Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Subjektiver Tatbestand

Strafrecht AT | Vorsatz | Das Wissen um die Tatbestandsverwirklichung, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB (Vermeintliches Wildschwein)

Strafrecht AT | Vorsatz | Das Wissen um die Tatbestandsverwirklichung, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB (Vermeintliches Wildschwein)

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S, der nicht gut sehen kann, geht auf die Jagd. Als es im Gebüsch raschelt und sich etwas Schwarzes bewegt, nimmt er an, ein Wildschwein vor sich zu haben und drückt ab. In Wirklichkeit handelt es sich aber um seinen Jägerkollegen J, der tödlich getroffen zusammenbricht.

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hat J vorsätzlich getötet (§ 212 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Täter hat Vorsatz, wenn er mit dem Willen zur Verwirklichung des Tatbestands (voluntatives Element) in Kenntnis aller objektiven Tatumstände (kognitives Element) handelt. Nicht vorsätzlich handelt, wer „bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört“ (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Kenntnis der konkreten Tatumstände verlangt Wissen, wobei auch ein Für-möglich-Halten genügt.Indem S sich vorstellte, auf ein Wildschwein zu schießen, hatte er eine Fehlvorstellung. Er kannte den Umstand nicht, dass er auf einen Menschen schießt und hielt dies auch nicht für möglich. S unterlag einem Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LAW

Lawlegend

7.1.2020, 21:04:41

Moin, ich denke, dass der Sachverhalt in dieser Form nicht auf einen bedingten

Vorsatz

schließen lässt. Denn S „der nicht gut sehen kann“ weiß nicht sicher ob er ein Wildschwein vor der Flinte hat, er „nimmt es nur an“. Er hält es somit auch möglich, dass es sich um einen Menschen handelt, nimmt das Risko des Tod eines Menschen aber bewusst in Kauf. Er handelte m.E. bedingt vorsätzlich.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

14.1.2020, 15:14:03

Hi Lawlegend, sind nicht sicher, wie wir Deinen Kommentar verstehen sollen: Im ersten Absatz schreibst Du, dass der Sachverhalt NICHT auf einen bedingten

Vorsatz

bzgl. der Tötung eines Menschen schließen lasse. Dem stimmen wir zu. Im zweiten Absatz schreibst Du das Gegenteil und begründest es. Dem stimmen wir nicht zu. S nimmt an, dass er ein Wildschwein vor sich hat. Die Sachverhaltsangabe sollte man nicht uminterpretieren (etwa in ein: S hält es für möglich ein Wildschwein vor sich zu haben, oder einen Menschen oder ganz was Anderes). Da er das Objekt für ein Wildschwein hält, hat er unseres Erachtens auch nur einen

Vorsatz

bzgl. der Tötung des Wildschweins gefasst.

FUCH

fuchsig

20.2.2024, 17:11:57

Kann man auch einen

error in persona vel obiecto

annehmen und hier, da Ungleichwertigkeit (Vorstellung, also

Vorsatz

auf Sache / tatsächlich aber Mensch), eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung bejahen? Oder ist die Figur des

error in persona vel obiecto

nur anwendbar, wenn das ursprünglich vorgestellte strafbar ist und dies ist hier nicht der Fall beim Jäger, der aufs Wildschwein schießen möchte? Ich erinnere mich vage an einen Fall, wo der Täter auf eine Schaufensterpuppe zu schießen denkt, es aber ein Mensch ist. Dort ist er dann wegen einer versuchten Sachbeschädigung sowie wegen fahrlässiger Tötung strafbar, und man nimmt einen

error in persona vel obiecto

an.

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

27.9.2024, 19:38:05

Nein.

Error in persona

ist ein beachtlicher Irrtum, d.h. der

Vorsatz

ist gegeben. Beim Tatbestandsirrtum hingegen entfällt der

Vorsatz

. Der Unterschied zwischen den beiden Irrtümern besteht darin, dass der Täter beim Tatbestandsirrtum (§ 16 I 1 StGB) nicht weiß, was er tut. Z.B. will T ein Wildschwein töten, das Ziel entpuppt sich als Mensch, den er tötet. Der Täter wollte aber keinen Menschen töten. =

Vorsatz

(-) Beim

error in persona

vel in obiecto weiß der Täter, was er tut, er irrt sich nur über die Identität des Objekts. Z.B. will der Täter seine Ex-Freundin töten, die anvisierte Person entpuppt sich jedoch als seine Mutter. Er war also nicht im Irrtum über einen Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört (§ 16 I 1 StGB), sondern wusste, dass er einen Menschen tötet. Er irrte sich nur bzgl. der Identität. =

Vorsatz

(+)

QUIG

QuiGonTim

22.10.2024, 05:26:02

Error in persona

viel objecto ist der Oberbegriff. Dahinter verbirgt sich die Situation, dass der Täter über die Identität des anvisierten

Tatobjekt

s irrt. Umfasst sind sind sowohl die Fälle der Gleichwertigkeit des Rechtsguts (Mutter statt Tochter) als auch die Fälle der Ungleichwertigkeit (Jäger statt Wildschwein). Bei der Gleichwertigkeit ist der

Vorsatz

zu bejahen.In den Fällen der Ungleichwertigkeit ist er (jedenfalls für das vollendete Delikt) zu verneinen.


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