Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Kausalität
Lederspray-Variante 2 (Kausalität des zustimmenden Gremienmitglieds bei einer Mehrheit von mehr als einer Stimme)
Lederspray-Variante 2 (Kausalität des zustimmenden Gremienmitglieds bei einer Mehrheit von mehr als einer Stimme)
10. Juni 2025
36 Kommentare
4,7 ★ (125.743 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der Beschluss der fünf Gesellschafter G1-G5 der L GmbH, das Lederspray trotz Gesundheitsgefahr weiterhin zu vertreiben, ergeht mit deutlicher Mehrheit. G1, G2, G3 und G4 stimmen dafür, G5 stimmt dagegen.
Diesen Fall lösen 60,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Lederspray-Variante 2 (Kausalität des zustimmenden Gremienmitglieds bei einer Mehrheit von mehr als einer Stimme)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Bei schlichter Anwendung der conditio-Formel war die Ja-Stimme des G1 kausal für den Beschluss und damit für den Erfolgseintritt.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Ja-Stimme des G1 ist für den Erfolgseintritt in Form kumulativer Kausalität ursächlich.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Die Ja-Stimme des G1 ist für den Erfolgseintritt in Form alternativer Kausalität ursächlich geworden.
Nein!
4. Die Ja-Stimme des G1 ist für den Erfolg in Form einer Kombination aus kumulativer und alternativer Kausalität ursächlich geworden.
Genau, so ist das!
5. Nach der Rspr ist die Stimme des G1 für den Erfolg mittels gegenseitiger Zurechnung der anderen Ja-Stimmen im Wege der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) ursächlich geworden.
Ja, in der Tat!
6. Anders als die wohl hL kommt die Rspr zu dem Ergebnis, dass auch G5 das Verhalten der Mehrheit zugerechnet wird (§ 25 Abs. 2 StGB).
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DeliktusMaximus
25.7.2022, 12:09:48

Lukas_Mengestu
27.7.2022, 18:47:42
Hallo DeliktusMaximus, die deutsche Rechtsprehcung hat - soweit mir bekannt - eine fahrlässige
Mittäterschaftbislang nicht ausdrücklich anerkannt (so auch Schönke/Schröder, StGB vor § 25 Rn. 111). In dem hier behandelten Lederspray-Fall (BGHSt 37, 131f.) hätte man sich dies zwar überlegen können. Stattdessen hat der BGH aber den Weg über die Kausalität gewählt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Sniter
5.1.2023, 15:47:03
Ist dieser Meinungsstreit "
Kausalität bei Gremienentscheidungen" nur relevant, wenn der fragliche Gesellschafter
beschlussmit Mehrheit erreicht wurde (hier 4/5), oder wäre er auch relevant und in der Klausur darzustellen, wenn der
Beschluss(wie im Fall 1 dieses Kapitels) einstimmig gefasst wurde?

Sambajamba10
29.5.2023, 09:22:13
Also logisch betrachtet, wird die Relevanz der Stimme des G1 geringer, desto mehr Leute zustimmen. Daher würde ich folgern, dass du diesen Streit bei einem einstimmig ergangenen
Beschlusserst Recht darstellen musst.
Timurso
15.6.2023, 15:11:37
Ist die Mehrheitsentscheidung nur gerade so zustande gekommen, braucht es den Meinungsstreit nicht. Dann reicht die normale Anwendung der csqn-Formel. Haben wir stattdessen eine deutlichere Mehrheit, bei der nicht eine einzelne Stimme den Unterschied macht, braucht es den in diesem Kapitel dargestellten Meinungsstreit.
MikeRoss10
15.7.2023, 21:35:40
Wie wäre die kausalität zu prüfen, wenn einer dafür und einer dagegen gestimmt hat? Bei einem Ergebnis von 3:2. Würde man die kausalität nach der CSQN Formel wie gewohnt bejahen/verneinen?
Timurso
16.7.2023, 12:05:48
@[MikeRoss10](212739) Ja genau, dann ist es csqn. Denn jede Ja-Stimme, die hinweggedacht wird, lässt den Erfolg entfallen (da keine Mehrheit mehr). Ist praktisch ein normaler Fall der kumulativen Kausalität dann.
MikeRoss10
16.7.2023, 12:46:27
Was passiert bei der Nein-Stimme, wenn mit 3:2 die Mehrheit beschlossen wurde? Würde man die Nein- Stimme wegdenken dann hätte man ja trotzdem die Mehrheit.
Timurso
16.7.2023, 12:48:08
@[MikeRoss10](212739) richtig. Die Nein-Stimmen sind nie kausal (angenommen, dass der
Beschlussden Erfolg kausal herbeiführt und nicht das Unterlassen dieses), unabhängig davon, wie die Mehrheitsverhältnisse sonst sind.
Diaa
26.7.2023, 13:23:18
Könnte eventuell jemand die
kumulative Kausalitätmit einfachen Wörtern erklären? Wäre echt super lieb, denn ich kann diese Art Kausalität nicht verstehen.
mariaaa01
27.7.2023, 14:50:43
Eine
kumulative Kausalitätkann man ganz gut mit dem Beispiel des Gifted erklären! A und B wollen voneinander unabhängig C vergiften. Als C nicht hinguckt schütten beide jeweils eine Menge Gift in sein Glas rein, welche einzeln nicht dazu geeignet ist den Erfolg des Todes herbeizuführen. Beide zusammen aber reichen, um C zu töten. Und weil eben C die addierte Menge an Gift trank, starb er. Ich hoffe das hilft dir weiter!
Diaa
27.7.2023, 17:25:08
Ja, vielen Dank!
patric
18.9.2023, 13:34:46
Ist das mit der geheimen Abstimmung nicht eine riesige Regelungslücke? Könnte man dann nicht mit einem geheimen Mehrheits
beschlusseinen Mord planen, ohne, dass jemand dafür angeklagt werden könnte?
QuiGonTim
19.4.2024, 11:38:47
Liebes Jurafuchsteam, vielen Dank für die Aufbereitung des Falls. Bei mir sind zwei Fragen offen geblieben: (1) Mir ist nicht ganz klar, inwiefern die alternative und die
kumulative Kausalitätkombiniert werden und inwiefern dies einen Mehrwert gegenüber der schlichten Anwendung der modifizierten conditio-Formel haben soll. Könnte mir das vielleicht nochmal jemand in anderen Worten erläutern? (2) Inwiefern ist das Problem klausurrelevant? Wie geht man damit am besten in der Klausur um?
Moritz
17.2.2025, 16:30:19
Ich würde sagen, der einfachste weg mit dem Problem umzugehen ist es der Ansicht zu folgen, welche bei Mehrheitsbeschlüssen darauf abstellt, dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt auf dem tatsächlich gefassten
Beschlussmit der konkreten positiven Stimmanzahl beruht (vgl Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 37). Im Ergebnis herrscht sowieso Einigkeit, dass alle Personen, die im Sinne der Mehrheit abgestimmt haben, auch für den Erfolg verantwortlich sind. So erspart man sich unnötig komplizierte Ausführungen zu Kumulativer- und Alternativer Kausalitätsmodifikationen.
JJO
7.8.2024, 12:54:05
Wie ist die Prüfung dabei genau aufzubauen? Ist erst eine eigenständige Strafbarkeit zu prüfen, welche mit dem BGH mangels Kausalität abgelehnt werden muss und anschließend dann eine
mittäterschaftliche Strafbarkeit?
lexspecialia
4.10.2024, 10:50:42
„Die Ja-Stimme des G1 ist nur in Kombination mit den denen der G2-4, also kumulativ, wirksam. Der
Beschlusswäre aber unabhängig von der Größe der Stimmmehrheit mit demselben Inhalt beschlossen worden, sodass sich die über die erforderliche Mehrheit hinausgehenden Stimmen gerade nicht auf den Erfolg bei K ausgewirkt haben. Die Stimme des G1 lässt sich hinwegdenken, ohne dass der
Beschlussin seiner konkreten Gestalt entfiele.“ Wieso wäre der
Beschlussunabhängig von der Grösse der Stimmmehrheit mit demselben Inhalt beschlossen worden ? Kann mir jemand nochmal in anderen Worten die ABlehnung der Kausalität hier erklären? Vielen dank schonmal :)

Jonas22
5.10.2024, 23:16:23
Insgesamt gibt es 5 Gesellschafter. Das heißt für eine Mehrheit braucht es min. 3 Stimmen. Da G2, G3 und G4 zugestimmt haben, liegen diese 3 Stimmen vor. Mit G1 sind es 4 Stimmen gegen die eine Stimme von G5. Aber ob es nun drei oder vier Stimmen gegen die eine Stimme sind, ist egal. Der
Beschlusswäre genauso ohne die Stimme von G1 getroffen worden. Die Mehrheit hätte nur eine Stimme weniger, also nur 3 gegen 1 statt 4 gegen 1. Ich hoffe, es ist jetzt etwas verständlicher.
lexspecialia
7.10.2024, 12:07:50
Vielen Dank 🙏 jetzt habe ich es verstanden
Emily
23.4.2025, 20:40:42
Liebes Jurafuchs Team, ich bin ein wenig verwirrt. Der BGH sagt: Alle Gremiumsmitglieder haben die gleiche Pflicht, einen rechtskonformen
Beschlusszu treffen. Jeder Einzelne hat alles ihm Mögliche und Zumutbare zu unternehmen, um einen solchen
Beschlusszu erreichen. Ich habe noch aus meinem Wirtschaftsstrafrechtskurs im Kopf, dass das überstimmte Mitglied, um seine Verantwortlichkeit auszuschließen, versuchen muss, die Aufhebung des
Beschlusses zu erwirken. Subsumiert wird: G5 hat durch sein Votum gegen das Vertreiben des Sprays zum Ausdruck gebracht, dass er das Spray nicht in Umlauf bringen will. Ihm fehlt es somit an einem bedingten Vorsatz und folglich auch am gemeinsamen
Tatentschluss(§ 25 Abs. 2 StGB). Wird das hier nur nicht aufgegriffen, weil der Sachverhalt das nicht hergibt? Danke für eure Antwort:)
Leo Lee
14.5.2025, 11:38:31
Hallo Emily, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Du erinnerst dich komplett richtig, dass u.a. behauptet wird, dass abgesehen von der Kausalität dann jedes Mitglied sein Bestes geben müsse, um die Umsetzung des
Beschlusses zu verhindern (ansonsten unterlässt er die mgl. und ge
botene Handlung). Dieser Ansatz ist jedoch von einem Literat (Rotsch) und von dieser Ansicht der Rspr. zu unterscheiden; vielleicht meintest du also diese Ansicht :)? Hierzu kann ich i.Ü. die sehr gute Darstellung in der ZJS empfehlen (findest du hier: https://www.zjs-online.com/dat/artikel/2023_6_1802.pdf) :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

paulmachtexamen
21.5.2025, 11:52:26
An einer Lösung der Kausalitätsproblematik über die
Mittäterschaftkritisiert hL, dass für diese selbst schon ein kausaler Tatbeitrag nötig sei. Für
Mittäterschaftmangele es zudem häufig an einem gemeinsamen
Tatentschluss. Auch der Fall der fahrlässigen Begehung sei durch die
Mittäterschaftnicht zu lösen. Aber hat die hL einen Gegenvorschlag um die Kausalitätsproblematik zu lösen?