Lederspray-Variante 2 (Kausalität des zustimmenden Gremienmitglieds bei einer Mehrheit von mehr als einer Stimme)


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Der Beschluss der fünf Gesellschafter G1-G5 der L GmbH, das Lederspray trotz Gesundheitsgefahr weiterhin zu vertreiben, ergeht mit deutlicher Mehrheit. G1, G2, G3 und G4 stimmen dafür, G5 stimmt dagegen.

Einordnung des Falls

Lederspray-Variante 2 (Kausalität des zustimmenden Gremienmitglieds bei einer Mehrheit von mehr als einer Stimme)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei schlichter Anwendung der conditio-Formel war die Ja-Stimme des G1 kausal für den Beschluss und damit für den Erfolgseintritt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei Kollektiventscheidungen in Gremien ist zwischen zwei Stufen der Kausalitätsfeststellung zu unterscheiden. Es ist (1) zu fragen, ob jeder einzelne an der Mehrheitsentscheidung Beteiligte den Beschluss kausal verursacht hat. Zum anderen (2) ist festzustellen, ob der Beschluss für die eingetretene Rechtsgutsverletzung kausal geworden ist. Die Kausalität des Beschlusses für den Erfolg lässt sich nach der conditio-Formel bestimmen: Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.(1) Würde man die Ja-Stimme von G1 hinwegdenken, wäre der notwendige Mehrheitsbeschluss trotzdem zustande gekommen. Infolge der drei Ja-Stimmen von G2-4 wäre immer noch ein Mehrheitsbeschluss gefasst und infolgedessen das Spray vertrieben und K geschädigt worden. Damit führt die schlichte Anwendung der Conditio-Formel zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass G1 einwenden könnte, seine Stimme sei für den Beschluss nicht kausal gewesen.

2. Die Ja-Stimme des G1 ist für den Erfolgseintritt in Form kumulativer Kausalität ursächlich.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Handlung ist nach der conditio-Formel kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.Kumulative Kausalität liegt vor, wenn zwei voneinander unabhängige Handlungen den Erfolg, den sie jeweils isoliert betrachtet nicht erzielen könnten, erst durch ihr zusammenwirken herbeiführen. Dabei ist zu beachten, dass die conditio-Formel bei kumulativer Kausalität nicht modifiziert wird. Die Ja-Stimme des G1 ist nur in Kombination mit den denen der G2-4, also kumulativ, wirksam. Der Beschluss wäre aber unabhängig von der Größe der Stimmmehrheit mit demselben Inhalt beschlossen worden, sodass sich die über die erforderliche Mehrheit hinausgehenden Stimmen gerade nicht auf den Erfolg bei K ausgewirkt haben. Die Stimme des G1 lässt sich hinwegdenken, ohne dass der Beschluss in seiner konkreten Gestalt entfiele.

3. Die Ja-Stimme des G1 ist für den Erfolgseintritt in Form alternativer Kausalität ursächlich geworden.

Nein!

Verursachen zwei voneinander unabhängige Handlungen gleichzeitig den Erfolg und hätte jede für sich zur Erfolgsverursachung ausgereicht (alternative Kausalität), modifiziert die hM die Formel: Von mehreren Handlungen, die alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, ist jede erfolgsursächlich. Kennzeichnend für die alternative Kausalität ist, dass jede der Bedingungen alternativ wirkt, d.h. bei Wegdenken der anderen Bedingungen selbst zum Erfolg führen könnte.Jede einzelne der Ja-Stimmen kann alternativ hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele, nicht aber alle Ja-Stimmen kumulativ, weil dann kein Beschluss zustande gekommen wäre. Eine Ja-Stimme allein genügt indes nicht und führt ohne die anderen Stimmen nicht zum Beschluss.

4. Die Ja-Stimme des G1 ist für den Erfolg in Form einer Kombination aus kumulativer und alternativer Kausalität ursächlich geworden.

Genau, so ist das!

Alternative Kausalität liegt vor, wenn von mehreren Handlungen, die alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, jede erfolgsursächlich ist (sog. modifizierte conditio-Formel). Kumulative Kausalität liegt vor, wenn zwei voneinander unabhängige Handlungen den Erfolg, den sie jeweils isoliert betrachtet nicht erzielen könnten, erst durch ihr zusammenwirken herbeiführen. Kumulativ: Jede Ja-Stimme bewirkt zwar nicht allein den Beschluss, aber kumulativ mit so vielen anderen Ja-Stimmen wie für eine Mehrheit erforderlich. Alternativ: Wenn G1 neben G2 und G3 zustimmt und die mehrheitskonstituierende Stimme abgibt, erscheint G4's Stimme als überzählig. Die Stimmen von G1 und G4 können alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden. Führt man die Maßstäbe beider Varianten zusammen, lässt sich so eine Kausalität feststellen.

5. Nach der Rspr ist die Stimme des G1 für den Erfolg mittels gegenseitiger Zurechnung der anderen Ja-Stimmen im Wege der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) ursächlich geworden.

Ja, in der Tat!

BGH: Bei Kollektiventscheidungen in Gremien werde jedem Gesellschafter das Verhalten der Mehrheit, die für das Inverkehrbringen gestimmt hat, aufgrund bestehender Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) zugerechnet. BGH: Die Stimme von G1 sei im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den anderen Ja-Stimmen ursächlich geworden. Daran kritisiert die Literatur, dass die Voraussetzungen der Mittäterschaft (gemeinsamer Tatplan und Tatherrschaft) regelmäßig nicht vorlägen und diese Lösung auch bei Fahrlässigkeitsdelikten (wo Mittäterschaft unmöglich ist) versage. Sie bewertet die Lösung des BGH als "Trick", um die Kausalitätsfrage zu umgehen.

6. Anders als die wohl hL kommt die Rspr zu dem Ergebnis, dass auch G5 das Verhalten der Mehrheit zugerechnet wird (§ 25 Abs. 2 StGB).

Nein!

BGH: Bei Kollektiventscheidungen in Gremien wird jedem Gesellschafter das Verhalten der Mehrheit, die für das Inverkehrbringen gestimmt hat, aufgrund bestehender Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) zugerechnet. BGH: Alle Gremiumsmitglieder haben die gleiche Pflicht, einen rechtskonformen Beschluss zu treffen. Jeder Einzelne hat alles ihm Mögliche und Zumutbare zu unternehmen, um einen solchen Beschluss zu erreichen. G5 hat durch sein Votum gegen das Vertreiben des Sprays zum Ausdruck gebracht, dass er das Spray nicht in Umlauf bringen will. Ihm fehlt es somit an einem bedingten Vorsatz und folglich auch am gemeinsamen Tatentschluss (§ 25 Abs. 2 StGB). Hätten alle Gesellschafter geheim abgestimmt, wäre im Nachhinein nicht feststellbar, wer die rechtskonforme Stimme abgegeben hat. In diesem Fall müsste man alle in dubio pro reo freisprechen.

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