anwendbar
Abwandlung Anwendungsbereich Mitgliedstaaten => offensichtlich anwendbar
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die EU-Verordnung zum digitalen Lernen verpflichtet die Mitgliedstaaten, allen Studierenden digitale Lerntools zur Verfügung zu stellen. Bayern schafft daraufhin für deutsche Jurastudierende das Lerntool Jurafuchs an. Die irische Studentin S, im Auslandssemester an der LMU, sieht sich diskriminiert.
Diesen Fall lösen 67,6 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Abwandlung Anwendungsbereich Mitgliedstaaten => offensichtlich anwendbar
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Ungleichbehandlung der S gegenüber deutschen Studierenden könnte gegen Regelungen der GRCh zur Gleichheit (Art. 21f. GRCh) verstoßen. Ist die GRCh auf Handlungen der Mitgliedstaaten immer anwendbar?
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Mitgliedstaaten handeln in jedem Fall dann zur „Durchführung von Unionsrecht“ (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh), wenn sie Unionsrecht umsetzen und anwenden, das ihnen keine Umsetzungsspielräume belässt.
Genau, so ist das!
3. Deutschland verbleibt vorliegend hinsichtlich des „Ob“ des Anschaffens digitaler Lerntools ein Umsetzungsspielraum. Bayern handelt deshalb außerhalb der „Durchführung von Unionsrecht“ (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh).
Nein, das trifft nicht zu!
4. Die Grundrechte des GG bleiben im vollständig unionsrechtlich determinierten Bereich neben der GRCh anwendbar und sind Prüfungsmaßstab einer verfassungsrechtlichen Kontrolle durch das BVerfG.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
🦊²
27.5.2022, 19:22:29
Hi, Hier und im letzten Fall wurden quasi die zwei wichtigen unstrittigen Fälle der Durchführung von Unionsrecht abgehandelt. Ich frag mich nun an dieser Stelle, in welchen Fällen ist es denn umstritten? PS: Hier fehlt wohl auch etwas beim Klausurhinweis. Der letzte Satz endet abrupt. Achja, wieder Mal sehr gelungener Fall, insbesondere zum schärfen des Systemverständnis 👍🥳 LG - 🦊 ²
Nora Mommsen
21.6.2022, 15:45:37
Hallo, umstritten ist an diesem Fall, der Begriff des "unionsrechtlich determinierten" Rechts. Während der EuGH dies bereits annimmt, wenn ein „hinreichender Zusammenhang von einem gewissen Grad“ besteht, muss für das BVerfG das nationale Recht vollständig determiniert sein durch das europäische Recht. Dies ist besonders im Fall der Vollharmonisierung gegeben, wenn dem Gesetzgeber also kein Umsetzungsspielraum mehr bleibt (Jarass EU-Grundrechte-Charta Art. 51 Rn. 23). Den Klausurhinweis haben wir korrigiert. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Philippe
4.8.2022, 17:30:05
Hat das BVerfG sich in Recht auf Vergessen werden I nicht der Position des EuGH angenähert, indem es davon abgerückt ist, die Anwendungsbereiche der verschiedenen Grundrechte scharf voneinander abzugrenzen und insbesondere bei bestehenden Umsetzungsspielräumen die Kontrolle nur "primär" am Maßstab des GG ausübt, die GrCh in dieser Situation aber für prinzipiell anwendbar hält (womit auch die Frage der "Durchführung" positiv zu beantworten ist)? Da ja auch der EuGH letztlich einen gleitenden Maßstab anwendet, besteht in diesem Sinne wohl kein richtiger Streit (mehr?).
TubaTheo
25.1.2024, 18:12:59
Hallöchen zusammen, gibt es denn Fälle, in denen ein Eingriff in die Grundrechte der GRCh gerechtfertigt ist, aber der gleichzeitige Eingriff in ein Grundrecht des GG widerrechtlich ist? Oder anders gefragt: kann ein Grundrecht des GG verletzt sein, während die Grundrechte der GRCh nicht verletzt sind? Und wenn ja, bleiben die Grundrechte des GG dann trotzdem hinter den Grundrechten der GRCh zurück? Danke schonmal für die Antwort(en).
Nora Mommsen
28.1.2024, 16:44:09
Hallo TubaTheo, danke dir für die Frage! Grundsätzlich gilt auch hier ein Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Es ist also entscheidend, ob die Grundrechte den gleichen Schutzbereich haben. Gelangen innerhalb mitgliedstaatlicher Gestaltungsspielräume beide Grundrechtskataloge parallel zur Anwendung (wegen überschneidender Schutzbereiche), richtet sich der Grundrechtsschutz grundsätzlich nach dem jeweils höheren Schutzniveau (vgl. Art. 53 GRCH.) Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt darüber hinaus: Sieht das umzusetzende und zu vollziehende Unionsrecht keine Gestaltungsspielräume vor, ist kein Raum für die Grundrechte des GG; sie treten zurück und machen den Grundrechten der Charta Platz. Den Grundrechten des GG kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG dann eine Auffangfunktion zu. Wenn also die Grundrechte der Charta versagen oder einen im Vergleich verkürzten Schutz gewähren kommen sie dennoch zum tragen. Informativ dazu sind die Entscheidungen des BVerfG zum Recht auf Vergessen. Eine gute Zusammenfassung findest du zudem hier: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-recht-auf-vergessen-europa-eugh-grundrechte-teil-1/. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team