Strafrecht
BT 3: Straftaten gegen Freiheit u.a.
Nötigung, § 240 StGB
Hungerstreik für bessere Haftbedingungen – verwerflich?
Hungerstreik für bessere Haftbedingungen – verwerflich?
11. Juli 2025
12 Kommentare
4,7 ★ (10.541 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Häftling T fordert bessere Haftbedingungen und will dies mit einem Hungerstreik „bis zum Tode“ forcieren. Da der Wärter O Angst um die Gesundheit des T hat, kommt er der Forderung des T nach.
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Einordnung des Falls
Hungerstreik für bessere Haftbedingungen – verwerflich?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T sagt O, er werde in den Hungerstreik treten. Damit würde er sich selbst schädigen. Kann die Ankündigung einer Selbstschädigung eine Drohung im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB sein?
Ja, in der Tat!
2. T hat den Tatbestand von § 240 Abs. 1 StGB erfüllt. Indiziert dies die Rechtswidrigkeit der Tat?
Nein!
3. Bessere Haftbedingungen kann ein Häftling grundsätzlich durch die dafür vorgesehenen Verfahren, wie etwa die Beschwerde, erreichen. Könnte das dafür sprechen, dass die Ts Tat verwerflich ist?
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jose
25.1.2022, 16:45:09
Gibt es auch die Ansicht, dass ein Hungerstreik nicht
verwerflichsei? Finde man macht es sich etwas einfach, wenn man behauptet, dass eine Haftbeschwerde easy zu machen sei und finde, dass gerade Häftlingen, in deren Grundrechte ohnehin massiv eingegriffen wird, in so einem Fall nicht mit weiterer Strafan
drohungbegegnet werden sollte. Einen Hungerstreik macht ja auch niemand aus Spaß.

Lukas_Mengestu
26.1.2022, 13:59:58
Hallo Jose, verschiedentlich war überlegt worden, ob man die
Drohungmit der Selbsttötung aus dem Anwendungsbereich des § 240 Abs. 1 StGB ausnimmt. Dazu ist es indes nie gekommen (Sinn, in: MüKo-StGB 4.A. 2021, § 240 RdNr. 153). In dem vor dem BGH verhandelten Originalfall konnte dies offenbleiben, da hier der Hungerstreik abgebrochen werden sollte, wenn er "zu schwer werden sollte". Sofern also keine Lebens
gefahreintreten sollte, liegt jedenfalls keine
Drohung mit einem empfindlichen Übeldar. Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass der Hungerstreik letztlich eine Meinungsäußerung darstellt, die Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt. Gegenüber steht die Handlungsfreiheit des Adressaten (Art. 2 Abs. 1 GG).

Lukas_Mengestu
26.1.2022, 14:01:43
Für die Abwägung dieser kollidierenden Verfassungsgüter kommt es maßgeblich auf die Einzelfallumstände an. Insofern kann man hier durchaus vertreten, dass der Hungerstreik nicht
verwerflichist. Dabei müssen demokratisch legitimierte Durchsetzungsverfahren (Beschwerde, Petition, Gnadengesuch) durchaus in die Abwägung eingestellt werden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
bayilm
5.7.2024, 19:04:32
Ich finde das hier nicht zu genüge die Perspektive des Häftlings beachtet wird. Dieser ist dem Staat und dem Justizvollzug völlig ausgeliefert. Und nun soll er darauf vertrauen, dass ein ordentliches staatliches Verfahren durchlaufen wird, wenn er bereits schon am eigenen Leib erlebt hat, dass der
Hoheitsträgersich schon nicht an die nötigen Vorschriften übder die Bedingungen in der Haft gehalten hat? Meiner Einschätzung nach kann eine solche Foderung darüber, dass der Staat seine selbst auferlegten Regeln einhält , nicht
verwerflichsein.

Juraganter
13.12.2024, 18:07:06
In diesem Sachverhalt fehlen mir jetzt offengestanden nähere Angaben bezüglich der tatsächlichen (objektiven) Haftbedingungen. Wäre er in einer völlig verkommenen Zelle gefangen ohne vernünftigem Schlafplatz oder funktionierender Wasserversorgung, dann sähe ich in dem Hungerstreik keine
Verwerflichkeit.
Vincent
15.1.2025, 12:26:55
Weitergehend dazu: Stehen Mittel und Zweck nicht in einer gewissen wenn vielleicht auch abstrakten Relation? Er möchte bessere Haftbedingungen erreichen und streikt mit Hilfe der eigenständigen Verschlechterung der Haftbedingungen. Es wird ja gerade eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit getroffen und bei einer ausschließlichen
Drohunggegen das eigene Leben ist diese doch wohl eher zu bejahen als zu verneinen

DeliktusMaximus
7.2.2025, 23:23:04
Ich finde die Subsumtion absurd.

Inkognito
1.5.2025, 11:59:58
Das Problem ist hier leider, dass sich die Wärter und die Gefängnisleitung in einer ganz unangenehmen Zwickmühle befinden. Sie können leider nicht sagen "Ja gut, wer nichts isst der isst halt nichts" sondern sind verpflichtet, die Häftlinge bei Gesundheit zu halten. Die Gefängnisleitung würde wenn ein Häftling sich tatsächlich zu Tode hungert einen gigantischen Ärger bekommen, mit dem ja im Endeffekt hier auch gedroht wird. Wenn hier irgendetwas völlig unmenschliches vonstatten geht dann muss der gute Mann sich halt einen Anwalt nehmen, dafür gibt es ja auch Möglichkeiten. Aber es darf aus meiner Sicht keinen Präzedenzfall geben, dass es sich lohnt, einfach mit Selbstmord auf Raten zu drohen um irgendwen zu gewünschtem Verhalten zu drängen.

Linne Hempel
9.7.2025, 15:21:52
Hallo in die Runde, danke für eure angeregte Diskussion und eure guten Argumente. Ob eine Tat
verwerflichist, muss immer nach einer Gesamtwürdigung der Umstände im Einzelfall beurteilt werden. Tatsächliche Änderungen im Sachverhalt (etwa sehr schlechte Haftbedingungen, vorausgehende Schikane gegen den Häftling o.ä.) können also zu einer anderen Beurteilung der
Verwerflichkeit führen. In der Klausur ist es wichtig, alle im Sachverhalt angegebenen Informationen zu verwerten, argumentativ zu gewichten und sich begründet zu entscheiden. Im Zuge einer umfassenden Überarbeitung der Fälle zur
Nötigunghaben wir den Fall und die Subsumtionen hier angepasst und präzisiert. Es sollte jetzt genauer heraus kommen, was im konkreten Fall für (und auch gegen) die
Verwerflichkeit spricht. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team