Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Angebot und Annahme

Angebot ad incertas personas: Ausliegender Vertragsgegenstand

Angebot ad incertas personas: Ausliegender Vertragsgegenstand

16. Februar 2025

14 Kommentare

4,8(38.814 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M besichtigt die Elisabethkirche in Marburg. Sie nimmt eine der in der Kirche ausliegenden Postkarten an sich und wirft, wie auf dem Aushang verlangt, €0,50 in den Opferstock.

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Einordnung des Falls

Angebot ad incertas personas: Ausliegender Vertragsgegenstand

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Aus Sicht eines Dritten hat der Kirchenvorstand durch Auslegen der Postkarten und Anbringen des Aushangs ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags (§ 433 BGB) abgegeben.

Ja, in der Tat!

Das Angebot (§ 145 BGB) zum Abschluss eines Kaufvertrags erfordert eine Willenserklärung. Diese setzt im objektiven Tatbestand ein äußerlich erkennbares Verhalten voraus, das auf das Vorliegen eines Handlungswillens, eines Erklärungsbewusstseins (Rechtsbindungswille) und eines Geschäftswillens schließen lässt. Das Verhalten des Kirchenvorstands, in der Kirche Postkarten auszulegen und mittels Vermerk darauf hinzuweisen, dass der Kaufpreis für die entnommenen Karten in den Opferstock geworfen werden soll, ist aus Sicht eines Dritten als eine rechtsverbindliche Erklärungshandlung dahin gehend zu verstehen, dass der Kirchenvorstand gegenüber den Kirchenbesuchern einen Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags (§ 433 BGB) abgeben möchte.
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2. Das Angebot ist jedoch nichtig, da es die Person des Vertragspartners (Teil der essentialia negotii) nicht bestimmt.

Nein!

Dem objektiven Tatbestand muss sich die Rechtsfolge, auf deren Herbeiführung die Erklärung gerichtet ist, eindeutig entnehmen lassen: Die Erklärung muss inhaltlich bestimmt sein. Beim Kaufvertrag muss sich aus dem Antrag ergeben, wer Verkäufer und Käufer sein soll, was verkauft wird und wie hoch der Kaufpreis ist (essential negotii). Der Antrag muss aber nicht selbst bereits alle essentialia negotii enthalten, sondern nur Kriterien für ihre Festlegung. Ein Antrag kann bereits an eine bestimmte Person gerichtet sein. Er kann sich jedoch auch an einen begrenzten Personenkreis oder die Allgemeinheit richten (= ad incertas personas). Das Angebot der Kirche richtet sich an alle Besucher. Es überlässt dem Annehmenden die Festlegung der Person des Käufers.

3. M’s Verhalten lässt auf das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens schließen. Sie hat das Angebot angenommen.

Genau, so ist das!

Die Annahme ist eine Willenserklärung, mit der das Einverständnis mit dem Antrag ausgedrückt wird. Ein Rechtsbindungswille im Rahmen des objektiven Tatbestands liegt vor, wenn der Erklärende sich aus Sicht eines Dritten in irgendeiner Weise rechtlich erheblich erklären will. Der Wille kann ausdrücklich oder konkludent (durch schlüssiges Verhalten) erklärt werden. Dass M eine Postkarte an sich nimmt und wie verlangt €0,50 in den Opferstock hineinwirft, kann aus Sicht eines Dritten nur als konkludente Erklärung dahin gehend verstanden werden, dass M die Postkarte kaufen möchte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jurafüchsin_BT

Jurafüchsin_BT

8.5.2021, 07:49:08

Mega mit diesem Link! Das bereichert stark. Ihr werdet immer besser!! 👍👏🚀

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

8.5.2021, 08:01:16

Vielen Dank! 😃

STE

Stella2244

24.10.2024, 18:27:41

Was für ein link?

FL

Florian

21.1.2025, 20:34:40

@stella2244 Ich denke, es geht um den verlinkten Kommentar, den man über den Link runterladen kann :)

ISAB

Isabelle.Sophie

3.11.2023, 12:35:25

Warum handelt es sich bei den ausliegenden Postkarten nicht um eine

invitatio ad offerendum

, da es ein Bonitätsproblem geben könnte?

LELEE

Leo Lee

4.11.2023, 10:23:26

Hallo Isabelle.Sophie, das ist natürlich ein berechtigter Einwand! Beachte allerdings, dass wir bei der

Auslegung von Willenserklärungen

(und damit auch beim Problemkreis) aus der Sicht des Empfängers auszulegen ist (obj.

Empfängerhorizont

). D.h. also, dass wir schauen müssen, wie M vorliegend das Ausstellen der Postkarten neben dem Opferstock verstehen durfte. Es mag zwar sein, dass die Kirche an sich noch Vorbehalte gehabt hat bzgl. der Bonität und deshalb zur Offerte erstmal ihrerseits auffordern wollte. Allerdings ist dies aus der Sicht der Empfängerin (M) nicht ersichtlich, weshalb sie auch davon ausgehen durfte, dass die Kirche mit jedem, der 50 Cent einwirft, auch eine Postkarte nehmen darf. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Busche § 157 Rn. 3 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

BL

Blotgrim

27.12.2023, 09:46:26

Wie ist da der Unterschied zum eBay-Angebot ?

BL

Blotgrim

31.12.2023, 12:09:11

Oder auch zu Angeboten im Supermarkt, da ist es ja auch idR eine

invitatio

ad offeremdum obwohl da auch (wie hier mit den Karten) ein Schild mit dem Preis + die

Ware

vorliegt

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

29.1.2024, 17:19:57

Der Preis im Supermarkt ist nicht bindend. Die Kasse sagt dir den Preis und schaut dann ob du bezahlen kannst. Denke deshalb ist es anders als hier in der Kirche. Der Preis ist fest, du wirfst ein und nimmst eine Karte.

LO

Lorenz

28.10.2024, 11:42:20

Es wird der Kirche vollkommen egal sein, mit wem sie den Vertrag schließt. Bei 50 ct ist auch ein Bonitätsproblem fernliegend. Würde man selbst hier kein Angebot annehmen, würde man den Anwendungsbereich für offertae

ad incertas personas

extrem einengen. @[Blotgrim](167544) der Unterschied zu Supermärkten oder Kleinanzeigen, ist dass der Verkäufer sich erst binden möchte, wenn er den Vertragspartner "vor Augen hat". Der Supermarkt muss zB die Volljährigkeit überprüfen oder ist zumindest daran interessiert, dass der Kunde sein ganzes Taschengeld ausgibt (die Probleme kennt man ja). Bei Kleinanzeigen möchte man vielleicht auch nur jemanden haben, der nicht "was letzter Preis?!" fragt. Die Kirche hingegen will jedem eine Postkarte verkaufen. Sie hätte idR. keinen Grund Nein zu sagen.

Alexandra

Alexandra

27.10.2024, 14:07:17

Liebes JuraFuchs-Team, im Maßstab wurde einmal von "essential negotii" gesprochen. Ich hatte leider kein Latein, glaube aber, dass dies so falsch ist, da teilweise an anderer Stelle bei dieser Aufgabe von "essentialia negotii" gesprochen wurde und ich es auch nur so kenne. Liegt hier also ein Tippfehler vor oder ist dies einfach eine andere Deklination? LG Alexandra

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

28.10.2024, 10:28:37

Hallo Alexandra, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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