Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2019

Kein Ausschluss des Widerrufsrechts nach Entfernung der Schutzfolie einer Matratze

Kein Ausschluss des Widerrufsrechts nach Entfernung der Schutzfolie einer Matratze

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft bei Onlinehändler B eine Matratze zu privaten Zwecken. Die Matratze ist mit einer Schutzfolie versehen. K entfernt die Schutzfolie. Anschließend schreibt er B, er müsse die Matratze leider zurücksenden und verlangt Rückzahlung des Kaufpreises.

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Einordnung des Falls

Kein Ausschluss des Widerrufsrechts nach Entfernung der Schutzfolie einer Matratze

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann von B Rückzahlung des Kaufpreises verlangen, wenn K den Kaufvertrag wirksam widerrufen hat (§§ 355, 312g BGB).

Ja, in der Tat!

Anspruchsgrundlage für den Rückzahlungsanspruch des K ist § 355 Abs. 3 S. 1, Abs. 1 S. 1 i.V.m. §§ 312g, 312c BGB. Voraussetzung ist zunächst das Bestehen eines Widerrufsrechts (§§ 355 Abs. 1 S. 1, 312g Abs. 1 BGB).
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2. Die Voraussetzungen des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 1 BGB liegen vor.

Ja!

Das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB setzt einen Verbrauchervertrag über eine entgeltliche Leistung voraus (§§ 312 Abs. 1, 310 Abs. 3 BGB). K kauft die Matratze zu privaten Zwecken und ist somit Verbraucher (§ 13 BGB), während B als Händler Unternehmer ist (§ 14 BGB). Der Onlinekauf stellt auch einen Fernabsatzvertrag dar (§ 312c BGB). K hat grundsätzlich ein Widerrufsrecht.

3. Das Widerrufsrecht ist ausgeschlossen bei Verträgen über versiegelte Waren, die bei Entfernung der Versiegelung aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind (§ 312g Abs. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Dieser Ausschluss des Widerrufsrechts ist in § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB geregelt. EuGH: Grund für diese Ausnahme sei, dass die betreffende Ware nach einer Rücksendung für den Unternehmer endgültig nicht mehr verkaufsfähig sei (EuGH, Urteil vom 27.03.2019 - C-681/17 -, juris, RdNr. 40).

4. Zu einer für die nationalen Gerichte verbindlichen Auslegung der Vorschrift des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB ist allein der EuGH berufen, wenn es sich bei der Vorschrift um Unionsrecht handelt.

Ja, in der Tat!

BGH: Die Vorschrift des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB beruhe auf einer nahezu wortgleichen Formulierung des Art. 16 Buchstabe e. der Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechterichtlinie). Diese Richtlinie sei nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers vollständig umgesetzt worden (RdNr. 16). Zur verbindlichen Auslegung von Unionsrecht sei allein der Europäische Gerichtshof berufen (RdNr. 17). Daher hat der BGH dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine versiegelt gelieferte Matratze unter die Ausnahmevorschrift des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB falle. An die Auslegung des EuGH seien die nationalen Gerichte gebunden (RdNr. 21).

5. Das Widerrufsrecht des K ist ausgeschlossen, weil die in Schutzfolie verpackte Matratze unter die Vorschrift des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB fällt.

Nein!

EuGH: Eine Matratze falle nicht unter den Ausnahmetatbestand des Art. 16 Buchstabe e. der Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechterichtlinie) (=§ 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB). Sie könne, wie beispielsweise Kleidung, auch nach Kontakt mit dem menschlichen Körper noch verwendet werden. Es bestehe die Möglichkeit, Matratzen so zu reinigen und zu desinfizieren, dass sie für eine Wiederverwendung durch einen Dritten und damit für ein erneutes Inverkehrbringen geeignet seien. Den Erfordernissen der Hygiene werde so genügt. Dies ergebe sich bereits daraus, dass es einen Markt für gebrauchte Matratzen gebe; außerdem diene dieselbe Matratze aufeinanderfolgenden Hotelgästen (EuGH, Urteil vom 27.03.2019 - C-681/17 -, juris, RdNr. 42ff.)

6. K hat wirksam den Widerruf erklärt, indem er B sagte: „Ich muss die Matratze leider an Sie zurücksenden.“

Genau, so ist das!

Der Widerruf wird durch eine Erklärung des Verbrauchers an den Unternehmer erklärt, aus der der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf eindeutig hervorgehen muss (§ 355 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB). BGH: Allerdings dürften an die Annahme eines Widerrufswillens keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Der Widerruf müsse nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden. Die Erklärung, die Ware leider zurücksenden zu müssen, reiche aus, wenn ein weiterer Anlass zur Rücksendung - etwa eine Mängelrüge - nicht ersichtlich sei (RdNr. 26f.).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

HAN

Hanna

12.2.2020, 09:31:54

Die Fragestellung zur Auslegung des § 312g BGB durch EuGH ist nicht deutlich genug formuliert.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

12.2.2020, 09:41:30

Inwiefern?

HAN

Hanna

12.2.2020, 09:59:01

Hätte man wissen sollen, dass es sich dabei um eine Umsetzung der RL handelt? Vielleicht wäre es besser erst vorab zu erwähnen, dass 312g eine Umsetzung der RL ist und anschließend zu fragen, ob EuGH für die Auslegung dieses Norm zuständig ist.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

25.2.2020, 13:32:24

Danke für den Vorschlag! Aber das sollte man uE wissen.

LEÓ

León

19.4.2020, 08:11:17

Ich denke nicht, dass es zum Wissensstand eines Examenskandidaten gehören muss, welche Normen im BGB genau umgesetzt wurden und welche nicht.

JEX

Jessy xy

12.2.2020, 21:02:10

Warum ergibt sich der Anspruch auf Rückzahlung aus §355 I 3 BGB und nicht aus § 357 I BGB?

TR

Tr(u)mpeltier

1.4.2020, 13:28:18

Liebe Jessy xy, der grundsätzliche Anspruch auf Rückabwicklung der gegenseitigen Leistungen ist in § 355 Abs 3 S. 1 BGB normiert. Die §§ 357 ff. BGB konkretisieren dies nur für die unterschiedlichen Widerrufsfälle. Ist der Unterschied nun etwas klarer?

JEX

Jessy xy

1.4.2020, 13:31:30

Aber dann wäre ja, je nach Widerrufsfall, der jeweilige Paragraph spezieller, oder nicht?

EL

Elisabeth

1.6.2020, 08:59:15

Nein, die §357 ff. regeln qua Überschrift nur die „Rechtsfolgen“ des Verbraucherwiderrufs, die je nach Vertragstyp -in etwas komplizierter Weise- divergieren. Bevor Folgen eines Rechts vorliegen, muss das Recht an sich erstmal bestehen, und da ist dir Grundnorm §355 I S.1 BGB. Dieses Recht muss unabhängig vom Vertragstypus immer vorliegen. Oft wird durch Gesetz (dort wo die speziellen Verträgt geregelt sind. Zb §312g I oder §495) auf §355 I verweisen, das müsste dann eine entsprechende Anwendung von §355 I sein, so auch im vorliegenden Fall in §312g I. Habe mich auch schon gefragt, was dann die beste Zitierweise dieser extrem langen Ketten ist, schätze jedoch mit der Verweisungsnorm zu beginnen? Also §§ 312g I i.V.m. 355 I S1 BGB ?

EL

Elisabeth

1.6.2020, 09:03:51

Und nachdem ich festgestellt habe, dass ein WiderrufsR entstanden und nicht erloschen ist, müsste ich dann die 357 ff. prüfen... ?

Isabell

Isabell

13.2.2020, 13:47:48

Warum wird in der Antwort zum europarechtlichen Ursprung der Konjunktiv verwendet?

EL

Elisabeth

1.6.2020, 08:42:56

Soweit ich weiß, werden vorm EuGH nur „Rechtsfragen“ verhandelt (bin aber nicht sicher?), aber jedenfalls sind Vorlagefragen noch abstrakter, weil die Fragen gerade nicht auf den spezifischen Fall ausgerichtet sein dürfen, sondern noch viel mehr nur die Auslegung des Rechts/Rechtsfrage in dem konkreten Fall betreffen. Folglich ist die Fragestellung losgelöst von einem konkreten Fall und „muss“ deswegen ja im Konjunktiv stehen, oder zumindest im „würde eine solche Konstellation vorliegen, dann müsste die Auslegung von XY so vorzuziehen sein .... „ Unter dem Vorbehalt dass diese Streitfrage zu entscheiden wäre, müsste.... „

Isabell

Isabell

25.6.2020, 09:59:05

Spannend. Dankeschön!

EL

Elisabeth

29.6.2020, 15:46:34

Übrigens: inzwischen habe ich gelernt, wenn die Vorlagefrage zu konkret gestellt wäre, dann kann der EuGH sei abstrakt umdeuten, also d.h. an der

statthaftigkeit

wird es wegen der Frage nicht scheitern.

NJGHD

NJGHD

10.3.2021, 14:07:54

Streng genommen legt der EuGH ja nur die RL und nicht den 312g aus, oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.3.2021, 11:16:43

Absolut richtig! Der EuGH ist dazu berufen, über Unionsrecht zu entscheiden und hat in seinem Urteil streng genommen nicht über § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB entschieden, sondern über Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83. Da diese indes vom deutschen Gesetzgeber vollständig umgesetzt wurde, ist durch die Entscheidung des EuGH letztlich auch die Auslegung des § 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB vorgezeichnet. Zur sprachlichen Vereinfachung haben wir das nur einmal in Frage 4 erläutert, aber in der Tat könnte in den nachfolgenden Fragen der Eindruck entstehen, dass der EuGH nationales Recht auslegt, was natürlich nicht sein sollte. Wir haben das jetzt nochmal versucht zu verdeutlichen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

roya

roya

30.5.2021, 14:19:51

Das Ganze wurde dem EuGH auf Grundlage des 267 Abs. 3 AEUV vorgelegt, oder?

Tigerwitsch

Tigerwitsch

30.5.2021, 16:27:35

Ja, richtig 👍🏻 Siehe dazu nur den entsprechenden Beschluss des BGH vom 15.11.2017 - AZ.: VIII ZR 194/16 (https://openjur.de/u/973472.html). Der EuGH hat sodann mit Urteil vom 27.03.2019 - Rs. C-681/17 („slewo ./. Ledowski“) entschieden: „Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass eine Ware wie eine Matratze, deren Schutzfolie vom Verbraucher nach der Lieferung entfernt wurde, nicht unter den Begriff ‚versiegelte Waren …, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde’ im Sinne dieser Vorschrift fällt.“

BBE

bibu knows best

28.8.2022, 08:43:11

Für gebrauchte Kleidung gibt es doch auch einen Markt :D getragene Kleidung kann ebenfalls gewaschen und chemisch gereinigt werden..

Pilea

Pilea

26.2.2023, 08:54:50

Auf der ersten slide zur Hygienevorschrift wurde nicht §312g II Nr. 3, sondern § 312g III zitiert. Ist das richtig so, und wenn ja, warum?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

26.2.2023, 13:29:36

Hallo Pilea, zitiert wird allgemein der Absatz 2, ohne Nennung einer Ziffer. Sind dir noch Frage offen? Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

26.2.2023, 14:20:59

Entschuldigung, das muss ein Versehen meinerseits sein. Nein, keine Fragen offen.


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