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Arbeitsrecht

Störungen des Arbeitsverhältnisses

Betriebsschließung im Rahmen von Pandemiebekämpfung kein Betriebsrisiko

Betriebsschließung im Rahmen von Pandemiebekämpfung kein Betriebsrisiko

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem
Corona & Recht

Barinhaberin B musste im April 2020 ihre Bar infolge der ergangenen Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus schließen. Da ihre Arbeitnehmer ihre Arbeit nicht erbringen konnten, weigert sich B, den Lohn für April 2020 zu zahlen.

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Einordnung des Falls

Betriebsschließung im Rahmen von Pandemiebekämpfung kein Betriebsrisiko

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko, sodass er bei nicht erbrachter Arbeitsleistung infolge von Betriebsstörungen trotzdem Lohn zahlen muss (§§ 615 S.3 iVm 615 S.1,2 BGB).

Genau, so ist das!

Da der Arbeitgeber den Betrieb leitet, organisiert und den wirtschaftlichen Erfolg aus ihm zieht, muss er auch das Betriebsrisiko tragen. Nach der Lehre vom Betriebsrisiko trägt der Arbeitgeber das Risiko bei allen Störungen, die dem betrieblichen Bereich und damit seiner Risikosphäre zuzuordnen sind (§§ 615 S.3 iVm. 615 S.1, 2 BGB). Hierzu gehören das Versagen von Betriebsmitteln, äußere Einwirkungen auf den Betrieb oder Betriebsunterbrechungen aufgrund behördlicher Anordnung.
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2. Es realisiert sich bei einer gegen den Arbeitgeber gerichteten hoheitlichen Schließungsanordnung während Corona-Pandemie das übliche Betriebsrisiko im Sinne des § 615 S.3 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach dem BAG trägt der Arbeitgeber nicht das Risiko eines Arbeitsausfalls, wenn zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen durch behördliche Anordnungen fast flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. Ein solcher hoheitlicher Eingriff zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage liege nicht in der Sphäre des Betriebs, sodass der Arbeitgeber für dieses „allgemeine Risiko“ nicht verantwortlich und somit nicht zahlungspflichtig ist (RdNr. 31). Anders dagegen, wenn die Schließung nicht angeordnet ist, sondern sich der weitere Betrieb nicht mehr lohnt und der Arbeitgeber auf eigene Initiative schließt (vgl. RdNr. 30).

3. Haben die Arbeitnehmer gegen B einen Anspruch auf Lohnzahlung (§§ 611a Abs.2, 615 S.3 iVm 615 S.1,2 BGB)?

Nein!

Zwischen B und ihren Arbeitnehmern besteht ein wirksamer Arbeitsvertrag, der grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung der vertraglich vereinbarten Vergütung begründet (§ 611a Abs.2 BGB). Allerdings ist dieser Vergütungsanspruch nach § 326 Abs.1 S.1 BGB untergegangen, da die Arbeitnehmer im April 2020 keine Arbeitsleistung erbracht haben und die geschuldete Arbeit damit unmöglich geworden ist (absoluter Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung). Da sich in der behördlichen Schließungsanordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie zudem nicht das Betriebsrisiko im Sinne des § 615 S.3 BGB realisiert, besteht der Lohnanspruch auch nicht nach §§ 611a Abs.2, 615 S.3 iVm. 615 S.1, 2 BGB fort. Die Arbeitnehmer haben keinen Anspruch gegen B auf Lohnzahlung für den April 2022.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JUL

Julius

13.1.2023, 14:55:18

Bei derartigen generellen pandemiebedingten Schließungen aufgrund behördlicher Anordnungen könnte aber doch Annahmeverzug des Arbeitgebers vorliegen. Laut Müko § 615 Rn. 117 (Beck online) kommt der AG nicht in Annahmeverzug, wenn er Kurzarbeit anordnet. Seht ihr das auch so und wie steht die Rspr. dazu? Müsste man dann hier in eurem Fall nicht noch einen weiteren Schlenker einbauen und den Annahmeverzug prüfen, sodann ablehnen falls Kurzarbeit angeordnet wurde… wie wird der Ausschluss des Annahmeverzugs durch Anordnung der Kurzarbeit rechtlich begründet in den §§ 293 ff.?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.2.2023, 10:06:49

Hallo Julius, vielen Dank für die klasse Fragen! Ein Annahmeverzug des Arbeitgebers liegt hier in der Tat ohne weiteres vor, denn der Arbeitnehmer hat hier seine Arbeitsleistung angeboten (vgl. hierzu auch RdNr. 11-13 des verlinkten Urteils). Die Aufrechterhaltung des Anspruchs aus § 615 S. 1 BGB scheitert aber daran, dass dieser unmittelbar lediglich den Fall der Annahmeunwilligkeit erfasst. Diese lag hier nicht vor. In Fällen, in denen die Annahme unmöglich ist, ergibt sich der Anspruch aus § 615 Satz 3 BGB iVm. § 615 Satz 1 BGB iVm. § 611a Abs. 2 BGB. Neben dem Annahmeverzug setzt § 615 S. 3 BGB aber voraus, dass die Unmöglichkeit der Arbeit dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zuzuordnen ist. Dies ist die entscheidende Stelle, an der das BAG den Anspruch der Arbeitnehmer im vorliegenden Fall scheitern lässt. Allerdings muss man auch hier sauber differenzieren, ob es sich um eine allgemeine, behördlich angeordnete Schließung handelt, die nahezu flächendeckend alle Betriebe betrifft. Denn in diesem Fall fehle es an einem spezifischen Betriebsrisiko (RdNr. 34). Ziele die Maßnahme dagegen darauf ab, einem im Betrieb des Arbeitgebers angelegten besonderen Risiko zu begegnen, etwa, weil die vom Arbeitgeber gewählten Produktionsmethoden oder -bedingungen oder von ihm zu verantwortende Arbeitsbedingungen eine besonders hohe Ansteckungsgefahr innerhalb der Belegschaft in sich bergen (zB Massenunterkünfte in der Fleischwirtschaft), treffe ihn das Risiko des Arbeitsausfalls (RdNr. 33). Im Hinblick auf das Kurzarbeiter

geld

sind verschiedene Punkte zu berücksichtigen. Sofern Kurzarbeit angeordnet wird, so fehlt es bereits am Annahmeverzug, denn in diesem Fall besteht schon keine Pflicht des Arbeitgebers mehr, die Leistung anzubieten. Insoweit kommt er also auch nicht in Verzug. Hätte er Kurzarbeit beantragen können und dies unterlassen, so lässt dies die Frage des Betriebsrisikos erst einmal unberührt, d.h. der Lohnanspruch aus § 611a Abs. 2 BGB wird nicht aufrechterhalten, sondern geht nach § 326 Abs. 1 BGB unter. In diesem Fall könnte sich aber ein Schadensersatzanspruch des anspruchsberechtigten Arbeitnehmers ergeben (§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB), da der fehlende Antrag des Arbeitgebers in diesem Fall gegen seine Rücksichtsnahmepflicht verstoßen könnte (RdNr. 36). Im vorliegenden Fall hatte das BAG hierzu keine Stellung nehmen müssen, da es sich bei der klagenden Arbeitnehmerin um eine geringfügig Beschäftigte (ugs. 450€-Job, bzw. mittlerweile €520-Job) handelte, die ohnehin keinen Anspruch auf Kurzarbeiter

geld

hatte. Ich hoffe, das beantwortet Deine Fragen :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Girlgoneabroad

Girlgoneabroad

16.6.2023, 20:46:21

Kam heute im 2. StEx in Bayern :)

BEBE

Benni Bertelmann

18.6.2023, 14:32:16

An einem Samstag? :O

Girlgoneabroad

Girlgoneabroad

18.6.2023, 14:41:16

Eigentlich ist der Kommentar noch von Freitag Abend

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.6.2023, 10:23:48

Vielen Dank für den Hinweis, Girlgoneabroad!


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