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Klassisches Klausurproblem

Diktator A, dessen Volk durch seine Misswirtschaft Hunger leidet, ist zu Besuch in Berlin. Bei einer exklusiven Veranstaltung im Bundeskanzleramt will B eine Plakette der Künstlerin C tragen, die das Wappentier des Staates A als Skelett zeigt. Der Einlass wird B deshalb verwehrt.

Einordnung des Falls

Kein Grundrechtsträger: Kunst-Nutzer

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 1 GG) schützt sowohl Künstler als auch Kunstvermittler.

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Genau, so ist das!

Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 1 GG garantiert die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich umfassend. Der persönliche Schutzbereich der Kunstfreiheit schützt damit nicht nur den Künstler, sondern auch denjenigen, der eine "unentbehrliche Mittlerfunktion" zwischen Kunstwerk und Publikum ausübt.

2. B trägt die Plakette. Weil er das Kunstwerk "nutzt", fällt er in den persönlichen Schutzbereich der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 1 GG).

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Nein, das trifft nicht zu!

Personen, die Kunst lediglich "nutzen", sind von der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 1 GG) nicht geschützt. Der Bezug zum besonders geschützten künstlerischen Schaffen und zur Kunstvermittlung ist zu indirekt. Andernfalls würde der Schutzbereich der Kunstfreiheit ausfransen. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn die "Nutzung" von Kunst zum Teil des Kunstwerks gemacht wird. Das Tragen der Plakette durch B gehört nicht zum Teil des Kunstwerks. Die bloße Nutzung reicht nicht aus, um den persönlichen Schutzbereich für B zu eröffnen. B kann sich jedoch auf die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) berufen.

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Simon

Simon

2.10.2020, 00:21:22

Ich hätte hier die Eröffnung des SB von Art. 5 III 1 Var. 1 bejaht, denn durch das Tragen der Plakette "genießt" B die Kunst der C mE nicht nur, sondern nimmt gerade eine Mittlerfunktion zwischen Künstlerin und Publikum ein. Die Plaketten der C sind darauf ausgelegt und geradezu angewiesen von anderen getragen zu werden, um wahrgenommen werden zu können. Andernfalls wäre es der C zwar möglich, entsprechende Plaketten herzustellen, freilich könnten diese jedoch - mangels Wahrnehmbarkeit durch Dritte - aber keine Außenwirkung entfalten. Insofern nimmt der B hier eine unentbehrliche Mittlerfunktion ein und der Wirkbereich der Kunst ist betroffen. Persönlicher (ebenso wie der sachliche) SB für mich daher (+).

TA

Taylaw

8.2.2022, 20:16:23

Das finde ich um ehrlich zu sein überzeugend. Im Maßstab steht ja auch, dass etwas anderes gilt, wenn die Kunst darauf ausgelegt ist, genutzt zu werden. Ich hoffe, dass das hier ein Fallersteller sieht und uns aufklärt :)

N0

n00b

4.8.2022, 14:15:28

Ich schließe mich dem an.

EN

ehemalige:r Nutzer:in

19.10.2022, 17:13:14

Dass das BVerfG den persönlichen Schutzbereich als nicht eröffnet angesehen hat, kann ich auch nicht nachvollziehen, war vielleicht aber auch dem geschuldet, dass das Kunstvermitteln im konkreten Fall damals noch unter einfachgesetzlicher Strafe stand (§ 90a I Nr. 1 und 2 StGB der damaligen Form). Jedenfalls der sachliche Schutzbereich dürfte aber nicht eröffnet sein, da der Schutz der Kunstfreiheit nicht beinhaltet sein Kunstwerk an einem bestimmten Ort ausstellen zu dürfen ("exklusive Veranstaltung im Bundeskanzleramt").


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