Einschreibebrief wird treuwidrig nicht abgeholt

11. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Chefin C kündigt Arbeitnehmerin A außerordentlich per Übergabeeinschreiben. Da A nicht zuhause ist, hinterlässt Postbote P der A eine Abholkarte in den Briefkasten. A weiß von Cs Plan und holt das Einschreiben nicht ab. C kündigt erneut. Diese geht A aber erst nach Ablauf der Kündigungserklärungsfrist zu.

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Einordnung des Falls

Einschreibebrief wird treuwidrig nicht abgeholt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Ausspruch der außerordentlichen Kündigung ist nur innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntwerden des Kündigungsgrundes zulässig (§ 626 Abs. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Grundsätzlich kann eine Kündigung nicht mit sofortiger Wirkung ausgesprochen werden, sondern nur zum Ende von gesetzlichen (§ 622 BGB) oder vertraglich vereinbarten Kündigungsfristen (=ordentliche Kündigung). Ist einer Partei die weitere Aufrechterhaltung der Arbeitsvertragsbeziehung aber aus wichtigen Gründen unzumutbar, so kommt auch eine fristlose, außerordentliche Kündigung (§ 626 BGB) in Betracht. Diese muss allerdings innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des Kündigungsgrundes beim Empfänger zugehen (§ 626 Abs. 2 S. 1 BGB).Achtung Terminologie: Bei § 626 Abs. 2 S. 1 BGB handelt es sich um eine Kündigungserklärungsfrist, während man bei § 622 BGB von Kündigungsfristen spricht.
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2. Die Kündigung ist mit Einwurf des Benachrichtungszettels zugegangen.

Nein!

Bei verkörperten Willenserklärungen liegt Zugang vor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Wird bei einem Übergabeeinschreiben lediglich ein Benachrichtigungszettel eingeworfen und das Einschreiben auf der Poststelle verwahrt, so ist dieses noch nicht in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Vielmehr wird der Zugang erst durch Aushändigung des Schreibens auf der Poststelle bewirkt (§ 130 Abs. 1 BGB). A hat das Einschreiben nicht abgeholt. Das zweite Schreiben hat sie erst nach Ablauf der Kündigungserklärungsfrist erreicht.

3. Kann sich A darauf berufen, dass ihr die außerordentliche Kündigung nicht innerhalb der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist zugegangen ist (§ 626 Abs. 2 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Empfänger einer Willenserklärung kann sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf den verspäteten Zugang der Willenserklärung berufen, wenn er den rechtzeitigen Zugang selbst vereitelt hat. Er muss sich dann so behandeln lassen, als habe der Erklärende die entsprechenden Fristen gewahrt. Der Erklärende muss aber seinerseits alles Zumutbare dafür tun, dass seine Erklärung den Adressaten erreicht.A hatte das Einschreiben bewusst nicht abgeholt, um den Zugang zu vereiteln. C hat durch die erneute Kündigung alles Zumutbare veranlasst, den Zugang zu bewirken. Mithin kann sich A nicht auf die abgelaufene Frist berufen und muss sich so behandeln lassen, als wäre die Erklärung rechtzeitig zugegangen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FUCH

Fuchsfrauchen

4.8.2022, 16:54:54

Variante 1: Angenommen ich erwarte das Kündigungsschreiben, bekomme eine Abholkarte und hole das Schreiben nicht ab, könnte dies aber am nächsten Tag tun. Wäre dann dieser nächste Tag der angenommene Zugangszeitpunkt? Variante 2: Wie 1, nur, dass ich noch ein paar Tage im Urlaub bin, wenn die Abholkarte eintrifft. Was gilt hier? Das gleiche wie bei Variante 1 aufgrund der Rechtssicherheit?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.8.2022, 10:37:02

Hallo Fuchsfrauchen, in der Tat wäre in Variante 1 auf die nächste Abholmöglichkeit, also den nächsten Werktag als fiktives Zugangsdatum abzustellen (vgl. auch https://applink.jurafuchs.de/pqGNeDxYesb). In Variante 2 müsste man etwas differenzieren. Grundsätzlich kann dem Arbeitnehmer auch im Urlaub eine Kündigung zugehen. Da ein Arbeitnehmer sich aber nicht ohne weiteres Urlaub nehmen kann, sondern ihm dieser Urlaub vom Arbeitgeber gewährt wird, weiß der Arbeitgeber ja Bescheid, dass der Arbeitnehmer unter Umständen während seines Urlaubs nicht zuhause ist. Wählt er dann dennoch als Zustellungsmittel das

Übergabeeinschreiben

, so kann dies nicht zulasten des Arbeitnehmers gehen. Insofern dürfte in diesem Fall frühestens auf den nächsten Werktag nach Rückkehr des Arbeitnehmers abzustellen sein. Gerade bei außerordentlichen Kündigungen kann es dann häufig bereits zu spät sein. Dem kann der Arbeitgeber aber durch Wahl einer anderen Zustellungsart (Einwurf-Einschreiben, reitender Bote…) vorbeugen. Beste Grüße, Lukas – für das Jurafuchs-Team

FUCH

Fuchsfrauchen

6.8.2022, 17:29:37

Vielen lieben Dank, Lukas! Es kommt mir immer noch paradox vor, dass ein Kündigungsschreiben zeitnah zugeht, wenn ich es als AG per Einwurfschreiben oder einfach normal zustelle (wie in Eurem "Nepalwanderfall") - aber nicht mit einem

Übergabeeinschreiben

. In beiden Fällen weiß der AG Bescheid, dass der AN das Schreiben nicht zeitnah erhalten wird - in beiden Fällen ja auch unverschuldet.

Blackpanther

Blackpanther

7.2.2023, 18:48:48

Auch mir scheint diese Lösung inkonsequent... warum soll dem AG nur beim Übergabe-Einschreiben der Treuwidrigkeitsvorwurf gemacht werden können und nicht auch beim Einwurf-Einschreiben (Nepal-Fall)?

AM

Anony Mous

14.9.2024, 11:45:59

Die Argumentation für diese Absicht würde mich auch interessieren.

Denislav Tersiski

Denislav Tersiski

5.1.2024, 20:19:38

ich dachte, dass bei der vorsätzlichen

Zugangsvereitelung

(die Arbeitnehmerin hat hier

positive Kenntnis

von der bevorstehenden Kündigung, damit handelt sie vorsätzlich) gerade kein erneuter Versuch der Zustellung nötig ist.

LELEE

Leo Lee

7.1.2024, 09:51:00

Hallo Denislav Tersiski, genauso ist es! Hier hat die A arglistig den Zugang vereitelt. Gleichzeitig wurde seitens des Empfängers alles Zumutbare getan, damit die Erklärung bei ihr ankommt. Deshalb kann sie sich nicht auf eine Verfristung berufen und muss sich auch so behandeln lassen, als wäre die Erklärung rechtzeitig zugegangen. Wir haben in der Subsumtion noch einen Satz hinzugefügt, damit keine Missverständnisse künftig entstehen. I.Ü. kann ich hierzu die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Einsele § 130 Rn. 36 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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