Wann ist eine Klausel überraschend iSv § 305c Abs. 1 BGB? – 1 (Erweiterung oder Begründung zusätzlicher Hauptpflichten)


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K kauft von V eine Kaffeemaschine für €500. V legt der K ein Vertragsformular mit deutlich hervorgehobenen AGB vor, das die K unterzeichnet. § 3 der AGB legt fest, dass der Käufer mit dem Kauf verpflichtet wird, mindestens drei Kilogramm Kaffee pro Monat von V zu kaufen.

Einordnung des Falls

Wann ist eine Klausel überraschend iSv § 305c Abs. 1 BGB? – 1 (Erweiterung oder Begründung zusätzlicher Hauptpflichten)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Einbeziehungsvoraussetzungen nach § 305 BGB liegen vor.

Ja!

§ 305 BGB enthält drei Voraussetzungen: Der Verwender muss (1) die andere Vertragspartei auf die AGB hinweisen und ihr (2) die Möglichkeit zur Kenntnisnahme verschaffen. (3) muss die andere Vertragspartei mit der Geltung der AGB einverstanden sein. V hat K mit den hervorgehobenen AGB auf dem Kaufvertragsformular auf diese hingewiesen und ihr die Möglichkeit zur Kenntnisnahme verschafft. K hat mit der Unterzeichnung des Vertrags den AGB auch zugestimmt, sodass alle Voraussetzungen des § 305 BGB vorliegen.

2. AGB werden trotzdem nicht Vertragsbestandteil, wenn sie überraschend oder mehrdeutig (§ 305c Abs. 1 BGB) sind.

Genau, so ist das!

Nach § 305c Abs. 1 BGB werden AGB nicht Vertragsbestandteil, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht. Die Erwartungen sind nach den vertraglichen Verhandlungen und Begleitumständen und den für den Geschäftskreis üblichen Gestaltungen zu bestimmen. Maßstab ist das Verständnis eines Durchschnittskunden. Ein Indiz für eine überraschende Klausel ist zudem ein hoher Abweichungsgrad vom dispositiven Recht.

3. Die Verpflichtung, monatlich Kaffee von V zu beziehen, stellt beim Kauf einer Kaffeemaschine eine überraschende Klausel (§ 305c Abs. 1 BGB) dar.

Ja, in der Tat!

Eine überraschende Klausel liegt vor, wenn diese nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbilds des Vertrags, so ungewöhnlich ist, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht. Bei Kaufverträgen ist insbesondere nicht mit ungewöhnlichen Zusatzverpflichtungen zu rechnen. Die Verpflichtung, monatlich Kaffee vom Verkäufer zu beziehen, ist nach dem äußeren Erscheinungsbild nicht typischerweise mit einem Kaffeemaschinenkauf verbunden, sondern aus der Sicht eines Durchschnittskunden sehr ungewöhnlich. Da auch keine vertraglichen Verhandlungen oder andere Begleitumstände vorliegen, die die Klausel erwarten lassen, liegt eine überraschende Klausel vor (§ 305c Abs. 1 BGB).

4. Der Kaufvertrag über die Kaffeemaschine ist wegen der überraschenden AGB-Klausel unwirksam.

Nein!

Sind Klauseln nach § 305c Abs. 1 BGB überraschend oder mehrdeutig, werden diese nicht in den Vertrag einbezogen. Der Vertrag bleibt im Übrigen aber wirksam (§ 306 Abs. 1 BGB). Der Inhalt des Vertrags richtet sich für die nicht einbezogenen Vertragsbestandteile nach den gesetzlichen Vorschriften (§ 306 Abs. 2 BGB). Die überraschende Klausel, monatlich von V Kaffee zu beziehen, wurde nicht Vertragsbestandteil. Der Kaufvertrag über die Kaffeemaschine bleibt im Übrigen aber wirksam.

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EB

Elias Von der Brelie

24.7.2023, 22:07:42

Wird der Vertragssteller dadurch nicht stark benachteiligt? Was wenn die unerwartete Vertragsklausel so Teil des Vertrags ist, dass der Vertragssteller diesen ohne die Bedingung nicht angeboten hätte. Zum Beispiel möchte er die Kaffeemaschine nur zu dem Preis Verkaufen wenn er im Gegenzug auch Kaffee abgekauft bekommt. Wenn jetzt also der eine Teil wegfällt, aber der andere noch gilt obwohl die Teile gemeinsam vereinbart wurden, wurde der Anbieter potenziell in einen negativen Vertrag gezwungen den er nicht wollte. Ich könnte mir da Fallkonstruktionen vorstellen wo der Anbieter ziemlich blöd darsteht.

LELEE

Leo Lee

3.8.2023, 13:10:29

Hallo Elias Von der Breile, man könnte in der Tat meinen, dass der Vertragssteller (Anwender) insofern benachteiligt wird, als er keine "Bedingungen" stellen kann. Beachte jedoch, dass bei einer AGB der Vertragssteller/Anwender die AGB eben einseitig "stellt", d.h. in der Praxis meistens ein Unternehmer diese stellen wird und der Verbraucher die AGB kaum bis nie durchlesen wird. Sprich, eine solche bedingte Vereinbarung kann der Vertragssteller - wenn er denn will - von vornherein "klarmachen" und den anderen Vertragsteil in Kenntnis darüber setzen; er soll jedoch nicht durch die Hintertür der AGB (die sich der Vertragspartner meistens eben nicht durchlesen wird) die für ihn günstige und für den anderen Teil ungünstige Bedingungen "reinschleichen". Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Fornasier § 305c Rn. 1 sehr empfehlen! Liebe Grüße Leo

QUIG

QuiGonTim

16.10.2023, 18:33:26

Warum ist die Rechtsfolge hier, dass die Bestimmung nicht Vertragsbestandteil wird, während sie beispielsweise im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unwirksam sein soll? Unterscheiden sich die Wirkungen der beiden Rechtsfolgen überhaupt?

Law🦥

Law🦥

9.2.2024, 22:58:23

Ich glaube nicht, dass eine Abnahme eines bestimmten Gewichts von Kaffee mit dem Kauf drt Maschine überraschend ist. Zum Beispiel gibt es schon lange Angebote von Druckerfirmen, die mit dem Druck bestimmter Seitenzahlen und dem automatischen Versenden von neuen Patronen zu stande kommen. Hierbei kann man den Drucker eben nur durch die Auswahl einer bestimmten Flatrate nutzen- warum sollte dies also bei Kaffee anders sein? Möglich wäre hier eine Unterscheidung bzw. Staffelung in der Gewichtsangabe bei den abzunehmenden Bohnen. Vll könnte man den Fall dahingehend überarbeiten?! Dann wäre es entsprechend nur dann überraschend, wenn es indviduell und micht für jeden Nutzer so wäre?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.2.2024, 13:56:29

Hallo law, danke für deine Rückmeldung. Hier gilt genau zu unterscheiden. Nur weil es bei einer Sache eine typische Vertragskonstellation ist, gilt das nicht für weitere Sachen, über die Kaufverträge zustande kommen. So lässt sich auch nicht argumentieren, dass beim Kauf von Hanteln eine Verpflichtung zu einer wöchentlichen kostenpflichtigen Teilnahme an einem Kraftsportkurs nicht überraschend sei, nur weil es ein bekannten Anbieter für ein Fahrradergometer gibt, welches nur mit einem Abomodell zur Nutzung funktioniert. Auch wenn diese Abomodelle in Verbindung mit Sachen auf dem Vormarsch sind, ist für jeden Fall einzeln und sauber zu prüfen, ob dies wirklich typisch und damit nicht überraschend ist. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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