Strafklageverbrauch nach Einstellung gegen Auflage, § 153a StPO

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Der Anklagevorwurf des § 315c Abs. 1 StGB gegen A wegen einer in einem Auffahrunfall endenden Autofahrt wird gegen Auflage eingestellt (§ 153a Abs. 2 StPO). Obwohl A die Auflage erfüllt, wird er später wegen des unmittelbar darauffolgenden Entfernens vom Unfallort verurteilt (§ 142 StGB).

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Einordnung des Falls

Strafklageverbrauch nach Einstellung gegen Auflage, § 153a StPO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da sich das Entfernen vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 StGB) unmittelbar an die Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c Abs. 1 StGB) anschloss, stehen beide Delikte in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB).

Nein!

Eine „Handlung" (§ 52 Abs. 1 StGB) liegt hier vor, wenn die Unfallfahrt und die darauffolgende Unfallflucht von einem einheitlichen Tatentschluss getragen sind. Die Fahrtunterbrechung durch den Unfall führt materiellrechtlich zu einer Zäsur. Nach einem solchen Unfall sieht sich der Fahrer geistig einer neuen, veränderten Situation gegenübergestellt. Er bedarf deshalb zur Weiterfahrt eines neuen, an die veränderte Lage angepassten Willensentschlusses, selbst wenn das Fahrtziel dasselbe bleibt. Die Fahrten vor und nach dem Unfall stellen somit zwei selbstständige Handlungen dar. Die dabei verwirklichten Straftaten stehen deshalb in Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB) zueinander. Anders in den sogenannten Polizeifluchtfällen, in denen nach dem BGH die Flucht vor der Polizei vor und nach dem Unfall das dominierende Motiv bleibt, womit Tateinheit vorliegt..
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2. Sind die Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c Abs. 1 StGB) und das unmittelbar nachfolgende unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) trotzdem Teil einer einheitlichen prozessualen Tat (Art. 103 Abs. 3 GG, § 264 Abs. 1 StPO)?

Genau, so ist das!

Nach dem Tatbegriff des § 264 Abs. 1 StPO bilden die Straßenverkehrsgefährdung und die anschließende Unfallflucht ungeachtet ihrer materiellrechtlichen Selbstständigkeit einen einheitlichen Lebensvorgang und damit verfahrensrechtlich eine Tat. Sie gehen nicht nur äußerlich ineinander über, sondern sind auch innerlich eng miteinander verknüpft. Der Unrechts- und Schuldgehalt der Unfallflucht kann nicht ohne Berücksichtigung der Umstände, unter denen es zum Unfall gekommen ist, beurteilt werden, wenn der Täter wie hier unmittelbar weitergefahren ist. Eine getrennte Beurteilung würde diesen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten.

3. Es handelt sich verfahrensrechtlich um eine einheitliche Tat. Steht die Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO einer Verurteilung wegen des Unerlaubten Entfernens (§ 142 StGB) entgegen?

Ja, in der Tat!

Nicht nur Urteil und Strafbefehl, auch eine Einstellung kann den Strafklageverbrauch auslösen. Im Falle des § 153a StPO kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden, wenn der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen erfüllt (§ 153a Abs. 2 S. 2, Abs. 1 S. 5 StPO). Die Unfallflucht wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft und stellt deshalb ein Vergehen dar (§ 12 Abs. 2 StGB). Sie ist damit vom partiellen Strafklageverbrauch des § 153a Abs. 1 S. 5 StPO erfasst. Das Revisionsgericht muss damit die Verurteilung wegen des Entfernens vom Unfallort aufheben und das Verfahren einstellen (§ 354 Abs. 1 StPO).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FR

friedo

10.4.2024, 18:26:52

Wie wirkt sich ein solches umfassendes Verfahrenshindernis auf die Prüfung in der Sachrüge von §§ 142,

315c StGB

aus?

Fräulein Cowds

Fräulein Cowds

16.5.2024, 21:51:49

Ein Verfahrenshindernisse ist ein nach § 338 StPO absoluter Revisionsgrund. Es handelt eher um eine Art Verfahrensrüge. Im Grunde erübrigt sich eine Sachrüge. Hilfsweise kann natürlich vorgetragen werden, wenn das Tatgericht insoweit auch eine fehlerhafte Beurteilung vorgenommen hat. Das hat aber nichts mit dem Verfahrenshindernis an sich zu tun. Ich hoffe ich konnte dir damit helfen!

FI

finnjh

10.7.2024, 19:00:59

Hallo, meinem Verständnis nach handelt es sich hierbei um einen Fall des Strafklageverbrauches, welches ein Verfahrenshindernis darstellt und daher noch vor den Verfahrensrügen von Amts wegen zu berücksichtigen ist (anders als bspw. die absoluten Revisionsgründe nach § 338 StPO). Liegt ein Verfahrenshindernis vor, würde das Gericht die Sache aufheben und insoweit das Verfahren einstellen. Zu einer Sachrüge kommt man diesbezüglich nicht mehr. In der Klausur würde ich ggfs. darüber hinaus die materielle Sachlage prüfen und hilfsweise die Sachrüge erheben? Aber das Verfahrenshindernis als solches dürfte sich auf die Sachrüge m.M.n. nicht auswirken.

PI

Pit

17.5.2024, 10:37:08

"Vergehen vergehen". - Mit Blick auf die Wirkung von § 153 Abs. 1 S. 5 StPO, wonach Strafklageverbrauch hinsichtlich Vergehen eintritt, aber nicht hinsichtlich Verbrechen gem. § 12 StGB. Allerdings muss man die Eselsbrücke einschränken, da dies (1) nur Vergehen der gleichen prozessualen Tat betrifft und (2) sofern das Verfahren durch das Gericht eingestellt wurde. Möglicherweise hat jemand noch eine passende Ergänzung zu dem Vorschlag.


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