Gegenwärtigkeit eines Angriffs nach § 32 Abs. 2 StGB (unmittelbar bevorstehend)


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Auf einer Party behauptet A, dass B sein Handy gestohlen habe. B wendet sich genervt ab. Daraufhin packt A den B an der Schulter und kündigt an, ihn zu durchsuchen. Zur Verteidigung sticht B den A mit einem Küchenmesser nieder.

Einordnung des Falls

Gegenwärtigkeit eines Angriffs nach § 32 Abs. 2 StGB (unmittelbar bevorstehend)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB erfüllt.

Ja!

Eine körperliche Misshandlung (§ 223 Abs. 1 StGB) ist jede üble, unangemessene Behandlung, durch die die körperliche Unversehrtheit oder das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird.Das Stechen mit dem Messer beeinträchtigt die körperliche Unversehrtheit in unangemessener Art und Weise. Das Küchenmesser ist ein gefährliches Werkzeug, also ein Gegenstand der nach seiner Beschaffenheit und der Art und Weise der konkreten Verwendung erhebliche Verletzungen hervorrufen kann.

2. Eine Durchsuchung des B durch den A wäre ein "Angriff" (§ 32 Abs. 2 StGB).

Genau, so ist das!

Ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen. Darunter fallen strafrechtlich geschützte Rechtsgüter, sowie sonstige rechtlich geschützte Interessen. Eine körperliche Durchsuchung stellt eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des A (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) dar, genauer: in die Intimsphäre.

3. Der Angriff des A ist "gegenwärtig" (§ 32 Abs. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

Ein Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, bereits stattfindet oder noch fortdauert. Unmittelbar bevorstehend ist dabei ein Verhalten, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann.A möchte B umgehend körperlich durchsuchen. Damit wäre eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) des B, verbunden. Dieser Angriff steht hier unmittelbar bevor und ist damit gegenwärtig. Zu erörtern wäre im Weiteren, ob die Handlung erforderlich und geboten war. Zu einer Prüfung bedürfte es dann allerdings noch konkreterer Feststellungen zum Kampfgeschehen und eventuellen Alternativen des A.

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JEHH

Jenny Uni HH

23.4.2020, 20:31:58

Insgesant ist das Konzept sehr schwer verdaulich. Diese Zerlegung ohne die Möglichkeit weiter zu prüfen verwirrt und hindert am erinnern und lernen der typischen Fälle

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

2.5.2020, 09:38:17

Hi Jenny, Danke für Dein Feedback! Wir haben uns das überlegt und intern diskutiert. Wir werden hier bei den Rechtfertigungsgründen von unserem Konzept der extremen Atomisierung (Zerlegung größerer Fälle in verdauliche kleine Aspekte) abweichen und die Fälle zu Ende prüfen. Dein Argument überzeugt uns - hier gibt es tatsächlich einige „typische“ Fälle, die man erwartet und auch bekommen soll. Es wird noch ein wenig dauern, aber es wird kommen. Danke nochmal für Deinen Input dazu! - Christian, für das Jurafuchs-Team

JO

Jose

10.8.2021, 19:50:01

Ich finde das eigentlich gut so, weil es dazu anhält, an jedem einzelnen Prüfungspunkt inne zu halten und sich genau zu überlegen, ob das gefragte Tatbestandsmerkmal erfüllt ist.

Pilea

Pilea

10.2.2023, 08:00:17

Wie würde man damit umgehen, dass A dachte, er dürfte B durchsuchen? Ist das ein Irrtum? Vllt könnte man eine Rubrik "Weitere, hier nicht abgefragte Probleme" erstellen, damit man selbst weiterrecherchieren kann, wenn man den Fall zuende denken möchte.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.2.2023, 16:05:05

Hallo Pilea, super Nachfrage! Eine Notwehrlage setzt nicht nur einen gegenwärtigen, sondern auch einen "rechtswidrigen" Angriff voraus (§ 32 Abs. 1 StGB). Wenn B tatsächlich A das Handy weggenommen hätte, so hätte B ein Recht gehabt, sich das Handy von A wiederzuholen (§ 32 StGB, § 859 Abs. 1, 2 BGB). Es würde dann bereits an einem "rechtswidrigen" Angriff durch A fehlen, mithin also an einer Notwehrlage des B. Da sich A allerdings die rechtfertigenden Umstände nur vorstellt, unterliegt er einem Erlaubnistatbestandsirrtum (kurz ETBI). Folgt man der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie, so bleibt hierdurch die Rechtswidrigkeit seines Handelns unberührt (mehr dazu in unserem Kapitel zum ETBI). Die Bestrafung aus der Vorsatztat scheitert lediglich auf Ebene der Schuld, da es an der "Vorsatzschuld" fehlt. Damit darf der Angegriffene (hier also B) sich auch gegenüber demjenigen auf Notwehr berufen, der einem ETBI unterliegt. Sofern die Verteidigungshandlung hier also erforderlich und geboten war (hierzu bedürfte es noch mehr Sachverhaltsangaben), handelte B gerechtfertigt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Juraluchs

Juraluchs

31.3.2023, 17:35:16

Hey, ich finde "Eingriff" terminologisch und generell die Bezugnahme auf Grundrechtspositionen im Verhältnis Bürger-Bürger nicht so stimmig. LG

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.4.2023, 13:51:49

Hallo Juraluchs, vielen Dank für Deinen Hinweis. In der Tat sind Grundrechtspositionen in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat, sodass eine generelle unmittelbare Wirkung im Verhältnis Bürger-Bürger ausgeschlossen ist. Im Hinblick auf das APR ist insoweit allerdings anerkannt, dass es sich hierbei auch im Zivilrechtsverkehr ("Sonstiges Recht" iSv § 823 Abs. 1 BGB) und im Strafrecht um eine geschützte Rechtsposition handelt. Wir haben Eingriff hier dennoch zur besseren Unterscheidung durch "Beeinträchtigung" ersetzt :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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