Zivilrecht

Bereicherungsrecht

Die Nichtleistungskondiktion

Analogie bei entgeltlicher, aber rechtsgrundloser Verfügung?

Analogie bei entgeltlicher, aber rechtsgrundloser Verfügung?

22. Mai 2025

18 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A leiht sich von B einen Habersack. Den Habersack verkauft und übereignet A direkt an D für €30 weiter. Bei Vertragsschluss täuscht A den D arglistig. Den Kaufvertrag ficht D später wirksam an (§ 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB).

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Einordnung des Falls

Analogie bei entgeltlicher, aber rechtsgrundloser Verfügung?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es liegt eine wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten vor.

Genau, so ist das!

Eine Verfügung ist jede Aufhebung, Übertragung, Belastung oder Inhaltsänderung eines bestehenden Rechts. Hierbei kann sich eine Wirksamkeit der Verfügung ausschließlich aus einem gutgläubigen Erwerb des Verfügungsempfängers (§§ 929 S. 1, 932 BGB) oder aus einer Genehmigung (§ 185 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB) der Verfügung durch den Berechtigten ergeben. Es legt eine wirksame Übereignung des A an D vor (§§ 929 S. 1, 932 BGB). A war Nichtberechtigter, da er nicht Eigentümer des Habersacks und auch nicht zum Verkauf ermächtigt war (§ 185 Abs. 1 BGB).
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2. Die Verfügung war unentgeltlich (§ 816 Abs. 1 S. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Verfügung ist unentgeltlich, wenn der Erwerber für die Leistung keine Gegenleistung erbringen muss. D hat für den Habersack vereinbarungsgemäß €30 bezahlt. Die Verfügung ist somit nicht unentgeltlich erfolgt. Dass der Rechtsgrund für die Verfügung weggefallen ist, ändert daran nichts.

3. Der unentgeltlichen Verfügung und der rechtsgrundlosen Verfügung liegt dieselbe Interessenlage zugrunde.

Nein!

Bei einer unentgeltlichen Verfügung ist der Erwerber nicht schutzwürdig gegenüber dem Berechtigten. Deshalb kann der Berechtigte den Erwerber direkt in Anspruch nehmen. Die Rückabwicklung hat hier nicht zwischen den Parteien zu erfolgen. Bei einer rechtsgrundlosen Verfügung hat der Erwerber etwas (den Kaufpreis) in das Rechtsverhältnis investiert. Den Kaufpreis muss er sich vom Nichtberechtigte mühsam zurückholen und trägt dessen Insolvenzrisiko. Hier liegt der Unterschied zur unentgeltlichen Verfügung. Deshalb ist der Erwerber schutzwürdig. Die Rückabwicklung hat zwischen den Parteien zu geschehen: Nichtberechtigter und Erwerber haben jeweils einen Anspruch auf Herausgabe des Erlangten nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.

4. § 816 Abs. 1 S. 2 BGB ist auf den Fall der rechtsgrundlosen Verfügung (analog) anzuwenden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Analogie hat drei Voraussetzung: (1) Es muss eine Regelungslücke bestehen. Diese muss (2) planwidrig sein. (3) Die Interessenlage muss vergleichbar sein. Der rechtsgrundlosen und der unentgeltlichen Verfügung liegt nicht dieselbe Interessenlage zugrunde (s.o.). Eine Analogie kommt nicht in Betracht.

5. Der Berechtigte hat gegen den Nichtberechtigten einen Anspruch auf Herausgabe des Erlangten (§ 816 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Dem Nichtberechtigten steht aus der rechtsgrundlosen Verfügung ein Herausgabeanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (Leistungskondiktion) zu. Es liegt eine wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten vor (s.o.). Erlangt hat der Nichtberechtigte aus der Verfügung den Bereicherungsanspruch gegen den Erwerber. Der Berechtigte hat also einen Anspruch auf Herausgabe (Abtretung) der Kondiktion aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB. (sog. Kondiktion der Kondiktion). Dies ist interessengerecht, weil sich der Erwerber so im Falle der Abtretung des Bereicherungsanspruchs an den Berechtigten immer noch auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen kann (§ 404 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

timstöckler

timstöckler

28.5.2022, 19:26:15

In der Aufgabe steht zwar, dass nur der Kaufvertrag angefochten wurde, jedoch ist es regelmäßig so, dass bei einer Anfechtung nach 123 Abs. 1 Alt. 1 auch die dingliche Willenserklärung nichtig ist, oder?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

7.6.2022, 18:29:53

Hallo timstöckler, danke für deine Frage. Nach dem Abstraktionsprinzip sind Verpflichtungs- und

Verfügungsgeschäft

getrennt zu betrachten. Die Wirksamkeit des einen hat damit keine Folgen für das andere Geschäft. Bei

Fehleridentität

leiden beide Geschäfte an dem gleichen Mangel. Bei

§ 123 BGB

wird die

Fehleridentität

angenommen, wenn der durch die

Täuschung

verursachte Irrtum beziehungsweise die durch

Drohung

bewirkte Zwangslage noch andauert. Ob das

Verfügungsgeschäft

jedoch anfechtbar ist, ist für die Fälle des § 119 BGB umstritten, in den Fällen des

§ 123 BGB

weitestgehend übereinstimmend bejaht bei Vorliegen von

Fehleridentität

. Damit kann auch das

Verfügungsgeschäft

nichtig sein. Ein Automatismus ist dies aber keineswegs, vielmehr bleibt es bei der Unabhängigkeit der Wirksamkeit beider Geschäfte. Das

Verfügungsgeschäft

muss gesondert angefochten werden. Mitunter ist dies

konkludent

erfolgt oder kann entsprechend ausgelegt werden gem.

§§ 133, 157 BGB

. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

RAP

Raphaeljura

14.9.2023, 23:02:48

Das Konstrukt der Kondiktion aus Kondiktion ist ja mal richtig cool! Toll aufbereitet

DIAA

Diaa

15.10.2023, 07:21:17

"Nichtberechtigter und Erwerber haben jeweils einen Anspruch auf Herausgabe des Erlangten nach $ 812 Abs. 1 8. 1Alt. 1BCB" Gegen wen hat der Erwerber einen Anspruch? Oder der Nichtberechtigte? Bei der dritten oder vierten Frage fehlt das Wort analog...

D34

D34

3.11.2023, 11:50:21

Der Erwerber müsste gegen den Nichtberechtigten einen Anspruch auf Rückgewährung des Eigentums und Besitzes am

Geld

haben. Das hatte der Nichtberechtigte ja für durch Leistung des Erwerbers erlangt und der Rechtsgrund ist durch die Anfechtung entfallen.

Irina95

Irina95

15.2.2024, 07:40:15

Kann mir das nochmal jemand erklären, was genau mit Kondition der Kondition gemeint ist?

BE

Bioshock Energy

18.3.2024, 10:18:27

Das bedeutet einfach nur das in der vorliegenden Fallkonstellation der Berechtigte den

bereicherungsrecht

lichen Anspruch des Nichtberechtigten gegen den Erwerber (§ 812 I S. 1 Alt. 1), den der Nichtberechtigte ja durch das

Rechtsverhältnis

mit dem Erwerber erlangt hat, kondizieren also herausverlangen kann. Er kondiziert (=verlangt) also den Kondiktionsanspruch (=Herausgabeanspruch) des Nichtberechtigten gem. § 816 I S. 1. Dies geschieht durch Abtretung, da Forderungen ja nicht klassisch übergeben werden können. Ich hoffe das war einigermaßen verständlich. Liebe grüße.

VALA

Vanilla Latte

21.7.2024, 03:14:05

Wie würde das dieLiteratur prüfen, die die Kondiktion derKondiktion ablehnt?

FW

FW

14.11.2024, 13:50:25

Hi, wenn jetzt aufgrund der Anfechtung die wechselseitig erlangten

bereicherungsrecht

lichen Ansprüche bereits erfüllt wären - mithin der Erwerber seine 30€ wieder erlangt hat - dann wäre die Verfügung ja im Endeffekt wieder unentgeltlich erfolgt und somit könnte dem Eigentümer ein Anspruch direkt aus § 816 I 2 BGB zustehen, oder?

FW

FW

14.11.2024, 13:52:10

Hi, Welche Ansprüche würden bestehen, wenn die

bereicherungsrecht

lichen Ansprüche aufgrund der Anfechtung bereits erfüllt wären?

Major Tom(as)

Major Tom(as)

21.11.2024, 09:32:38

Ich gebe einfach mal meine Einschätzung ab, bevor Jurafuchs sich meldet, hatte das Thema erst letztens in einer Hausarbeit: Das kann man so leicht nicht beantworten. Es käme hier nämlich bzgl. der

Übereignung

der Leihsache zur Fallgruppe des sog "

Rückerwerb des Nichtberechtigten

". Dabei ist stark umstritten, ob und wenn ja, wie, der ursprüngliche Eigentümer bei einem "Innen

verkehrsgeschäft

" wie hier (Rückerwerb erfolgt im direkten Zusammenhang zur gutgläubigen Veräußerung) "automatisch" Eigentum erwirbt. Dabei wird zB ein

Geschäft für den den es angeht

angenommen/ dass der Käufer ohnehin "an den ursprünglichen Eigentümer zurückübereignen wollte" u.v.m oder aber auch, dass es eben nicht möglich ist. Also könnte man entweder annehmen, dass der Ursprungseigentümer ohnehin Eigentum hat...

Major Tom(as)

Major Tom(as)

21.11.2024, 09:38:28

Oder Wenn man annimmt, der Nichtberechtigte erwirbt Eigentum (Dieser Kommentar ist anders als das oben, was ich verlässlich weiß, meine persönliche Vermutung, gerne checken @[Jurafuchs](137809)) dann kann die Sache 1) aus dem Leihvertrag zurückgefordert werden (jdf der Besitz, es könnte allerdings mit § 242

dolo agit

wegen §985 problematisch sein) und 2)

bereicherungsrecht

lich für Eigentum und Besitz käme mE entweder § 812 I 1 Alt. 2 infrage (Ausnahme vom

Vorrang der Leistungskondiktion

mangels Schutzwürdigkeit) oder §

816 II
Esther

Esther

15.2.2025, 13:10:53

Wieso wird §

988 BGB analog

für den rechtsgrundlosen Erwerb angewandt (mit der Argumentation, dass es eine vergleichbare Interessenlage ist) und dann hier abgelehnt - mit der gleichen Argumentation, nur andersrum? Ist das nicht widersprüchlich?

David

David

28.4.2025, 12:36:27

Hallo, warum wurde vorliegend nicht angenommen, dass die Verfügung des A an D aufgrund der arglistigen

Täuschung

des A (§ 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB) sowie der darauffolgenden Anfechtung durch D in Anbetracht der

Fehleridentität

ebenfalls unwirksam war? Oder kam es hierbei nicht darauf an, da der Berechtigte auch im hiesigen Fall durch die Geltendmachung seines Anspruchs aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB die Verfügung ohnehin

konkludent

genehmigt hat? Vielen Dank im Voraus!


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