Pflichtengebundener Geschäftsführer II - Abschleppunternehmer


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Als E von der Arbeit nach Hause kommt, stellt er verärgert fest, dass ein fremdes Auto in seiner Einfahrt steht. E lässt es von Abschleppdienst A abschleppen. Wie besprochen verlangt A hierfür € 300. Später stellt sich heraus, dass das Auto dem P gehört und er es dort geparkt hatte.

Einordnung des Falls

Pflichtengebundener Geschäftsführer II - Abschleppunternehmer

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat einen Anspruch auf Zahlung der Abschleppkosten in Höhe von €300 gegen E aus § 631 Abs. 1 BGB.

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Ja!

Nach § 631 Abs. 1 BGB wird durch den Werkvertrag der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Indem E dem Abschleppdienst A den Auftrag erteilte, das Auto des P abzuschleppen, und A diesen Auftrag annahm, haben A und E einen Werkvertrag geschlossen. Als Vergütung waren € 300 vereinbart.

2. Das Abschleppen stellt für A ein auch-fremdes Geschäft dar.

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Genau, so ist das!

Ein auch-fremdes Geschäft fällt nach außen erkennbar sowohl in den Rechts- und Interessenkreis eines anderen, als auch in denjenigen des Geschäftsführers selbst.Die Entfernung eines ohne Erlaubnis auf einem Privatgrundstück geparkten Autos ist ein Geschäft desjenigen, der es dort abgestellt hat. Er ist nach § 862 Abs. 1 S. 1 und nach § 1004 BGB als Störer gegenüber dem Grundstückseigentümer dazu verpflichtet, die Störung zu beseitigen. Für einen stattdessen beauftragten Abschleppunternehmer ist das Abschleppen somit ein fremdes Geschäft. Da er zu dessen Durchführung gleichzeitig vertraglich verpflichtet ist, liegt auch ein eigenes Geschäft vor.

3. Der Fremdgeschäftsführungswille wird nach Auffassung des BGH widerlegbar vermutet.

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Ja, in der Tat!

Der Fremdgeschäftsführungswille wird laut BGH bei auch fremden Geschäften genauso wie bei objektiv fremden Geschäften grundsätzlich widerlegbar vermutet. Eine gegebenenfalls hierdurch zu weitreichende Bejahung von Ansprüchen aus GoA werde durch wertende Korrekturen an anderen Stellen verhindert. Das Abschleppen stellt ein für A auch-fremdes Geschäft dar. Dieser Lösungsweg entspricht der BGH-Rechtsprechung. Nach Ansicht der Literatur wird der Fremdgeschäftsführungswille bei auch fremden Geschäften dagegen nicht widerlegbar vermutet, sondern muss positiv festgestellt werden. Vorliegend deutet nichts darauf hin, dass A Fremdgeschäftsführungswillen hatte. Vielmehr handelte er wohl mit Eigengeschäftsführungswillen, weil er seine vertragliche Verpflichtung gegenüber E erfüllen wollte.

4. Die Grundvoraussetzungen einer echten GoA nach § 677 BGB sind erfüllt.

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Ja!

Nach § 677 BGB setzen Ansprüche aus echter GoA (egal, ob berechtigt oder unberechtigt) voraus, dass ein Geschäftsführer (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen ausführt, (3) ohne vom Geschäftsherrn beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Das Abschleppen des Autos stellt für A ein auch-fremdes Geschäft dar. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet. P hat A weder zum Abschleppen beauftragt, noch war A gegenüber P sonst dazu berechtigt.

5. Das Abschleppen des Autos stellt eine berechtigte GoA im Sinne des § 683 S. 1 BGB dar.

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Genau, so ist das!

Eine GoA ist nach § 683 S. 1 BGB berechtigt, wenn sie dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Der wirkliche Wille des Geschäftsherrn ist dabei stets vorrangig zu prüfen. Sein mutmaßlicher Wille wird erst relevant, wenn sein wirklicher Wille nicht ermittelbar ist, weil er diesen nicht geäußert hat. Der mutmaßliche Wille des Geschäftsherrn ergibt sich in der Regel aus seinem objektiven Interesse. Der P konnte seinen Willen nicht äußern, da er abwesend war. Das Abschleppen entsprach Ps objektivem Interesse. Hierdurch wurde er von seiner Beseitigungspflicht § 862 Abs. 1 S. 1 und nach § 1004 BGB befreit.

6. Es besteht ein Aufwendungsersatzanspruch des A gegen P aus GoA nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB.

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Nein, das trifft nicht zu!

Laut BGH werde eine zu weitreichende Bejahung von Ansprüchen aus GoA durch die Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens bei auch fremden Geschäften durch Korrekturen an anderen Stellen verhindert. Eine solche Korrektur kann unter anderem in den Fällen des pflichtgebundenen Geschäftsführers vorzunehmen sein, in denen der Geschäftsführer aufgrund eines Vertrages mit einem Dritten zur Ausführung des Geschäfts verpflichtet ist. Sofern dieser Vertrag die Rechte und Pflichten des Geschäftsführers und insbesondere die Entgeltfrage umfassend regle, werde ein Aufwendungsersatzanspruch aus GoA verdrängt. Der Vertrag zwischen E und A regelt die Entgeltfrage.

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Antonia

Antonia

10.9.2022, 17:28:38

Klasse Kapitel! 🤗

Nora Mommsen

Nora Mommsen

12.9.2022, 12:37:22

Hallo Antonia, danke für das tolle Lob! Das motiviert uns mit Hochdruck neue Inhalte zu erstellen. :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

JU

Jurapro

25.10.2022, 18:38:16

Ich bin auch begeistert :-) Dankeschön! Ich hab die Thematik durch die sicher widerholenden Übungen und den guten Aufbau jetzt viel besser verstanden als vorher.

PA

patriciak25

3.2.2023, 17:18:16

Erstmal vielen Dank für das tolle Kapitel! :) ich hab eine kleine Aufbau Frage - wo würdet ihr denn diese Ansicht einbauen? Also dass der Aufwendungsersatzanspruch verdrängt wird in solchen Konstellationen. Die lit. Verneint ja bereits den Fremdgeschäftsführungswillen

Nora Mommsen

Nora Mommsen

4.2.2023, 09:54:18

Hallo patricik25, wenn man der Literatur folgt und bereits den Fremdgeschäftsführungswillen verneint kommt man zu der Frage natürlich mangels Aufwendungsersatzanspruch gar nicht mehr. Richtigerweise würde man Konkurrenzfragen wie man sie von der cic kennt, zu Beginn einer Anspruchsprüfung anbringen. Vorliegend handelt es sich aber um eine klassische BGH Lösung - der BGH diskutiert die Frage am Ende des Anspruchs, mehr wie eine tatbestandliche Korrektur. Dem kann man sich gut anschließen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

CR7

CR7

31.7.2023, 17:16:11

Und E muss dann gegen P vorgehen. Was wäre hier dann die AGL? Vertraglich ist nichts zu erkennen, kommt dann auch wieder eine GoA E → P in Betracht?

LL

Leo Lee

2.8.2023, 16:16:36

Hallo rlxxss, E hat tatsächlich keine vertraglichen Ansprüche gegen den P. Jedoch stehen ihm folgende AGLen zur Seite: I. 683 1, 670 (da der E "für" den P seine Wegfahrpflicht aus 1004, 862 durchsetzt als ein "auch-fremdes" Geschäft) II. 823 I (da der P den berechtigten Besitz des E an der Nutzung der Fläche beeinträchtigt) III. 823 II i.V.m. 858 I BGB (wobei streitig ist, ob 858 I überhaupt ein Schutzgesetz i.S.d. 823 II darstellt). hierzu kann ich dir den sehr instruktiven Fall des BGHs vom 05.06. 2009 - V ZR 144/08 empfehlen :) Liebe Grüße Leo @Lukas Mengestu

LL

Leo Lee

2.8.2023, 16:38:20

@[Lukas_Mengestu](136780)


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