Gesamtzusage - Rosenmontag

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Karnevalistin K ist Handwerksmeisterin in Stuttgart. Um ihre heimischen Traditionen auch im Schwabenland zu verbreiten, veröffentlicht sie im Intranet folgende Nachricht: „Zum Besuch des Rosenmontagsumzuges wird die ganze Belegschaft ab 11:00 Uhr bezahlt freigestellt.“

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Einordnung des Falls

Gesamtzusage - Rosenmontag

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei der veröffentlichten Nachricht handelt es sich um eine „Gesamtzusage“.

Ja!

Eine Gesamtzusage ist die (1) an alle Arbeitnehmerinnen (oder einen nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen) (2) in allgemeiner Form gerichtete ausdrückliche Erklärung des Arbeitgebers, (3) zusätzliche Leistungen erbringen zu wollen.K hat allen Arbeitnehmerinnen über das Intranet bezahlte Freistellung gewährt und damit eine Leistung, die über die Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag hinausgeht.Nach herrschender Auffassung handelt es sich bei der Gesamtzusage um ein Vertragsangebot an jede einzelne Arbeitnehmerin.
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2. Die Gesamtzusage wird nur gegenüber den Arbeitnehmerinnen wirksam, die die Nachricht im Intranet lesen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine empfangsbedürftige Willenserklärung bedarf für ihre Wirksamkeit des Zugangs beim Erklärungsempfänger (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Bei verkörperten Willenserklärungen liegt Zugang vor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Entsprechend muss der einzelne Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BAG zwar typischerweise in der Lage sein, von dem Angebot Kenntnis zu nehmen. Auf die konkrete Kenntnis des einzelnen Arbeitnehmers komme es für das Wirksamwerden der Gesamtzusage aber nicht an.K hat die Nachricht für alle einsehbar im Intranet veröffentlicht. Ungeachtet der Frage, wer die Nachricht tatsächlich liest, wird das Angebot damit gegenüber allen Mitarbeitern wirksam.

3. Müssen die Arbeitnehmerinnen gegenüber K die Annahme der Gesamtzusage erklären?

Nein, das trifft nicht zu!

Da die Gesamtzusage ein Angebot darstellt, bedarf es nach den allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regeln grundsätzlich der Annahme des Angebots. Allerdings muss die Annahme dem Antragenden gegenüber nicht erklärt werden, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat (§ 151 S.1 BGB). Bei einer Gesamtzusage zugunsten der Mitarbeitenden bedarf es nach der Verkehrssitte keines Zugangs der Annahmeerklärung beim Arbeitgeber. Einer ausdrücklichen oder konkludenten Annahmeerklärung gegenüber K bedarf es seitens der Mitarbeiter somit nicht.Bei Erklärungen zulasten der Arbeitnehmer kann nicht auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet werden!

4. Mit Annahme der Gesamtzusage wird das in der Zusage liegende Angebot ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrags.

Ja!

Rechtsfolge der Gesamtzusage ist, dass der Inhalt des Vertrages zugunsten der Arbeitnehmerinnen ergänzt wird.Durch die Gesamtzusage haben die Arbeitnehmerinnen nun einen vertraglichen Anspruch darauf, am Rosenmontag freigestellt zu werden.Ist die Gesamtzusage erst einmal begründet, so ist der Arbeitgeber daran gebunden. Eine einseitige Rücknahme/Widerruf ist damit im Grundsatz nicht möglich.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FUCH

Fuchsfrauchen

15.4.2022, 17:33:48

Gilt diese Gesamtzsage dann automatisch für alle kommenden Jahre (und später dazutretende Arbeitnehmer), wenn nicht näher spezifiziert?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.4.2022, 17:03:22

Hallo Fuchsfrauchen, auch bei der

Gesamtzusage

handelt es sich um eine Willenserklärung, die nach dem

objektiven Empfängerhorizont

auszulegen ist. In dem Aushang wird man also zunächst einmal eine Freistellung im Hinblick auf den bevorstehenden Rosenmontag sehen können. Sollte K diese Freistellung aber in den folgenden beiden Jahren erneut vorbehaltlos gewähren, so kann hierdurch eine betriebliche Übung entstehen, die dann auch für die kommenden Jahre gilt und auch später Eintretende grundsätzlich erfasst. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

STE

StellaChiara

2.9.2024, 11:39:52

bedeutet das, dass durch eine dreimalige vorbehaltlose

Gesamtzusage

eine betriebliche Übung entsteht und man die

Gesamtzusage

auch unter einen freiwilligkeitsvorbehalt stellen kann? Ist dann nicht ein aushang am schwarzen brett, wie in den lektionen hier, mit einem freiwilligkeitsvorbehalt eher eine

gesamtzusage

anstatt einer betrieblichen übung ?

BASA

Barbara Salesch

21.12.2023, 23:06:40

Wenn es für das Wirksamwerden der Willenserklärung des Arbeitgebers wie üblich beim Zugang nur auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme ankommt, wie lässt sich dann aber eine Annahme dogmatisch begründen? Zwar verzichtet der Arbeitgeber iSd § 151 S.1 auf die Erklärung der Annahme, aber in irgendeiner „intrinsischen“ Form muss der Arbeitnehmer das Angebot ja trotzdem annehmen – kann er aber ja nicht, wenn er keine Kenntnis von dem Angebot hat?

Dogu

Dogu

1.2.2024, 12:45:54

Das habe ich mich auch gefragt. 151 macht ja nur den Zugang, nicht aber die Abgabe der WE entbehrlich. Es ist aber wohl umstritten, ob die

Gesamtzusage

überhaupt unter 151 fällt oder dogmatisch nicht auch anders begründet werden kann. Es ist aber allgemein anerkannt, dass sie existiert und ihre Voraussetzungen sind unstrittig.

LS2024

LS2024

20.6.2024, 12:42:51

Eine Begründung warum hier von den allgemeinen Regelungen abgewichen wird, gibt der BAG nicht (BAG AP BGB § 157 Nr. 36).

FW

FW

18.10.2024, 15:38:25

Wir hatten das auch so im Rep gelernt, dass zwingend eine Annahme in Form einer gedanklichen Zustimmung vorliegen muss, jedoch die Annahmerklärung nach § 151 1 entbehrlich ist. Ich denke, dass BAG hat hier einfach praxisnah gedacht. Die „Annahme“ wird daher gesetzlich fingiert. Denn welcher Arbeitnehmer würde einer Lohnerhöhung oder einem ähnlichen Vorteil widersprechen. Ich würde das in einer Klausur mit den Grundsätzen der mutmaßlichen Einwilligung/ des mutmaßlichen Willens (vgl. § 683 BGB) begründen.


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