Strafrecht

BT 3: Straftaten gegen Freiheit u.a.

Nötigung, § 240 StGB

Hungerstreik für bessere Haftbedingungen – verwerflich?

Hungerstreik für bessere Haftbedingungen – verwerflich?

11. Juli 2025

12 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Häftling T fordert bessere Haftbedingungen und will dies mit einem Hungerstreik „bis zum Tode“ forcieren. Da der Wärter O Angst um die Gesundheit des T hat, kommt er der Forderung des T nach.

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Einordnung des Falls

Hungerstreik für bessere Haftbedingungen – verwerflich?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T sagt O, er werde in den Hungerstreik treten. Damit würde er sich selbst schädigen. Kann die Ankündigung einer Selbstschädigung eine Drohung im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB sein?

Ja, in der Tat!

Eine Drohung ist das ausdrückliche oder konkludente In-Aussicht-Stellen eines empfindlichen Übels, auf das der Täter Einfluss zu haben vorgibt. Übel kann dabei jeder Nachteil sein. Empfindlich ist das Übel dann, wenn es bei objektiver Beurteilung und der Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen.O hat Angst um Ts Gesundheit. Die immense Verschlechterung und der möglicherweise eintretende Tod des T wären für O ein (zumindest psychischer) Nachteil. Es handelt sich auch um mehr als eine Bagatelle und ist damit eine Ankündigung, die geeignet ist, O im Sinne des Drohenden zu motivieren.Bei der Drohung mit Selbstschädigung solltest Du in der Klausur die Empfindlichkeit des Übels ein wenig genauer prüfen.Auch Nötigungserfolg und nötigungsspezifischer Zusammenhang liegen vor. Zudem handelte T auch vorsätzlich.
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2. T hat den Tatbestand von § 240 Abs. 1 StGB erfüllt. Indiziert dies die Rechtswidrigkeit der Tat?

Nein!

Nach § 240 Abs. 2 StGB ist die Tat nur rechtswidrig, wenn sie verwerflich ist. Verwerflich ist eine Verhaltensweise dann, wenn die Gewaltanwendung oder die Drohung zu dem beabsichtigten Zweck in einem auffallenden Missverhältnis stehen. Dabei muss das Missverhältnis derart auffällig sein, dass die Verhaltensweise als sozialethisch missbilligenswert anzusehen ist, das heißt von einem verständigen Dritten als sozial unerträglich, als strafwürdiges Unrecht empfunden wird.

3. Bessere Haftbedingungen kann ein Häftling grundsätzlich durch die dafür vorgesehenen Verfahren, wie etwa die Beschwerde, erreichen. Könnte das dafür sprechen, dass die Ts Tat verwerflich ist?

Genau, so ist das!

Die Rechtsordnung sieht für das Erreichen besserer Haftbedingungen konkrete Mittel - wie die Beschwerde - vor. Es könnte für die Verwerflichkeit sprechen, dass T bewusst andere Wege geht, um den Willen des Wärters zu beugen. Gegen die Verwerflichkeit könnte hingegen sprechen, dass der sich in Haft befindende T mit enormer staatlicher Machtausübung ihm gegenüber konfrontiert ist. Die Ankündigung selbstschädigenden Verhaltens könnte unter diesen Umständen nicht unbedingt als „sozial unerträglich” gesehen werden.Verwerflichkeit kann immer nur nach einer Gesamtwürdigung der Umstände im Einzelfall festgestellt werden. In der Klausur musst Du deswegen alle Sachverhaltsangaben verwerten, abwägen und dich schließlich begründet entscheiden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

Jose

25.1.2022, 16:45:09

Gibt es auch die Ansicht, dass ein Hungerstreik nicht

verwerflich

sei? Finde man macht es sich etwas einfach, wenn man behauptet, dass eine Haftbeschwerde easy zu machen sei und finde, dass gerade Häftlingen, in deren Grundrechte ohnehin massiv eingegriffen wird, in so einem Fall nicht mit weiterer Strafan

drohung

begegnet werden sollte. Einen Hungerstreik macht ja auch niemand aus Spaß.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.1.2022, 13:59:58

Hallo Jose, verschiedentlich war überlegt worden, ob man die

Drohung

mit der Selbsttötung aus dem Anwendungsbereich des § 240 Abs. 1 StGB ausnimmt. Dazu ist es indes nie gekommen (Sinn, in: MüKo-StGB 4.A. 2021, § 240 RdNr. 153). In dem vor dem BGH verhandelten Originalfall konnte dies offenbleiben, da hier der Hungerstreik abgebrochen werden sollte, wenn er "zu schwer werden sollte". Sofern also keine Lebens

gefahr

eintreten sollte, liegt jedenfalls keine

Drohung mit einem empfindlichen Übel

dar. Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass der Hungerstreik letztlich eine Meinungsäußerung darstellt, die Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt. Gegenüber steht die Handlungsfreiheit des Adressaten (Art. 2 Abs. 1 GG).

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.1.2022, 14:01:43

Für die Abwägung dieser kollidierenden Verfassungsgüter kommt es maßgeblich auf die Einzelfallumstände an. Insofern kann man hier durchaus vertreten, dass der Hungerstreik nicht

verwerflich

ist. Dabei müssen demokratisch legitimierte Durchsetzungsverfahren (Beschwerde, Petition, Gnadengesuch) durchaus in die Abwägung eingestellt werden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

BAY

bayilm

5.7.2024, 19:04:32

Ich finde das hier nicht zu genüge die Perspektive des Häftlings beachtet wird. Dieser ist dem Staat und dem Justizvollzug völlig ausgeliefert. Und nun soll er darauf vertrauen, dass ein ordentliches staatliches Verfahren durchlaufen wird, wenn er bereits schon am eigenen Leib erlebt hat, dass der

Hoheitsträger

sich schon nicht an die nötigen Vorschriften übder die Bedingungen in der Haft gehalten hat? Meiner Einschätzung nach kann eine solche Foderung darüber, dass der Staat seine selbst auferlegten Regeln einhält , nicht

verwerflich

sein.

Juraganter

Juraganter

13.12.2024, 18:07:06

In diesem Sachverhalt fehlen mir jetzt offengestanden nähere Angaben bezüglich der tatsächlichen (objektiven) Haftbedingungen. Wäre er in einer völlig verkommenen Zelle gefangen ohne vernünftigem Schlafplatz oder funktionierender Wasserversorgung, dann sähe ich in dem Hungerstreik keine

Verwerflich

keit.

Vincent

Vincent

15.1.2025, 12:26:55

Weitergehend dazu: Stehen Mittel und Zweck nicht in einer gewissen wenn vielleicht auch abstrakten Relation? Er möchte bessere Haftbedingungen erreichen und streikt mit Hilfe der eigenständigen Verschlechterung der Haftbedingungen. Es wird ja gerade eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit getroffen und bei einer ausschließlichen

Drohung

gegen das eigene Leben ist diese doch wohl eher zu bejahen als zu verneinen

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

7.2.2025, 23:23:04

Ich finde die Subsumtion absurd.

Inkognito

Inkognito

1.5.2025, 11:59:58

Das Problem ist hier leider, dass sich die Wärter und die Gefängnisleitung in einer ganz unangenehmen Zwickmühle befinden. Sie können leider nicht sagen "Ja gut, wer nichts isst der isst halt nichts" sondern sind verpflichtet, die Häftlinge bei Gesundheit zu halten. Die Gefängnisleitung würde wenn ein Häftling sich tatsächlich zu Tode hungert einen gigantischen Ärger bekommen, mit dem ja im Endeffekt hier auch gedroht wird. Wenn hier irgendetwas völlig unmenschliches vonstatten geht dann muss der gute Mann sich halt einen Anwalt nehmen, dafür gibt es ja auch Möglichkeiten. Aber es darf aus meiner Sicht keinen Präzedenzfall geben, dass es sich lohnt, einfach mit Selbstmord auf Raten zu drohen um irgendwen zu gewünschtem Verhalten zu drängen.

Linne Hempel

Linne Hempel

9.7.2025, 15:21:52

Hallo in die Runde, danke für eure angeregte Diskussion und eure guten Argumente. Ob eine Tat

verwerflich

ist, muss immer nach einer Gesamtwürdigung der Umstände im Einzelfall beurteilt werden. Tatsächliche Änderungen im Sachverhalt (etwa sehr schlechte Haftbedingungen, vorausgehende Schikane gegen den Häftling o.ä.) können also zu einer anderen Beurteilung der

Verwerflich

keit führen. In der Klausur ist es wichtig, alle im Sachverhalt angegebenen Informationen zu verwerten, argumentativ zu gewichten und sich begründet zu entscheiden. Im Zuge einer umfassenden Überarbeitung der Fälle zur

Nötigung

haben wir den Fall und die Subsumtionen hier angepasst und präzisiert. Es sollte jetzt genauer heraus kommen, was im konkreten Fall für (und auch gegen) die

Verwerflich

keit spricht. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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