Strafrecht AT | Vorsatz | Das Wissen um die Tatbestandsverwirklichung, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB (Vermeintliches Wildschwein)


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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S, der nicht gut sehen kann, geht auf die Jagd. Als es im Gebüsch raschelt und sich etwas Schwarzes bewegt, nimmt er an, ein Wildschwein vor sich zu haben und drückt ab. In Wirklichkeit handelt es sich aber um seinen Jägerkollegen J, der tödlich getroffen zusammenbricht.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hat J vorsätzlich getötet (§ 212 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Täter hat Vorsatz, wenn er mit dem Willen zur Verwirklichung des Tatbestands (voluntatives Element) in Kenntnis aller objektiven Tatumstände (kognitives Element) handelt. Nicht vorsätzlich handelt, wer „bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört“ (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Kenntnis der konkreten Tatumstände verlangt Wissen, wobei auch ein Für-möglich-Halten genügt.Indem S sich vorstellte, auf ein Wildschwein zu schießen, hatte er eine Fehlvorstellung. Er kannte den Umstand nicht, dass er auf einen Menschen schießt und hielt dies auch nicht für möglich. S unterlag einem Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB).

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LAW

Lawlegend

7.1.2020, 21:04:41

Moin, ich denke, dass der Sachverhalt in dieser Form nicht auf einen bedingten Vorsatz schließen lässt. Denn S „der nicht gut sehen kann“ weiß nicht sicher ob er ein Wildschwein vor der Flinte hat, er „nimmt es nur an“. Er hält es somit auch möglich, dass es sich um einen Menschen handelt, nimmt das Risko des Tod eines Menschen aber bewusst in Kauf. Er handelte m.E. bedingt vorsätzlich.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

14.1.2020, 15:14:03

Hi Lawlegend, sind nicht sicher, wie wir Deinen Kommentar verstehen sollen: Im ersten Absatz schreibst Du, dass der Sachverhalt NICHT auf einen bedingten Vorsatz bzgl. der Tötung eines Menschen schließen lasse. Dem stimmen wir zu. Im zweiten Absatz schreibst Du das Gegenteil und begründest es. Dem stimmen wir nicht zu. S nimmt an, dass er ein Wildschwein vor sich hat. Die Sachverhaltsangabe sollte man nicht uminterpretieren (etwa in ein: S hält es für möglich ein Wildschwein vor sich zu haben, oder einen Menschen oder ganz was Anderes). Da er das Objekt für ein Wildschwein hält, hat er unseres Erachtens auch nur einen Vorsatz bzgl. der Tötung des Wildschweins gefasst.

FUCH

fuchsig

20.2.2024, 17:11:57

Kann man auch einen error in persona vel obiecto annehmen und hier, da Ungleichwertigkeit (Vorstellung, also Vorsatz auf Sache / tatsächlich aber Mensch), eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung bejahen? Oder ist die Figur des error in persona vel obiecto nur anwendbar, wenn das ursprünglich vorgestellte strafbar ist und dies ist hier nicht der Fall beim Jäger, der aufs Wildschwein schießen möchte? Ich erinnere mich vage an einen Fall, wo der Täter auf eine Schaufensterpuppe zu schießen denkt, es aber ein Mensch ist. Dort ist er dann wegen einer versuchten Sachbeschädigung sowie wegen fahrlässiger Tötung strafbar, und man nimmt einen error in persona vel obiecto an.


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