Strafrecht

BT 3: Straftaten gegen Freiheit u.a.

Nötigung, § 240 StGB

Zweck–Mittel–Relation bei eigenhändiger Durchsetzung einer Forderung

Zweck–Mittel–Relation bei eigenhändiger Durchsetzung einer Forderung

11. Juli 2025

25 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M ist Mieter und hat seine Heizölrechnung aus dem letzten Jahr noch nicht vollständig beglichen. Vermieterin D dreht M deshalb die Heizung ab, um ihn so zur Zahlung zu bewegen. M hat daraufhin im kalten Winter keine Heizung und kein warmes Wasser. M zahlt die Rechnung.

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Einordnung des Falls

Zweck–Mittel–Relation bei eigenhändiger Durchsetzung einer Forderung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. D könnte sich wegen Nötigung strafbar gemacht haben, indem sie M die Heizung abdrehte, weswegen dieser die Heizölrechnung zahlte (§ 240 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Objektive Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB sind: (1) Nötigungsmittel: Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel (2) Nötigungserfolg: Handeln, Dulden oder Unterlassen (3) Nötigungsspezifischer Zusammenhang zwischen (1) und (2) D müsste zudem vorsätzlich gehandelt haben. Die Tat müsste auch rechtswidrig und insbesondere verwerflich (§ 240 Abs. 2 StGB) gewesen sein. Zudem müsste D schuldhaft gehandelt haben.
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2. Kommt bezüglich des Abdrehens der Heizung im kalten Winter als Nötigungshandlung von vornherein ausschließlich eine Drohung in Betracht (§ 240 Abs. 1 Alt. 2 StGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Im Rahmen der Nötigungshandlung bietet es sich an, immer (zumindest gedanklich) zu prüfen, ob der Täter Gewalt ausgeübt hat, bevor Du auf eine Drohung eingehst. Nach dem klassischen Gewaltbegriff liegt Gewalt i.S.v. § 240 Abs. 1 Alt. 1 StGB vor, wenn der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.D hat aktiv die Heizung abgestellt. Dadurch ist es (im kalten Winter) enorm kalt in Ms Wohnung geworden. Er musste frieren. Die Kraftentfaltung hat somit nach Ansicht der Rspr. körperlich wirkenden Zwang bei ihm ausgelöst.Es ist auch vertretbar zu argumentieren, dass in dem Abdrehen der Heizung eine konkludente Drohung liegt, sie weiterhin abgedreht zu lassen. Das wäre ein empfindliches Übel (Frieren im Winter) für M.

3. Ist auch der restliche objektive Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB erfüllt?

Nein!

M hat die Rechnung bezahlt und so gehandelt (= Nötigungserfolg). Er tat das auch, weil seine Wohnung kalt war und er wollte, dass D die Heizung wieder freigab (= nötigungsspezifischer Zusammenhang).

4. D müsste auch verwerflich gehandelt haben (§ 240 Abs. 2 StGB). Könnte es hier grundsätzlich relevant sein, dass das Gesetz einige Möglichkeiten der Selbsthilfe vorsieht (z.B. § 229 BGB)?

Ja!

Verwerflich ist eine Verhaltensweise dann, wenn die Gewaltanwendung oder die Drohung zu dem beabsichtigten Zweck in einem auffallenden Missverhältnis stehen. Dabei muss das Missverhältnis derart auffällig sein, dass die Verhaltensweise als sozialethisch missbilligenswert anzusehen ist, das heißt von einem verständigen Dritten als sozial unerträglich, als strafwürdiges Unrecht empfunden wird. Nach § 229 BGB und § 859 BGB ist Selbsthilfe zur Durchsetzung eines Rechts unter eng umrissenen Voraussetzungen gegebenenfalls zulässig. Das Gewaltmonopol steht aber primär dem Staat zu Hier stellt sich die Frage, ob die privatrechtlichen Selbsthilferechte dazu führen, dass ihr Verhalten nicht als verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB zu bewerten ist.

5. Die Selbsthilferechte gewähren keine reine „Selbstjustiz“. D hat keinen Rechtsweg bestritten, bevor sie M die Heizung abdrehte. Spricht das dafür, dass Ds Verhalten verwerflich war?

Genau, so ist das!

Das Gesetz sieht vor, dass bei der Durchsetzung von Ansprüchen primär staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen ist, um die schutzwürdigen Interessen des Verpflichteten vor Verletzungen zu sichern. Die Selbsthilferechte sollen nur in engen Ausnahmefällen greifen, wenn rechtzeitige staatliche Hilfe nicht zu erwarten ist. Die Selbsthilferechte des BGB waren hier nicht einschlägig: D hätte den Rechtsweg vor die Zivilgerichte beschreiten können, um ihre Forderung durchzusetzen.Wer vorsätzlich den Vorrang staatlicher Zwangsmittel außer Acht lässt, um durch selbst ausgeübte Gewalt und ohne spezielle Rechtfertigungsgründe die Gesetzestreue anderer zu erzwingen, handelt in der Regel verwerflich. Das ist auch hier der Fall.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FRA

Frank

19.4.2023, 18:03:50

Das sehe ich vollkommen anders als die Lösung. zumal der Stromvertrag zivilrechtlich zwischen m unmittelbar besteht und eben nicht zw. VM und Mieter Das Handeln ist willkürlich und damit passte auch eine Zweck-Mittel-Relation nicht.

ON

onlyjura

13.8.2023, 14:29:49

Es gibt durchaus auch Mietverträge, die eine Pauschale vorsehen. Dann wird der Stromvertrag gerade nicht vom Mieter selbst geschlossen.

Alicia Helena

Alicia Helena

28.11.2023, 22:36:02

wieso bejaht man hier die

Verwerflich

keit, des obwohl für die rückständige Miete der Klageweg der richtige Weg zur Durchsetzung wäre?

CAN

cann1311

29.11.2023, 14:23:36

Verwerflich

keit wird hier verneint.

BAY

bayilm

5.7.2024, 22:08:56

Also hier ist war wahrscheinlich ein Tippfehler, ich verstehe auch nicht, warum man die

Verwerflich

keit hier nicht bejaht. Bei dem Häftling der für bessere Haftbedingungen in den Hungerstreik zieht wird gesagt, er solle den ordentlich Rechtsweg eingehen, um seine Rechte einzufordern. Und hier wird es dem Vermieter gestattet eigenmächtig vorzugehen, obwohl der Rechtsweg offen steht unf aus Mieterschutzgründen auch ja eigentlich vorgesehen ist.

DAV

david1234

17.11.2024, 14:19:29

Das ganze Kapitel zur Nötigung wirkt für mich leider überhaupt nicht stringent. Die Zeit hätte ich besser investieren können.

Linne Hempel

Linne Hempel

9.7.2025, 13:26:29

Liebe Füchse, vielen Dank für eure kritischen Nachfragen und Ergänzungen zur Aufgabe. Bisher war der Fall leider tatsächlich in sich unschlüssig und oberflächlich subsumiert. Im Zuge einer umfassenden Überarbeitung der Einheiten zur Nötigung haben wir ihn gänzlich neu gefasst. Insbesondere gehen wir jetzt ausführlicher und präziser auf die

Verwerflich

keit ein und besprechen auch, welche Rolle die der Vermieterin zustehenden Rechtsbehelfe spielen. Die weiteren Fälle zur Nötigung schauen wir uns ebenfalls an, sodass hier eine neue, verständlichere Lerneinheit entsteht. Viele Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team

Vincent

Vincent

15.1.2025, 13:07:52

Ein Inhaftierter der Mittels eines Hungerstreiks für bessere Haftbedingungen protestiert handelt

verwerflich

, da er ja den Rechtsweg einschlagen könnte. Wieso handelt die Vermieterin hier aus dem gleichen Grund nicht ebenfalls

verwerflich

? Gerade hinsichtlich sozialethischer Erwägungen ist doch das protestieren für bessere Lebensbedingungen "moralischer" als das Durchsetzen einer finanziellen Forderung durch Zwang. Zwar ist es Sommer, das heißt Heizen wohl nicht möglich, Herd und Kühlschrank funktionieren im Regelfall aber trotzdem nicht. Leider scheint das Kapitel der Nötigung in sich nicht ganz logisch.

Linne Hempel

Linne Hempel

16.1.2025, 14:58:39

Hey @[Vincent](211990), danke für die Kritik. Wir sind aktuell bereits dabei, dass Kapitel zur Nötigung komplett zu überarbeiten. Danke für deine Geduld. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

Juraganter

Juraganter

3.6.2025, 12:47:33

Billigkeitsrechtsprechung, ganz einfach. In der Thematik scheint mir die Rechtsprechung generell extrem inkonsistent zu sein. Hat der Strom etwas mit der Miete an sich zu tun? Nein. Da würde ich eher verstehen, wenn der Vermieter den Zutritt zur Wohnung verhinderte, als die Stromzufuhr, die Sache des Stromanbieters ist, zu verhindern. Ersteres wäre absurderweise dann aber

rechtswidrig

.

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

5.7.2025, 13:19:54

Der Inhaftierte mit dem Hungerstreik müsste einer der RAF Terroristen gewesen sein. Billigkeitsrechtssprechung, wie Juraganter bereits geschrieben hat.

Linne Hempel

Linne Hempel

9.7.2025, 13:24:44

Liebe Füchse, vielen Dank für eure kritischen Nachfragen und Ergänzungen zur Aufgabe. Bisher war der Fall leider tatsächlich in sich unschlüssig und oberflächlich subsumiert. Im Zuge einer umfassenden Überarbeitung der Einheiten zur Nötigung haben wir ihn gänzlich neu gefasst. Insbesondere gehen wir jetzt ausführlicher und präziser auf die

Verwerflich

keit ein und besprechen auch, welche Rolle die der Vermieterin zustehenden Rechtsbehelfe spielen. Die weiteren Fälle, so auch den Fall zum Hungerstreik, überarbeiten wir ebenfalls zeitnah, sodass das Kapitel in sich logisch und für euch nachvollziehbar ist. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

FL

Florian

25.6.2025, 17:17:12

Liebes Team, die Entscheidung ist nun gut 42 Jahre alt. Existiert hierzu aktuellere Rspr? Oder ist absehbar, dass dies auch in der heutigen Zeit nicht reichen würde? Zivilrechtlich sind Mieter ja bekanntermaßen erheblich geschützt, strafrechtlich also nicht? Nötigung, Hausfriedensbruch sind durch den Vermieter ja auch schnell verwirklicht, wenn nur der Fuß im Türrahmen steht.. Danke!

Linne Hempel

Linne Hempel

9.7.2025, 13:32:08

Hey Florian, danke für die kritische Nachfrage. Tatsächlich war der Fall bisher nicht sauber gelöst, was wir nun geändert haben. Die Vermieterin muss grundsätzlich den Rechtsweg bestreiten und darf sich hier nicht einfach so selbst helfen. Damit ist der Mieter auch strafrechtlich geschützt. Schaue dir hierzu gerne unsere neuen Erklärungen in der Falllösung an. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

KAT

Katharina

10.7.2025, 13:33:32

Meine Anmerkung bezieht sich auf folgende Frage: 3. Ist auch der restliche objektive Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB erfüllt? Nein! M hat die Rechnung bezahlt und so gehandelt (= Nötigungserfolg). Er tat das auch, weil seine Wohnung kalt war und er wollte, dass D die Heizung wieder freigab (= nötigungsspezifischer Zusammenhang). Der restliche objektive Tatbestand ist jedoch gerade erfüllt, sodass die richtige Antwort "Ja!" lauten müsste.


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