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Klassisches Klausurproblem

Versehentlich schickt Unternehmerin U ihrer deutschen Arbeitnehmerin A eine in türkischer Sprache verfasste Kündigung. A liest das Schreiben, versteht aber inhaltlich kein Wort und weiß nicht, worum es sich dabei handelt.

Einordnung des Falls

Kündigung auf Türkisch an deutsche Arbeitnehmerin

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kündigung an A ist wirksam geworden.

Nein, das trifft nicht zu!

Empfangsbedürftige Willenserklärungen werden wirksam mit Zugang (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Zugang (Phase 3) liegt bei verkörperten W vor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist.Bedingt durch die hier unübliche Abfassung auf Türkisch war es für A unmöglich, von der Kündigung Kenntnis zu nehmen. Das Risiko des Einsatzes einer unüblichen Sprache trägt der Erklärende. Die übliche Sprache richtet sich nach dem Einzelfall und hängt davon ab, in welcher Sprache die Vertragsverhandlungen geführt werden.

2. Die Kündigung an A wird wirksam, wenn A sie sich von ihrer Freundin F auf Deutsch übersetzen lässt.

Ja!

Tatsächliche Kenntnisnahme (Phase 4) bewirkt immer den Zugang. Der Erklärende kann unter normalen Umständen aber nicht damit rechnen, dass sich der Empfänger eine Erklärung in einer Sprache, mit der er nicht zu rechnen braucht, übersetzen lässt.Wenn A sich die Kündigung tatsächlich übersetzen lässt, wird sie wirksam.

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QUIG

QuiGonTim

28.1.2022, 11:54:03

Könnte man hier nicht schon am objektiven Tatbestand der Willenserklärung scheitern? Dieser ist jedenfalls dann erfüllt, wenn für einen objektiven Dritten in der Rolle des Erklärungsempfängers ersichtlich ist, dass der Erklärende ein ganz bestimmtes Rechtsgeschäft abschließen will. Im vorliegenden Fall kann von einem objektiven Dritten in der Rolle der A kein Verständnis der türkischen Sprache erwartet werden. Es wäre dem objektiven Dritten also nicht möglich zu erkennen, dass es sich bei dem Schreiben überhaupt um eine rechtlich erheblich Erklärung handelt. Der objektive Tatbestand der WE ist mithin nicht erfüllt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

31.1.2022, 18:31:47

Hallo QuiGonTim, sehr gute Überlegung! In der Tat wird teilweise vertreten, dass die Sprachbarriere nicht als Zugangsproblem, sondern bereits bei der Frage zu verorten ist, wie die Erklärung ausgelegt werden muss (vgl. Einsele, in: MüKo-BGB, 9.A. 2021, § 130 RdNr. 32). Dagegen wird eingewandt, dass gerade Parteien in einem Schuldverhältnis gehalten seien, sich um das Verständnis der Erklärungen zu bemühen und ggfs. einen Übersetzer einschalten. Jedenfalls dann, wenn eine Sprache verwendet wird, von der der Erklärende nicht erwarten kann, dass der Empfänger sie versteht, soll stattdessen der Zugang nach hinten verschoben werden, bis Kenntnis vorliegt (vgl. Gomille, in: BeckOGK-BGB, 1.4.2020, § 130 RdNr. 85 ff.). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DEL

deliaco

10.1.2024, 23:45:15

Leider habe ich keinen Zugang. zu BeckOGK, sodass ich die Argumentation nicht nachlesen kann. Daher folgende Frage: Ist der Empfänger stets gehalten, sich um das Verständnis der Erklärung zu bemühen? In der Lösung habt ihr nämlich geschrieben, dass der Erklärende i.d.R. nicht mit Übersetzung rechnen darf, wenn der Empfänger nicht mit der Kündigung zu rechnen braucht. Oder verstehe ich hier etwas falsch? Ich würde mir eine nähergehende Erläuterung, ggf. + Argumente für die jeweilige Ansicht zum besserem Verständnis wünschen.

FABY

Faby

1.4.2022, 14:54:51

In der Lösung steht "tatsächliche Kenntnisnahme bewirkt immer den Zugang". Das ist ja aber nicht der Fall bei der Willenserklärung, die nur durch Zufall dem richtigen Empfänger zugeleitet wird (vgl. Fall mit dem Notar) 😊

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.4.2022, 15:23:50

Hallo Faby, der Zugang liegt bei tatsächlicher Kenntnisnahme durchaus vor. Allerdings setzt die Wirksamkeit einer solchen Erklärung neben dem Zugang auch die zielgerichtete Abgabe voraus. Diese hatte in dem Fall, in dem der Rücktritt gegenüber dem Notar ausgeübt wurde nicht vorgelegen, da diese Willenserklärung gegenüber dem Verkäufer hätte erfolgen müssen. Trotz Zugang ist die Willenserklärung in diesem Fall deshalb unwirksam gewesen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

FABY

Faby

1.4.2022, 15:31:16

Hey @[Lukas Mengestu](136780), danke für die schnelle Antwort! Kannst du dir dann im folgenden Fall die letzte Lösung und dort den letzten Satz anschauen? Dort steht „Die Rücktrittserklärung ist nicht zugegangen. Sie ist nichtig.“ - dann ist das dort nicht korrekt. :)

https://applink.jurafuchs.de/XwF9mY0bSob

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.4.2022, 16:20:17

Besten Dank, @[Faby](125942). das ist dort nun korrigiert :-)


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