Amtshaftungsanspruch wegen fehlenden Kita-Platzes?

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K findet für ihre einjährige Tochter T in Leipzig keinen Kitaplatz, obwohl sie sich rechtzeitig bei Betreuungseinrichtungen angemeldet hat. Die Stadt verweist auf Kapazitätsengpässe. K muss T selbst versorgen und die Elternzeit verlängern. Sie hat einen Verdienstausfall von 4.500 €.

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Einordnung des Falls

Amtshaftung wegen fehlendem Kita-Platz in Leipzig

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Betreuungsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII begründet ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis analog §§ 280, 311 BGB zwischen T und der Stadt. Daraus kann K Schadenersatz für Verdienstausfall verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse analog §§ 280, 311, 249 BGB setzen eine besonders enge Beziehung zwischen Staat und Bürger voraus, die eine Anwendung vertraglicher (Haftungs-)Vorschriften erfordert, etwa bei bestehenden Leistungs-/ Benutzungsverhältnissen (Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19.A. 2017, § 29 RdNr. 2). Der Betreuungsanspruch ist dem vorgelagert. BGH: Ein Schuldverhältnis scheide hier aus (RdNr. 10).
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2. K kann ihren Verdienstausfall als Aufwendung aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) ersetzt verlangen. K hat mit der Betreuung der T ein Geschäft der Stadt Leipzig vorgenommen.

Nein!

Die öffentlich-rechtliche GoA ist eine Sonderbeziehung analog §§ 677ff. BGB (Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19.A. 2017, § 29 RdNr. 12). Der Aufwendungsersatzanspruch analog §§ 683, 670 BGB setzt ein (auch) fremdes Geschäft voraus, die Geschäftsführung muss (zumindest auch) im rechtlichen Interesse eines anderen liegen (Sprau, in: Palandt, 77.A. 2018, § 677 RdNr. 4ff.). BGH: K führe durch die Kinderbetreuung kein (auch) fremdes Geschäft der Stadt Leipzig, sondern allein ein eigenes Geschäft. Sie nehme lediglich ihre ihr originär obliegende Pflicht zur elterlichen Sorge (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, § 1631 Abs. 1 BGB) wahr (RdNr. 14).

3. K kann Schadenersatz für ihren Verdienstausfall verlangen (§ 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG), wenn die Stadt schuldhaft eine Pflicht verletzt hat, die auch Ks Interessen schützen soll.

Genau, so ist das!

Der Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG setzt voraus, dass ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig eine drittschützende Amtspflicht verletzt und dadurch ein kausaler Schaden entstanden ist. Amtspflichten verpflichten Amtsträger, im Rahmen ihrer Amtsausübung bestimmte Handlungen vorzunehmen bzw. zu unterlassen. Drittschützend ist eine Amtspflicht, wenn sie – nicht nur, aber auch – nach ihrem Schutzzweck bezweckt, gerade das verletzte Rechtsgut und gerade den Geschädigten zu schützen (Sprau, in: Palandt, 77.A. 2018, § 839 RdNr. 31, 43f.).

4. Die Stadt Leipzig hat durch die Nichterfüllung des Betreuungsanspruchs eine Amtspflicht verletzt (§ 839 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

BGH: Mit dem Betreuungsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII korreliere eine (Amts-)Pflicht des zuständigen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe sicherzustellen, dass jedem anspruchsberechtigten Kind, für das rechtzeitig ein Betreuungsbedarf angemeldet wurde, ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht. Den Amtsträger treffe eine unbedingte Gewährleistungspflicht. Die Amtspflicht bestehe nicht nur im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten. Der Amtsträger sei verpflichtet, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder etwa durch freie Träger bereitzustellen (RdNr. 17f.).

5. Die Amtspflicht bezweckt allein den Schutz des Kindes. Es fehlt am erforderlichen Drittschutz der Amtspflicht.

Nein!

So das Berufungsgericht. Anders der BGH: Nach Wortlaut, Systematik und Telos stehe der Betreuungsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII zwar allein dem Kind selbst zu. Dies hindere einen Drittschutz jedoch nicht, weil die Amtspflicht gerade auch den Zweck habe, Eltern und deren Erwerbsinteressen zu schützen (Schutzzweck der Norm). Der Gesetzgeber habe mit dem Betreuungsanspruch neben der Förderung des Kindeswohls auch die Entlastung der Eltern zugunsten der Erwerbstätigkeit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bezweckt (RdNr. 25ff.). Deshalb sei der Verdienstausfallschaden bei fehlendem Betreuungsplatz vom Schutzzweck erfasst (RdNr. 35).

6. Der spezielle Anspruch auf Ersatz elterlicher Aufwendungen für Kinderbetreuung analog § 36a Abs. 3 S. 1 SGB VIII lässt den Drittschutz der Amtspflicht entfallen.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 36a Abs. 3 S. 1 SGB VIII gewährt einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen, die dadurch entstehen, dass vom Jugendhilfeträger zu gewährende Hilfen vom Leistungsberechtigten selbst beschafft werden. Er gilt analog für Aufwendungen, die Eltern für die selbstständige Beschaffung von Kinderbetreuung entstehen. BGH: Der Anspruch sei allein gerichtet auf Aufwendungsersatz, wenn die Eltern die Kosten eines Betreuungsplatzes selbst übernehmen. Er schütze jedoch dann nicht, wenn Anstrengungen zur Selbstbeschaffung einer Betreuung erfolglos geblieben sind. Einen Anspruch auf Verdienstausfall gewähre der Anspruch gerade nicht (RdNr. 12f., 31).

7. T hat einen Betreuungsanspruch gegen die Stadt Leipzig aus § 24 Abs. 2 SGB VIII.

Ja, in der Tat!

Gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII haben Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege. Den Anspruch gibt es seit August 2013. Anspruchsgegner ist der örtlich und sachlich zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§§ 3 Abs. 2 S. 2, 69 Abs. 1, 85f. SGB VIII i.V.m. dem jeweiligen Landesrecht), hier die Stadt Leipzig.

8. K muss beweisen, dass die Stadt Leipzig vorsätzlich oder fahrlässig nicht alles unternommen hat, um die erforderlichen Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen.

Ja!

Bei § 839 Abs. 1 BGB trägt der Gläubiger (hier: K) die Beweislast auch für das Verschulden. Liegt eine Amtspflichtverletzung vor, genügt indes der Beweis eines Sachverhalts, der nach dem regelmäßigen Ablauf der Dinge folgern lässt, dass die Amtspflicht schuldhaft verletzt wurde (Anscheinsbeweis) (Sprau, in: Palandt, 77.A. 2018, § 839 RdNr. 84). BGH: Der Anscheinsbeweis sei geführt, wenn die Stadt Leipzig einen rechtzeitig beantragten Betreuungsplatz nicht zur Verfügung stellt. Zu dessen Erschütterung könne sie sich auf finanzielle Engpässe oder fehlende Kapazitäten nicht berufen. Der Betreuungsanspruch sei einschränkungslos ausgestaltet (RdNr. 40f.).
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