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Klassisches Klausurproblem

T tritt dem O mit seinem Fuß heftig ins Gesicht. Da T feste Springerstiefel trägt, erleidet O Prellungen und Blutergüsse.

Einordnung des Falls

Tritte ins Gesicht mit festen Schuhen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn T die Körperverletzung "mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs begangen hat", verwirklicht er den objektiven Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

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Ja, in der Tat!

Die gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB) ist eine Qualifikation zur einfachen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB). Die Strafschärfung erfolgt wegen der besonderen Gefährlichkeit der Begehungsweise und damit einhergehenden erhöhten Gefahr erheblicher Verletzungen. § 224 Abs. 1 Nr. 1-5 StGB nennt verschiedene Begehungsweisen, die auch kumulativ verwirklicht sein können. Nach h.M. sind Nr. 1 und 2 konkrete sowie Nr. 3, 4 und 5 abstrakte Gefährdungsdelikte. Qualifikationsgrund ist eine Erhöhung der Handlungsintensität, nicht eine besondere Verletzungserfolgsintensität. Nr. 2 qualifiziert solche Taten, bei denen sich eine besondere Gefährlichkeit aus der Verwendung eines (anders als in Nr. 1) von außen auf den Körper einwirkenden Tatmittels ergibt. Liegen entsprechende Anhaltspunkte vor, musst Du alle Nummern des § 224 Abs. 1 StGB prüfen.

2. Ts Schuh am Fuß stellt ein "anderes gefährliches Werkzeug" (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB) dar .

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Ja!

Werkzeug ist jeder bewegliche Gegenstand, mittels dessen durch Einwirkung auf den Körper eine Verletzung zugefügt werden kann. Gefährlich ist ein Werkzeug, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (potentielle Gefährlichkeit). Rspr. und h.M. schließen aus dem Wortlaut, dass menschliche Körperteile kein Werkzeug darstellen. Ob ein Schuh am Fuß ein gefährliches Werkzeug ist, hängt von den konkreten Umständen ab. Entscheidend sind die (1) Schuh- und Anwendungsart, (2) betroffene Körperteile und (3) seine die Wirkung des bloßen Fußes verstärkende Funktion. Die konkrete Verwendung muss erwarten lassen, dass dadurch erhebliche Verletzungen entstehen. Bei Ts Tritten mit festen Springerstiefeln ins Gesicht ist die Werkzeugeigenschaft anzunehmen.

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lennart20

lennart20

31.3.2023, 13:26:58

Wenn jemand mit seinen Straßenchuhen einem anderen einmal kräftig in die Seite tritt und dabei ein Hämatom entsteht, ist dann das Qualifikationsmerkmal mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs zu bejahen, oder wegen des Fehlens einer konkret en Gefahr zu verneinen?

SE.

se.si.sc

31.3.2023, 14:24:50

Das Qualifikationsmerkmal des gefährlichen Werkzeugs erfordert nach st Rspr, dass der Gegenstand nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art seiner Verwendung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen (statt aller Fischer, § 224 Rn 14). Eine konkrete Gefahr ist damit grds nicht nicht relevant, auch wenn die Rspr in der Abgrenzung nicht immer konsequent ist (zur Kritik ebenfalls Fischer aaO). Ein kräftiger Tritt mit einem Straßenschuh in die Seite dürfte nach der Rspr noch nicht genügen, um das Qualifikationsmerkmal zu bejahen, nur ein solcher in empfindlichere Bereiche (zB Gesicht, s MüKo-StGB, § 224 Rn 28). Das ist aber letztlich eine Einzelfallentscheidung, so etwas auswendig zu lernen macht keinen Sinn und in der Klausur (und auch in der Praxis) wird in solchen ambivalenten Fällen mit entsprechender Argumentation beides vertretbar sein.

lennart20

lennart20

31.3.2023, 14:49:38

Top, vielen Dank!!

lennart20

lennart20

1.4.2023, 11:19:56

Wenn die Person mit dem Schuh jedoch weitere Male zutreten wollte, es aber bei einem Tritt belässt, muss man wenn man das gefährliche Werkzeug im Erfolgsdelikt verneint einen Versuch prüfen?

SE.

se.si.sc

2.4.2023, 20:21:58

Ich verstehe glaube ich die Frage nur begrenzt, muss ich zugeben. Wenn wir annehmen, dass es sich bei dem Schuh nicht um ein gefährliches Werkzeug handelt, scheidet logischerweise auch eine Versuchsstrafbarkeit nach § 224 I, II StGB aus. Gleichzeitig verwirklicht schon der erste Tritt den § 223 I StGB, insoweit haben wir also ein vollendetes Delikt. Man kann dann hinsichtlich des zweiten Tritts natürlich einen Versuch zu einer weiteren Verwirklichung des § 223 I StGB prüfen. Nach deiner Schilderung scheint mir aber schon fraglich, ob er hinsichtlich des zweiten Tritts überhaupt schon unmittelbar angesetzt hat. Falls das der Fall ist, kann man noch an einen Rücktritt nach § 24 I 1 StGB denken.


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