Ungeborenes Kind erleidet einen Gehirnschaden bei einem Autounfall der Mutter


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

F ist im sechsten Monat schwanger. Bei einer Autofahrt rammt B ihr Fahrzeug. F bricht sich dabei eine Rippe. Ihre Leibesfrucht erleidet einen Gehirnschaden. Drei Monate später bringt F die T zur Welt. T leidet aufgrund des Gehirnschadens an spastischen Lähmungen.

Einordnung des Falls

Ungeborenes Kind erleidet einen Gehirnschaden bei einem Autounfall der Mutter

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat das Rechtsgut Körper/Gesundheit der F verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB), indem er den Unfall verursacht hat.

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Ja!

Die Rechtsgüter Körper und Gesundheit gehen ineinander über. Eine Abgrenzung ist aufgrund der identischen Rechtsfolgen entbehrlich. Die Verletzung des Körpers ist jeder Eingriff in die körperliche Unversehrtheit oder Befindlichkeit, der einen von den normalen körperlichen Funktionen nicht nur unerheblich abweichenden Zustand hervorruft. Eine Gesundheitsschädigung liegt vor bei einer Störung der inneren Lebensvorgänge. Die Verletzung kann physisch erfolgen (z.B. Schlagen oder Vergiften) oder (unter weiteren Voraussetzungen) psychisch. Durch den Unfall hat F eine gebrochene Rippe erlitten, d.h. einen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit und ihre inneren Lebensvorgänge.

2. B hat das Rechtsgut Körper/Gesundheit der T verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB), indem er den Unfall verursacht hat, obwohl T zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geboren war.

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Genau, so ist das!

Nach § 1 BGB beginnt die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit erst mit der Vollendung der Geburt. Die Leibesfrucht ist nach dieser Definition nicht rechtsfähig. Sie wird jedoch als "anderer" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB gegen vorgeburtliche Schädigungen geschützt. Gesundheitsverletzungen kann auch erleiden, wer zur Zeit der Verletzungshandlung noch nicht geboren oder noch nicht einmal gezeugt war.

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ZA

Zavviny

19.9.2020, 15:41:58

Die Erwägungen bei der Beantwortung der zweiten Frage sind sehr gut beschrieben, behandeln jedoch eigtl. Erwägungen zur Verletzung des Rechtsguts Leben, welches der ersten Frage zuzuordnen wäre. Im Rahmen der zweiten Frage sollte daher mehr auf die Subsumtion des Rechtsguts Körper/Gesundheit eingegangen werden.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

21.9.2020, 10:45:14

Hallo Zavviny, danke für deine Frage, wir haben in der zweiten Frage zunächst Ausführungen zur Rechtsfähigkeit der T gemacht, da diese gemäß § 1 BGB eigentlich erst ab der Geburt beginnt. Jedoch wird der Fötus auch gegen Körper- und Gesundheitsschäden über § 823 Abs. 1 BGB geschützt, bevor er geboren ist. Dies sind hier wichtige Ausführungen, da die T sonst keinen Anspruch hätte. Ansonsten haben wir keine Ausführungen zu Verletzungen des Rechtsguts "Leben" gemacht, sondern unter Frage 1 Ausführungen zur Verletzung von Körper/Gesundheit, wie du es vorgeschlagen hast. Bitte lese doch noch einmal aufmerksam beide Antworten.

HG

HGWrepresent

21.11.2023, 18:42:12

Die Antwort ist falsch. Die T ist eben keine „Andere“, weil sie nicht rechtsfähig ist. Die Rechtsgutsverletzung tritt erst mit der Geburt ein. Dass die Verursachung früher war, hat aber keinen Einfluss auf die Haftbarkeit des F. Das steht auch so in dem von euch zitierten Urteil. Bitte ändert das.

LL

Leo Lee

25.11.2023, 13:00:02

Hallo HGWrepresent, beachte, dass – auch im Urteil – nicht gefordert wird, dass eine „andere“ rechtsfähig sein muss (In Rn. 28 f. stimmt der BGH dem Berufungsgericht zu, dass trotz der grds. fehlenden Rechtsfähigkeit das ungeborene Kind noch als „anderer“ anzusehen ist. Auch wird erwähnt, dass die Tatsache, dass das Kind noch nicht geboren war, keinen Einfluss auf die Haftbarkeit des Schädigers hat), https://opinioiuris.de/entscheidung/1608 :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

HG

HGWrepresent

28.11.2023, 19:46:32

In Rn. 28 steht erstmal nur die Zusammenfassung des Urteils des Berufungsgerichts. Die Ausführungen des BGH stehen dort noch gar nicht. Ausschlaggebend ist das Urteil des BGH in Rn. 32: „Auch steht außer Frage, daß der Ersatzanspruch, gleich wie man ihn begrifflich ableitet, erst mit Vollendung der Geburt entsteht. […] Verletzungen der Leibesfrucht werden daher jedenfalls mit Vollendung der Geburt zu einer Verletzung der Gesundheit des Menschen, für die der Schädiger gemäß § 823 BGB Ersatz leisten muß.“ Da die Verletzung erst im Zeitpunkt der Geburt eintritt, ist die Verletzte in diesem Moment eine „andere“ iSd 823 BGB, weil sie mit der Geburt rechtsfähig geworden ist. Bitte ändert die Antwort Beste Grüße aus Greifswald


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