Strafrecht
BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.
Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB
Hinterlistiger Überfall (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) durch Ausnutzen des Schlafes des Opfers?
Hinterlistiger Überfall (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) durch Ausnutzen des Schlafes des Opfers?
31. Mai 2025
13 Kommentare
4,6 ★ (3.792 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Als Ehefrau T eines Nachts aus dem Schlaf erwacht, plagen sie dunkle Gedanken. Sie beschließt spontan, dem bösartigen und ihr körperlich weit überlegenen Ehemann O Leid anzutun. Sie schafft es, dem neben ihr schlafenden O mehrere schmerzhafte Schnittwunden zufügen, bevor dieser aufwacht.
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Einordnung des Falls
Hinterlistiger Überfall (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) durch Ausnutzen des Schlafes des Opfers?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat die Körperverletzung zum Nachteil des O „mittels eines hinterlistigen Überfalls“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) begangen.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Vincent
14.1.2025, 12:33:37
Warum reicht im Kontext des Mordes das bloße Ausnutzen des Schlafes aus, bei der gefährlichen Körperverletzung jedoch nicht ?

DerChristoph
16.1.2025, 11:55:50
Weil Hinterlist und Heimtücke nicht identisch sind. Bei der Heimtücke wird die
fremde Arg- und
Wehrlosigkeitnur *bewusst ausgenutzt*, bei der Hinterlist die eigene Verletzungsabsicht *planmäßig verborgen*.
Vincent
16.1.2025, 13:02:55
Das verstehe ich, ich habe mich ungenau ausgedrückt. ich habe Verletzungsabsicht, verberge diese in dem ich "normal" verhalte und verletze dann im Schlaf
Kira
25.1.2025, 02:18:07
Weil dies im Kontext der gefährlichen KV planmäßig geschehen muss. Beim Mord reicht es aus die Arg- und
Wehrlosigkeiteines Menschen auszunutzen. Bei der gefährlichen KV muss man die Arg- und
Wehrlosigkeitnach meinem Verständnis planen und initiieren (?). Zumindest reicht ein schlichtes Ausnutzen nicht aus. Anders wäre es vermutlich, wenn sie ihm extra Baldrian Tropfen gibt damit er um eine bestimmte Zeit einschläft und sie plant dann in diesem Zeitfenster zuzuschlagen.
WayanMajere
27.4.2025, 00:32:16
Es hat m.W. damit zu tun, dass es sich eben nicht nur um Hinterlist, sondern um einen hinterlistigen
Überfallhandeln muss. Also dass in dem Tatbestand zwei Worte vorkommen, die jeweils einer eigenen Interpretation bedürfen. Persönlich hätte ich, wenn ich ohne jede Kenntnis die Tatbestandsmerkmale hätte definieren müssen, gesagt, dass Hinterlist vorliegt, aber kein
Überfall. Wenn man aber den
Überfallhier bejaht, dann müsste man überlegen, inwiefern sich der
Überfallvon einem hinterlistigen
Überfallunterscheidet und das tut man hier, indem man für die Hinterlist etwas mehr fordert als das Ausnutzen einer Überraschung.
WayanMajere
27.4.2025, 00:44:32
Der Sachverhalt ist hier einfach schlecht geschrieben. In dem zitierten Urteil hat jemand ohne erkennbaren Grund nachts seinen Zimmergenossen mit einem Gegenstand attackiert. Dieses "grundlose" ist der Grund, warum das OLG die Hinterlist abgelehnt hat. Hier im Sachverhalt plant die Frau das aber von langer Hand ("sie hegt den Wunsch... Dazu") und nutzt die Ahnungslosigkeit des Opfers gezielt für ihren
Überfallaus und wartet extra länger, um die Ahnungslosigkeit zu maximieren und ihren
Überfalleffektiver zu machen. Das Tatbestandsmerkmal der Hinterlist wäre also zu bejahen und der Steller der Aufgabe hat schlicht einen Fehler beim Lesen und Verstehen des Urteils gemacht.

Sebastian Schmitt
28.5.2025, 11:02:09
Hallo @[Vincent](211990), die wesentliche Differenzierung hat @[DerChristoph](80668) schon genau richtig dargestellt. Dahinter stehen eben unterschiedliche Begriffe und unterschiedliche Konzepte, die in bestimmten Fällen, wie hier zB dem schlafenden Opfer, zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können. Formulierungen wie "Arg- und
Wehrlosigkeit" assoziiert man typischerweise mit § 211 StGB und würde ich daher bei der Definition/Umschreibung des § 224 I Nr 3 StGB möglichst vermeiden, @[Kira](135227). Man spricht bei letzterem eher von einem überraschenden Angriff, bei dem der Täter seine Angriffsabsicht planmäßig verbirgt (statt aller MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl 2021, § 224 Rn 33). Dein genanntes Beispiel mit den Baldrian-Tropfen wäre allerdings in der Tat ein klassischer Fall, in dem § 224 I Nr 3 StGB gegeben ist. Deinen Hinweis, @[WayanMajere](278428), haben wir nach Deinem Nachbarthread schon berücksichtigt und die Sachverhaltsdarstellung entsprechend angepasst. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
BenRie
10.2.2025, 21:39:10
Die Erklärung, dass Hinterlist nur dann vorläge, wenn T dem O vor dessen Einschlafen gezielt ihre Verletzungsabsicht verborgen hätte, überzeugt nicht. Zu einen ist dieses Abwarten nicht Beweisbar, da es sich um einen rein inneren Vorgang handelt. Zum anderen ergibt sich durch ein vorheriges Abwarten keine Erhöhung der Gefahr bzw. Gefährlichkeit der Begehungsweise (Telos).
WayanMajere
27.4.2025, 00:57:36
Es überzeugt schon und wird von Rechtsprechung und Literatur auch so gehandhabt. Beweisprobleme sind keine Probleme der Tatbestandsauslegung (diese gibt es nämlich grundsätzlich bei jedem subjektiven Tatbestandsmerkmal noch viel mehr als bei der Hinterlist). Zum anderen wird die Tat durch gezieltes Verdecken eben doch gefährlicher. Man denke vergleichsweise daran, dass jemand, der spontan handeln würde, entweder ein waches Opfer oder jedenfalls kein Messer zur Hand hätte. Problematisch ist in der Aufgabe lediglich die fehlerhafte Subsumtion. Denn die genannte Definition liegt für den Sachverhalt 1:1 vor, weshalb das Tatbestandsmerkmal hier erfüllt ist.

Sebastian Schmitt
28.5.2025, 20:54:34
Hallo @[BenRie](256893), ich kann mich @[WayanMajere](278428) inhaltlich nur anschließen. Erstens mögen Beweisprobleme zwar zB als Argument für die (nicht nur juristische) Bewertung eines Gesetzgebungsvorhabens taugen, aber kaum für Fragen der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen. Ohnehin betreffen diese Probleme nahezu jedes subjektive Merkmal in gewisser Weise. Zweitens mag sich eine höhere Gefährlichkeit nicht per se aus einem "Nichtstun" ergeben, sehr wohl aber aus einem planmäßig verbergenden Verhalten. Das erschwert nämlich die Abwehr des Angriffs und die Vorbereitung der Verteidigung des Opfers (BeckOK-StGB/Eschelbach, 65. Ed, Stand 1.5.2025, § 224 Rn 35). Inhaltlich haben wir Sachverhaltsdarstellung hier jetzt auf den Hinweis von WayanMajere aus einem Nachbarthread ohnehin angepasst. Das ändert allerdings nichts daran, dass der eben dargestellte fachliche Hintergrund (nach wie vor) zutrifft. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team