Absolute Unverhältnismäßigkeit § 439 Abs. 4 BGB


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Klassisches Klausurproblem
Neues Kaufrecht 2022

Unternehmer U kauft bei Immobilienhändler I ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück für €50.000, die auch dem objektiven Wert im mangelfreien Zustand entsprechen. Das Haus ist schimmelbefallen und daher nur €25.000 wert; eine Mangelbeseitigung würde €150.000 kosten.

Einordnung des Falls

Absolute Unverhältnismäßigkeit § 439 Abs. 4 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Verkäufer könnte die Nacherfüllung verweigern, wenn diese nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich wäre (§ 439 Abs. 4 BGB).

Ja!

Der Verkäufer kann über die Fälle der §§ 275 Abs. 2, 3 BGB hinaus die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur unter unverhältnismäßigen Kosten möglich ist (§ 439 Abs. 4 S. 1 BGB). Ebenso wie bei § 275 Abs. 2 und 3 und handelt es sich um eine Einrede, auf die sich der Verkäufer berufen kann, aber nicht muss. § 439 Abs. 4 erfasst zwei Varianten: (1) Unverhältnismäßigkeit der gewählten Nacherfüllungsart im Vergleich mit der anderen Art der Nacherfüllung, wodurch der Verkäufer nur die andere Art vornehmen muss (relative Unverhältnismäßigkeit) und (2) Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung insgesamt im Vergleich mit dem Interesse des Käufers an der Nacherfüllung, wodurch die Nacherfüllung insgesamt verweigert werden kann (absolute Unverhältnismäßigkeit).

2. Die Nacherfüllung ist hier relativ unverhältnismäßig.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ob relative Unverhältnismäßigkeit vorliegt, ist aufgrund eines Vergleichs der beiden Arten der Nacherfüllung festzustellen. Dabei ist abzuwägen zwischen dem Interesse des Verkäufers an der Minimierung seiner Kosten und dem Interesse des Käufers, gerade die gewählte (und nicht die andere) Art der Nacherfüllung zu erhalten. Zentrales Abwägungselement sind die Kosten, die die beiden Formen der Nacherfüllung dem Verkäufer verursachen. Relativ unverhältnismäßig kann immer nur eine der beiden Arten der Nacherfüllung sein, nämlich diejenige, die dem Verkäufer höhere Kosten verursacht als die andere. Ist eine Art der Nacherfüllung wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen, stellt sich die Frage der relativen Unverhältnismäßigkeit nicht. Eine Nachlieferung ist hier unmöglich, da es sich um eine Stückschuld handelt. Das bebaute Grundstück kann auch nicht im Rahmen des hypothetischen Parteiwillens durch ein anderes ersetzt werden.

3. Die Nacherfüllung ist hier absolut unverhältnismäßig.

Ja, in der Tat!

Die Nacherfüllung kann insgesamt verweigert werden, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist (absolute Unverhältnismäßigkeit). Die Unverhältnismäßigkeit ergibt sich hierbei aus einem Vergleich der Nacherfüllungskosten mit dem Interesse des Käufers an der Nacherfüllung. Abwägungskriterien sind hierbei insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels (vgl. § 434 Abs. 4 S. 2 BGB) und ein etwaiges Verschulden des Verkäufers (§ 276 BGB). Absolute Unverhältnismäßigkeit liegt regelmäßig vor, wenn die Kosten der Nacherfüllung 150% des Wertes der Sache im mangelfreien Zustand betragen oder 200% des mangelbedingten Minderwertes übersteigen. Hier sind beide Schwellen erreicht. I kann sich auf die absolute Unverhältnismäßigkeit berufen.

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🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

22.1.2021, 10:40:55

Auf ein Verschulden seitens I ist bei solch starkem Preisverhältnis dann gar nicht einzugehen?

t o m m y

t o m m y

22.1.2021, 11:08:44

wenn dazu im SV was steht: auch in der lösung verwursten, es bleibt ja theoretisch eine gesamtabwägung. aber darauf wird es nicht ankommen: in der klausur sind das immer klare fälle, die alleine durch die eindeutige wertrelation gelöst werden können und insofern das gewünschte ergebnis vorgeben, versprochen!

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

22.1.2021, 23:39:37

So ist es, es muss eine Gesamtabwägung der Umstände erfolgen, bei der auch das Verschulden des Verkäufers einzubeziehen ist (vgl Palandt- Weidenkaff, 74. A., Rn. 16a). Einem arglistig (= vorsätzlich) handelnden Verkäufer wird mehr bei der Nacherfüllung zuzumuten sein, als einem nicht oder nur leicht fahrlässig handelnden.

Isabell

Isabell

20.3.2021, 15:02:39

Wie löst man den Konflikt hier jetzt auf?

Tekkie

Tekkie

8.7.2022, 16:39:37

Wie würde der Fall denn jetzt hier weitergehen? Rücktritt , SE statt der Leistung? In welcher Höhe?

VI

Vivien

3.9.2022, 13:09:15

Warum ist die relative Nacherfüllung unmöglich, die absolute aber nicht? Die Antwort müsste doch dann für beide Fragen "stimmt nicht" lauten? Außerdem steht in der ersten Frage statt "Nacherfüllung" "Nachlieferung", das ist aber nicht gleichbedeutend, oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.10.2022, 12:39:34

Hallo Vivien, vielen Dank für Deine Nachfrage! In der Tat ist bei der Nacherfüllung zwischen a) Nachbesserung und b) Nachlieferung zu unterscheiden. In der Aufgabe geht es nun nicht um die Frage, ob es hier unmöglich ist, sondern, ob die Nacherfüllung unverhältnismäßig ist. Eine

relative Unverhältnismäßigkeit

kann nur vorliegen, wenn beide Nacherfüllungsformen möglich sind. Nur dann kann man nämlich die Kosten der beiden miteinander vergleichen. Kommt dagegen wie hier nur eine Form der Nacherfüllung in Betracht (Nachbesserung), weil die andere Form unmöglich ist, so liegt eben keine "

relative Unverhältnismäßigkeit

" vor. Deswegen war dies zu verneinen. Da aber Wert der Sache und Kosten der Nachbesserung hier völlig außer Verhältnis stehen, ist die Nacherfüllung in Form der Nachbesserung jedenfalls "absolut" unverhältnismäßig. Ich hoffe, es ist jetzt klarer geworden :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Dogu

Dogu

5.8.2023, 10:54:50

Statt 434 IV 2 sollte dort eher 439 IV 2 stehen oder?

EVA

evanici

29.8.2023, 22:03:46

Wieso ist die Schwelle "200 % des mangelbedingten Minderwerts" erreicht? Das wären doch 500.000 € bei 25.000 € als zugrunde gelegter Minderwert, oder? Und woraus ergibt sich weiterhin, dass ein Verschulden des Verkäufers in die Abwägung miteinfließt? Das ist ja eigentlich gerade keine Voraussetzung für den Nacherfüllungsanspruch, wieso taucht es hier also auf?

Trierer Weinversteigerer

Trierer Weinversteigerer

25.9.2023, 14:38:27

Absolute Unverhältnismäßigkeit

liegt regelmäßig vor, wenn die Kosten der Nacherfüllung ( hier: 150.000€ ) den mangelbedingten Minderwert ( 25.000€ ) um 200% übersteigen. 200% des mangelbedingten Minderwerts sind hier also 50.000€ und nicht 500.000€. Demzufolge überschreiten die Nacherfüllungskosten den Minderwert hier sogar um 600% und machen die Nacherfüllung somit sehr deutlich unverhältnismäßig.

FEL

Felix

12.4.2024, 11:05:12

Moin, Mathe ist blöd, aber "um ...% übersteigen" meint meines Verständnisses "...% vom Anteil der Ursprünglichen Sache addiert zu dieser". Um 100% übersteigen meint das doppelte (das wären hier 50.000€). Um 200% übersteigen ist im Ergebnis das dreifache. Der mangelbedingte Minderwert (25.000€) plus 200% von diesem wären 75.000€. Das scheint auch gerecht zu sein, denn der Käufer hat ja schon 50.000€ Zahlen müssen. Ansonsten könnte der Verkäufer vorliegend eine Nachbesserung schon aus Unverhältnismäßig verweigern, deren Kosten die dem im Vertrag unterstellten mangelfreien Wert Kaufsache nur geringfügig übersteigt.

DAV

david1234

3.6.2024, 14:59:26

Ich würde mich freuen, falls zu diesem Problem noch die daran anschließenden Rechtsfolgen behandelt werden würden. Wie sieht es mit Schadensersatz, Rückritt, etc aus ? VG

Leau

Leau

20.6.2024, 19:54:24

ich kann mich da nur anschließen


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