Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Versuch und Rücktritt

Rücktritt beendeter Versuch - Nichtvollendung ohne Zutun 5

Rücktritt beendeter Versuch - Nichtvollendung ohne Zutun 5

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T vergiftet seinen Freund O. Kurz darauf bereut er die Tat und ruft die Notärztin. Diese begeht bei der Behandlung aber schwere Kunstfehler, infolge derer O stirbt.

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Einordnung des Falls

Rücktritt beendeter Versuch - Nichtvollendung ohne Zutun 5

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Taterfolg ist dem T objektiv zurechenbar.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Erfolg ist dem Täter objektiv zurechenbar, wenn er eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich im tatbestandlichen Erfolg realisiert hat. Es liegt ein völlig atypischer Kausalverlauf vor. Kleinere Kunstfehler bei Ärzten liegen zwar im Rahmen des Möglichen, schwere Kunstfehler sind jedoch nicht mehr zurechenbar.
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2. Der Versuch ist fehlgeschlagen.

Nein!

Ein Versuch gilt dann als fehlgeschlagen, wenn der Täter glaubt, dass er den Erfolg nicht mehr herbeiführen kann, ohne eine völlig neue Kausalkette in Gang zu setzen. T denkt, dass er seinen Freund tödlich vergiftet hat und der Erfolg daher eintreten würde.

3. Es liegt ein beendeter Versuch vor.

Genau, so ist das!

Ein Versuch gilt dann als beendet, wenn der Täter glaubt, dass er alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan hat. Dabei reicht es aus, dass der Täter es für möglich hält, dass er alles Erforderliche getan hat, aber auch, wenn er sich keine Gedanken macht, aber die Möglichkeit sieht. T war sich sicher, dass er durch das Vergiften alles Erforderliche getan hat, um seinen Freund zu töten.

4. Die Tat wurde ohne Zutun des T nicht vollendet (§ 24 Abs. 1 S. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

Nichtvollendung ohne Zutun des Täters meint, dass die (Rettungs-)Handlung des Täters nicht kausal für das Ausbleiben des Erfolges war. Erforderlich ist also das Ausbleiben des Erfolges und die fehlende Kausalität einer Handlung des Täters. Der Erfolg blieb hier zwar nicht aus. Er kann T aber nicht zugerechnet werden, sodass der Erfolg nicht auf seiner Handlung beruht. Die Tat des T wurde daher nicht vollendet. Zwar war das Rufen der Ärztin kausal, allerdings ist die Folge der Rettungshandlung (die schweren Kunstfehler der Ärztin) nicht zurechenbar. Daher ist auch hier von einem fehlenden Zutun auszugehen. Die fehlende Zurechenbarkeit ist der dritte Anwendungsfall des § 24 Abs. 1 S. 2 StGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

claudi V

claudi V

5.2.2023, 22:42:28

Ist die T denn jetzt nach 24 I S.2 mit strafbefreiender zurück getreten?

lennart20

lennart20

3.5.2023, 12:05:49

Ich würde den strafbefreienden Rücktritt von Versuch des Totschlags bejahen.

Simon

Simon

20.3.2024, 23:05:07

Das richtet sich - da der Versuch nicht fehlgeschlagen ist und die Tat ohne Zutun des Täters nicht vollendet wurde - nach § 24 I 2 StGB. Der Täter müsste sich also freiwillig und ernsthaft bemüht haben, den Erfolgseintritt zu verhindern. Freiwilligkeit bedeutet nach hM, die sich insoweit auf den

Wortlaut

berufen kann, ein Handeln aus autonomen Motiven, d.h. der Täter muss noch Herr seines Entschlusses sein. Das ist hier der Fall. Ernsthaftes Bemühen setzt nach hM, für die hier wieder der

Wortlaut

spricht, nicht die bestmögliche Leistung auf Seiten des Taters voraus, sondern, dass er alles aus seiner Sicht erforderliche getan hat, um den Erfolgseintritt zu verhindern. Das dürfte bei der Verständigung eines Notarztes der Fall sein. Dass diese hier grobe Behandlungsfehler machen würde, war für T nicht vorhersehbar und musste von ihm auch nicht im Rahmen seiner Bemühungen berücksichtigt werden. T ist daher strafbefreiend vom versuchten Totschlag zurückgetreten.

TI

Tinki

9.9.2024, 18:42:30

Ich habe Probleme mit dem dritten Anwendungsfall: Im Gesetz steht "Nichtvollendung" und nach eurer Def. setzt diese das Ausbleiben des Erfolgs + keine Kausalität der Rettungshandlung voraus. Im dritten Fall habe ich ja aber gerade den Erfolg ...? Stellt man darauf ab, dass der KONKRETE Erfolg, also z.B. der Vergiftungstod nicht eingetreten ist? Also so gesehen die Tat nicht vollendet ist?

TI

Timurso

10.9.2024, 09:19:02

Jain, es ist praktisch die gleiche Frage wie in der Vorprüfung zum Versuch. Dort fliegt man auch raus, wenn der Erfolg zwar grundsätzlich eingetreten, aber dem Täter nicht zurechenbar ist. Allein, dass der konkrete Erfolg nicht eintritt, reicht nicht aus. Wenn das Opfer hier an einer infolge der ordnungsgemäß durchgeführten Operation eingefangenen Infektionskrankheit verstirbt, wäre die Tat auch vollendet, da dies dem Täter zurechenbar ist.

TI

Tinki

10.9.2024, 11:24:02

@[Timurso](197555) danke für deine schnelle Antwort und für dein Beispiel. Daran ist mir nochmal klar geworden, dass mein Vorschlag auf jeden Fall falsch war. Ich denke, man darf dann einfach die Def. nicht so eng sehen bzw. gar nicht erst anlegen und einfach prüfen, ob die Tat der T vollendet wurde oder ob sich eine neue Gefahr realisiert hat (=> in dem Fall dann Nichtvollendung (+)), richtig? Und dann muss man noch prüfen, ob T hier ein kausalen Beitrag geleistet hat. Also dazu, dass ihre Tat nicht vollendet wurde, oder?

TI

Timurso

11.9.2024, 06:34:53

@[Tinki](200906) also ich hab nochmal drüber nachgedacht. Eigentlich muss man die Nichtvollendung an dieser Stelle in einer Klausur nicht prüfen. Das macht man schließlich bereits in der Vorprüfung zum Versuch. Wenn man zum Ergebnis kommt, dass die Tat vollendet ist, ist man gar nicht erst in der Versuchsprüfung drin und kommt gar nicht bis zum Rücktritt. Die Nichtvollendung ist an dieser Stelle also nie problematisch. Wichtig ist nur die Abgrenzung, ob der Täter die Vollendung der Tat verhindert hat (dann sind wir in Satz 1 Alt. 2) oder ob der Täter dies nicht getan hat (dann ist es ein Fall von Satz 2 und es schließt sich eine Prüfung zum freiwilligen und ersthaften Bemühen an). Bei dieser Abgrenzung wird, soweit ich das verstanden habe, über die Kausalität hinaus auch die Zurechenbarkeit gefordert. Setzt der Täter eine Kausalkette in Gang, die zwar zur Nichtvollendung seiner Tat führt, allerdings auf eine Weise, die die Zurechnungskette durchbricht, dann ist die Verhinderung des Erfolgs nicht Werk des Täters und damit ist die Nichtvollendung ohne sein Zutun eingetreten und wir sind in Satz 2. Fraglich ist jetzt nur noch, ob das auch gilt, wenn der Erfolgseintritt kausal aber unzurechenbar verhindert wird (zum Beispiel: T ruft den Notruf und auf dem Weg ins Krankenhaus schlägt ein Meteorit in den Krankenwagen ein, der zufällig ein Gegengift enthält und das Opfer rettet). In dem Fall wäre es aber auch eigentlich nur konsequent zu sagen, dass das ein

atypischer Kausalverlauf

ist, der dem T nicht zurechenbar ist und deshalb hat nicht er die Vollendung verhindert, sondern der Zufall.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

24.9.2024, 09:53:44

Hallo @[Tinki](200906), @[Timurso](197555) hat Deine Frage schon genau richtig beantwortet, ich ergänze hier nur noch der Vollständigkeit halber. Es ist bei § 24 I 2 StGB tatsächlich (nach wohl ganz hM) so, dass er auch dann zur Anwendung kommt, wenn die Vollendung zwar objektiv eintritt, dem Täter aber nicht objektiv zugerechnet werden kann (MüKoStGB/Hoffmann-Holland, 5. Aufl 2024, § 24 Rn 139). Ich stimme Timurso iE zu, dass eine tiefere Prüfung der Nichtvollendung an dieser Stelle in der Klausur häufig gar nicht mehr nötig sein wird. Ich würde allerdings vorsichtig dazu raten, diesen Punkt (jedenfalls in unserem Fall) nicht in der "Vorprüfung" des Versuchs zu klären, sondern ruhig zunächst ein vollendetes Delikt anzuprüfen, wenn die Strafbarkeit wegen Vollendung ernsthaft in Betracht kommt - was ich bei komplexeren Kausalverläufen wie hier durchaus bejahen würde. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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